Die entstehung der FIBEL der HYMNEN und der PILGERFAHRTEN fällt in die zeit einiger bildungsreisen auf die sich George gleich nach dem abitur begab.
März 1888: Abiturprüfung in Darmstadt mit den noten "gut" in französisch und religion · "im ganzen gut" in deutsch geschichte und geografie · "genügend" in allen anderen fächern. George nahm weder seine schule noch das spätere kurze studium besonders ernst und brachte sich den grössten teil seiner umfangreichen kenntnisse (darunter neben den in der schule erlernten sprachen altgriechisch latein und französisch auch englisch italienisch spanisch polnisch dänisch norwegisch niederländisch und hebräisch) selbst bei - drängte aber später die gymnasiasten die ihre aufnahme in den Kreis wünschten sich vor allem anderen um schulischen erfolg zu bemühen.
April - oktober 1888: Reise auf dem Rhein nach Holland und weiter nach London um die englische umgangssprache zu lernen
Oktober 1888: Reise nach Montreux. Im februar 1889 weiterfahrt nach Mailand. Im april wieder in Montreux.
April - august 1889: Von Bingen oder gleich von Montreux aus reise nach Paris wo er Albert Saint-Paul kennenlernt der ihn bei Mallarmé einführt. Museumsbesuche und kontakte zu den modernen französischen dichtern und ihren zeitschriften. Zahlreiche abschriften ihrer texte die George sich anfertigte sind überliefert. Die ZEICHNUNGEN IN GRAU und die LEGENDEN sind wahrscheinlich hier entstanden.
August - september 1889: Reise von Paris nach Spanien mit aufenthalten in Madrid Toledo Aranjuez Murcia und Cartagena. Der besuch des Escorial-palasts scheint George am tiefsten beeindruckt zu haben.
Juli 1890: Reise nach Kopenhagen
August - september 1890: Reise nach Paris wo die lezten sechs gedichte der HYMNEN entstehen
Dezember 1890: Reise mit den brüdern Peñafiels nach Bremen
Februar - juli 1891: Reise über München und Verona nach Venedig und ende märz weiter nach Wien wo die gedichte 209-11 und 214 entstehen. Rückreise über München und Schloss Linderhof
September 1891: Reise nach London und nach wenigen tagen über Calais nach Paris (erstes treffen mit Rolicz-Lieder)
Oktober 1891 - mitte januar 1892: Reise nach Wien wohin ihm im dezember fünfzig exemplare der PILGERFAHRTEN geschickt werden. In den lezten vier wochen kommt es zu den zusammenkünften mit Hofmannsthal.
Erschienen als privatdruck (also ohne verlag und auf kosten des zweiundzwanzigjährigen autors) ende 1890 in Berlin · mit einer auflage von einhundert exemplaren. Das für einen gedichtband der zeit ungewöhnlich schmucklose ja spröde äussere ist ein hinweis auf den tiefen ernst der kunstauffassung gerade des ganz jungen debütanten.
M erklärt den namen von Georges erstem gedichtband damit dass der Dichter das »preisen« also das bejahen allerdings nicht wie bei den antiken hymnen nur von göttern - dass sich der zyklus im wesentlichsten um die muse dreht tritt bei M ein wenig in den hintergrund - sondern auch von menschen und ihren besten eigenschaften im auge hatte - ein grundsatz der sogar noch in den ZEITGEDICHTEN 71 galt. Auf jeden fall kann man bei diesem titel eine feierliche und der religiösen sfäre nicht ferne sprache erwarten · den für George charakteristischen hohen ton. Trotzdem sind die HYMNEN nicht nur von grosser schönheit sondern zugleich abwechslungsreich und jugendlich provozierend (beispielsweise indem an George selbst ebenso viele hymnen gerichtet sind wie an die muse !).
Sie gelten der muse (101 · 106 · 108) - dem Dichter (102 · 109 · 115 sogar aus dem mund der muse) - einer begleiterin (103) - der sonne (104) - einem jungen badegast (105) - einem jungen mundschenk (107) - einer mittelalterlichen herrin (110) - einem imaginierten badebegleiter am strand (111) - dem bad selbst (112) - dem meer und den schiffen (113) - einem autofahrer (114) - einem früh verstorbenen spanischen prinzen (116) - dem maler Fra Angelico (117).
118 ist als übergang zu den PILGERFAHRTEN aufzufassen und kein hymnus.
Erst 1898 (datiert auf 1899) erschien die öffentliche ausgabe zusammen mit PILGERFAHRTEN und ALGABAL beim Berliner verlag Georg Bondi in einem band mit einer vorrede · einer widmung und einer aufschrift. In der vorrede begründet George die frühen privatdrucke stolz mit dem wunsch »der rücksicht auf die lesende menge enthoben« zu sein und die öffentliche ausgabe neun jahre danach mit dem inzwischen vielerorts erwachten »schönheitverlangen« · also wol einer abkehr des publikums vom naturalismus. Gewidmet sind die HYMNEN Carl August Klein · einem ehemaligen Darmstädter mitschüler der ihm in den ersten jahren eine grosse stütze war · sich durch die frühe ehe und seinen hang zum theater dann etwas von George entfernte aber dem namen nach immer der herausgeber der Blätter für die Kunst blieb. Klein erledigte die alltäglichen aufgaben und veröffentlichte unter seinem namen in den Blättern artikel die eigentlich George geschrieben hatte. Der nannte ihn der eigentlich nur August hiess dankbar »Carl August« in anspielung auf den Herzog von Sachsen der Goethe nach Weimar holte und jahrzehntelang förderte. Dem Castrum Peregrini gelang es ein halbes jahrhundert später den fünfundachtzig jahre alten Klein als "paten" für die neue zeitschrift zu gewinnen: ein schachzug um den anspruch zu unterstreichen in einer eigenen George-tradition zu stehen wenngleich sie rein fiktiv war - und vielleicht auch um den einen oder anderen in Deutschland oder der Schweiz ein wenig zu ärgern.
Die schöne aufschrift sei hier zitiert auch wenn sie die mädchen ein bisschen mehr hätte einbeziehen können. Dafür aber verrät George hier seine lieblingsfarben.
KURZ EH ES FRÜHLING WARD BEGANN DIES LIED/ BEI WEISSEN MAUERN UND IM UFERRIED/ ALL UNSRES VOLKES NEUEN SÖHNEN HOLD/ SPIELT DURCH EIN JAHR DER TRAUM IN BLAU UND GOLD
M bezieht diese angaben auf den beginn des jahres 1890 und das am ufer der Spree im Tiergarten gelegene schloss Bellevue · heute sitz des Bundespräsidenten · damals teil der kaiserlichen hofhaltung. Nicht weit davon entfernt studierten George und Klein in jenem jahr an der universität die in der strasse Unter den Linden gelegen war. Damals traten sie auch gemeinsam in dandy-typischer kleidung auf.
Dem Maler Reinhold Lepsius erzählte Richard Perls 1895 in Rom bei einem empfang in der Casa Bartholdy von dem jungen dichter Stefan George und schenkte ihm am nächsten tag eine abschrift der HYMNEN (Lepsius 1935, 11). So begannen er und Sabine Lepsius sich für George zu begeistern und seine lesungen in ihrem Berliner salon trugen nicht wenig zu seinem durchbruch bei.
Bernhard Böschenstein berichtet er habe 1947 als fünfzehnjähriger von Wilhelm Stein die öffentliche ausgabe geschenkt bekommen und gleich alle HYMNEN auswendig gelernt. Sechs jahre später habe er als student der germanistik über WEIHE seine erste seminararbeit verfasst. (CP 2001, 8f.)
Von den HYMNEN wurden nur wenige in anthologien aufgenommen:
Wolters: 116 · 117
Böhringer: 112 · 117
v. Schirnding: 117
Klett: 102
Dem liegt sicher keine geringschätzung zugrunde die man solchen kennern nicht unterstellen kann. Tatsächlich sind anthologien eher für aussenstehende und weniger eingeweihte gedacht für die gerade die HYMNEN nicht sehr geeignet sind.
Hesiod erzählt in der THEOGONIE von den neun musen · töchtern von Zeus und der Mnemosyne und göttinnen der künste. Nach antiker tradition ist kreativität ihrem inspirierenden einfluss zu verdanken. Noch heute meint »von der Muse geküsst sein« einen guten künstlerischen einfall zu haben. Diesen kuss deutet die sechste strofe an - hier aber über die inspiration hinaus im sinn einer »weihe«. George lässt sich allerdings nicht gern zum bloss passiven empfänger von geschenken machen: Eine geste deutet ganz fein an wer die regie führt: mit seinem finger stüzt der sprecher den gaumen der muse - wie zu beginn der Odyssee trägt sie hier keinen namen - und führt ihre an seine lippen. Als bräuchte eine göttin menschliche stütze ! Hinzu kommt dass die zuwendung der muse durch das eigene »reif«-geworden-sein als etwas verdientes erscheint. Man sieht hier wie George mit religion (aus sakraler sprache stammt »segnung«) und mythos spielt auch wenn er sie äusserlich ehrt und die muse in ehrfürchtigem ton seine »herrin« nennt.
Was germanisten so gern »Selbstinszenierung« nennen kann hier gut demonstriert werden. Der begriff bezeichnet aber eine selbstverständlichkeit und es macht keinen sinn ihn so inflationär zu verwenden. Im grunde dreht sich hier wie so oft bei George alles um das ich das sich ja auch selbst anspricht. Dieses ich wird gesegnet und zum dichter geweiht · hat aber um als »reif« für die weihe angesehen zu werden eben auch voraussetzungen erbracht: die muse musste von seiner reinheit und geheiligtheit überzeugt werden. Das entsetzen des efeben in ERKENNTNIS 051 dürfte auf die erkenntnis seines verlusts an reinheit zurückzuführen sein. Im weiteren sinn bedeutet reinheit: dass man sich von der profanen welt fernhält. Das ist ein opfer und George »inszeniert« sich als einer der stark genug ist den verzicht zu erbringen und die einsamkeit auszuhalten. Dieser demonstration sollen die ersten vier strofen dienen. Seine anstrengung wurde schon in der kindheit unternommen mit der absonderung im schilf des Nahe-ufers. Die erste strophe bietet die thematik der ersten LEGENDEN (also I und II) · den gewohnten kampf der geschlechter · in leicht auflösbarer symbolischer verschlüsselung: Die stolzen rohre zeigen auf welche haltung es ankommt. Sie bilden einen schilfgürtel und lassen es nicht zu dass die schmeichelnden wellen zum ufermoos gelangen - dem refugium des sprechers und fast auch metonymie für ihn selbst - das sie eigentlich »kosen« möchten (man erinnert sich an FRÜHLINGSWENDE 052). Besser in den zusammenhang passt jedoch die symbolik auf das bei George ohnehin eng benachbarte thema des verhältnisses von künstler und menge zu beziehen und hier die vorausdeutung auf das folgegedicht zu erkennen. Das schilfreich am ufer ist wie schon der waldweiher in 052 der ort des sinnens und dichtens und nur hier wo »er nur herr ist« (052) weil es sonst niemanden gibt kann die erträumte begegnung stattfinden.
Fernab vom alltag gelingt die konzentration auf die ankunft der muse. Dafür müssen störendes denken und jeder einfluss von aussen ausgeschaltet sein wie in einem zustand der betäubung. Dass man dann elfenlied und elfentanz wahrnehmen könne zeigt dass der junge George sich hier noch nicht ganz von hergebrachten motiven gelöst hat die er aber sehr bald - erst recht wenn sie derart süsslich sind - aus seiner dichtung völlig verbannt. Denn »die alten namen« sollen ja gerade verloren gehen zugunsten einer neuen dichterischen sprache die alles Sein im raum neu benennt und bewertet. Das ist kein geringes selbstbewusstsein wenn man mit einundzwanzig jahren sich selbst an den beginn eines neuen dichterischen zeitalters sezt und dazu behauptet erst mit so viel selbstbewusstsein sei man »reif« für die zuwendung des göttlichen wesens. Aber genau in diesem jazusichsagenden stolz scheint das geheimnis der kraft zu liegen die von Georges lyrik ausgeht und sich schon im jubel der ersten strophe erweist. Man kann die untersuchung des selbstbewusstseins noch weiter treiben und behaupten dass es sogar vor der einschätzung der eigenen erotischen ausstrahlungskraft nicht halt macht. Stell dir vor dir erschiene in der nacht die muse und küsste dich auf die lippen. Würdest du nicht ein inneres beben empfinden? Schau einmal · wer im gedicht dabei bebt.
Sprachlich neu hingegen ist neben dem schönen »dunkelglanz« der »urduft« und wenn der wahrnehmbar ist während man im gras (auf dem rasen) liegt könnte unterstellt werden dass ein unmittelbarer zugang zu den nächsten elementaren kräften · der erde und dem wasser · gemeint ist wie sie beide zusammen eben gerade am ufer erfahrbar sind. Noch im lezten gedichtband wird ein vers lauten: »Horch was die dumpfe erde spricht:« (9504). Wer das ohr für diese elementarstimmen nicht besizt ist nicht reif für die dichterweihe. Und noch einmal sei es gesagt: das ist selbstinszenierung. Einer inszeniert sich als ein geweihter weil ihm zu gebote steht worüber die anderen nicht verfügen die ja auch von keiner muse je besucht wurden. Aber wer wäre so dumm das nicht zu wissen · und was ändert es dies immer wieder zu betonen? Es zählt doch nur die freude oder auch bewunderung mit der wir ihm die ganzen HYMNEN hindurch dabei zuschauen weil diese glänzend gemachte inszenierung - ohne eine einzige schwächere zeile - gerade nicht das zynische spiel eines alten komödianten ist als den ihn Raulff hinzustellen versucht ( 2009, 186) - der jederzeit weiss dass er mit seinem tingeltangel nur alberne unterhaltung für dumme erzeugt. George veranstaltet kein illusionstheater · keine epiphanie: er betont doch gerade dass die betäubung voraussetzung sei und die muse - zehn jahre vor beginn des zwanzigsten jahrhunderts - nicht wirklich leibhaftig herabsteigt. In 106 wird er sich noch einmal um ihr erscheinen bemühen. Auch dort sagt er in aller deutlichkeit: sie soll erscheinen - und wenn sie es tut: dann wird sie nur eine gemalte sein. Ebenso in 108: ihr herniedertauchen ist nur ein gewünschtes. Um wie viel mehr war die bergpredigt inszenierung genau wie der ritt auf dem esel und all die wunder: aber nur George erfährt die immergleichen vorwürfe für etwas worauf selbst der Gottessohn nicht verzichten konnte.
Der selbstinszenierung dient erst recht dieses gedicht. Es wiederholt den ästhetizistischen gedanken der ersten strophe von 101 und verschärft ihn noch erheblich: der einsame dichter im schattensaal braucht nicht nur die distanz zur gesellschaft (für George überhaupt kein opfer) die offenbar durch eine besondere vertrautheit mit der natur (vertreten durch die angstlosen vögel) ausgeglichen wird · er darf sich auch nicht sinnlichen lockungen (die musik ist hier wie oft bei George nur pars pro toto oder metonymie für jegliche verführung) hingeben auch wenn er sich wie die anderen danach sehnt einen »leib zu umfahen« also zu umarmen. Das interesse an den leibern hatte ja schon den schüler zum aufbruch aus der klosterschule veranlasst (503) - sich ihnen aber wirklich hinzugeben grenzt an schwäche: jedenfalls »heut«. Denn vorrang hat der austausch mit »seinen geistern«. Was allerdings gilt morgen?
Man steht hier vor einer eigentümlichen widersprüchlichkeit. Einerseits versucht der junge George aus der not seiner eigenen einsamkeit eine tugend zu machen und sie wie in 115 als ein heroisches opfer darzustellen das stärke und einzigartigkeit bezeugt. IM PARK ist eine noch gemässigtere aber auch inkonsequente vorstufe dazu weil mit »heut« noch mögliche ausnahmen angedeutet werden. Wer allerdings dieses opfer gebieterisch verlangt und wozu es so notwendig sein soll und mit welchem recht es so viel respekt von uns erheischt bleibt unklar · wird aber auch von den interpreten nicht hinterfragt.
Die in 053 eingeführte option auf die leiber wird andererseits nie ad acta gelegt · sogar gefeiert wie in 111 · wenn auch nicht eingelöst. Dafür ursächlich ist aber nicht der bewusste verzicht sondern banale schüchternheit in 105 oder ganz einfach das ausbleiben der erhofften reaktion des gegenübers in 114. Die scheinbare widersprüchlichkeit löst sich rasch auf: weiblichen geschlechts ist der leib nur in 102 und 115.
Als typisch für den frühen George dieser l’art-pour-l’art-jahre gilt das schwelgen in einer realitätsfernen kunstwelt wie diesem park mit seinen aufwendigen springbrunnen: dem inbegriff der absolutistischen herrschaft eines monarchen der von den massen so weit entfernt war wie nun ein dichter · der verschwendung und verhöhnung der wirklichkeit · also der not der vielen ohne frisches wasser die vom zutritt zum park natürlich ausgeschlossen sind. Alles wird noch dekadent auf die spitze getrieben durch die vision dass jeder der vielen strahlen des springbrunnens aus unzähligen tropfen wie perlen und rubinen besteht die in zynischer verschwendung jenseits aller moral zu boden gestreut werden. Wie armselig langweilen uns dagegen die rapper mit ihren ewigen goldkettchen und turnschuhen.
Auch mit dem provozieren eines skandals hat George kein problem - er macht das natürlich geschmackvoll und diskret. Dass man über den lezten vers nachdenken sollte wird durch seine singuläre stellung angezeigt. Du musst nur die zweite bedeutung erkennen und die betonung auf »führen« legen. Sei gnädig · bedenke das jugendliche alter des autors und geniesse wie er mit der sprache schon zaubern kann zumal die zweite bedeutung die erste nicht ausser kraft sezt.
Diese erste bedeutung weist darauf hin dass dichten eher wie handwerkliche arbeit kraft und disziplin verlangt. Diese auffassung Georges vom dichten kann als distanzierung vom herkömmlichen inspirations-konzept verstanden werden. Das ist das konzept der faulen dichter: nichts tun und auf den kuss warten. Darauf konnte George gern verzichten. Deshalb auch »WEIHE« und nicht »DER KUSS«: von der muse geweiht zu werden ist eine ehrenvolle bestätigung wenn man ein so junger dichter ist.
Die demonstrative verschwendung wird übrigens nicht nur im gedicht behauptet sondern durch das buch zur realität gemacht: zahlreiche nicht bedruckte blätter gliedern gedichte zu gruppen. Gedichte erstrecken sich unnötig über zwei seiten weil sie auf der ersten seite erst unten beginnen. Als papier wurde wertvolles bütten gewählt und nur einseitig bedruckt. Das in der profanen welt herrschende gebot der nützlichkeit oder der effektivität wird in der kunst-welt ausser kraft gesezt. Noch eine zweite botschaft sendet die buchgestaltung. Schmucklose moderne Antiqua-lettern statt verschnörkelter fraktur und der verzicht auf jegliche schmuckelemente wie vignetten rahmen oder illustrationen setzen die HYMNEN von anderen lyrik-bänden der zeit ab. Hinzu kommen änderungen der rechtschreibung · kleinschreibung · der verzicht auf die meisten satzzeichen (George fand schlaff hängende kommas hässlich und verwendete sie nie während er folgerichtig das ausrufezeichen beibehielt). Nur einige hochpunkte machen sätze übersichtlich wo es unbedingt nötig ist. Das bedeutet: hier wird etwas völlig neues geboten - ein anderes sprechen und eine nach den prachthandschriften des minnesangs verlorene nur noch im sakralen bereich gekannte ehrfurcht vor dem text der die hochwertigste ausstattung wert ist und von dem zugleich nichts ablenken darf. Denn die schwer zugänglichen HYMNEN verlangen viel konzentration vom leser.
Ein impressionistisch frühlingsleichtes · von jeglicher erotik freies und richtig amüsantes gedicht das mehr freude macht als die einladung einer pausenlos plappernden freundin zu einem tagesausflug - nicht unbedingt an einem sonntag: "mussetage" dürften auf ihre ferien deuten - hinaus aus der staubigen stadt. Gegenüber dem mädel - dem einzigen weiblichen wesen von fleisch und blut im ganzen zyklus - nimmt sich das ich überlegen und gedankenvoll aus. Dieser männliche sprecher macht gute miene zum bösen spiel das weil er ihrer »einladung« folgte und alles willig mitmachte für sie als ein »sieghaftes« erlebnis endet so wie sich in ERKENNTNIS 051 die jubelnde vestalin und in FRÜHLINGSWENDE 052 die wonnejauchzende sklavin als siegerin fühlten. Aber inzwischen ist der sprecher souveräner geworden und hat am ende grösse genug um die kindische gespielin - »ob tiefer gefühle auch arm« - für ihre verbreitung guter laune und die bereitschaft ihn »zu ertragen« ehrend - auch dieses gedicht ist ja ein »hymnus« - anzuerkennen. Denn »nagende plagen« des alltags sollten gemäss Georges gegen den naturalismus mit seinen elends-szenen gerichteter kunstauffassung dieser jahre aus seiner dicht-kunst verbannt sein. Das gelingt hier zugunsten weisser villen · blühender obstbäume und blumenwiesen: dank ihrer einwirkung. Deswegen ist das an die begleiterin gerichtete lob ernst gemeint - auch wenn sie für das ich nicht die grosse einzigartige liebe bedeuten kann die allein ihm rettung und über den einen tag hinausgehende »dauernde leuchte« in der dunkelheit seines lebens sein könnte. Dass er sich im gegenteil mit ihr eigentlich nur »gebunden« fühlt verrät genug. Und die gewollt nachlässig-hässlichen unreinen reime meinen wol nichts anderes als dass die sportliche ausflüglerin der welt der grossen kunst nun einmal nicht angehört.
Was hier schon im dritten gedicht angedeutet wird bleibt ein grundzug in allen künftigen gedichtbänden bis zum beginn von DER TEPPICH: Das lyrische ich wird immer auf der suche nach einem ebenbürtigen gegengewicht sein und im grunde doch einsam bleiben.
Das gedicht selbst ist gar nicht schwer zu verstehen wenn man nur beachtet dass es dialogisch aufgebaut ist. Meistens spricht die begleiterin und die äusserungen des ichs werden durch gedankenstriche abgesezt. Ein richtiger dialog ergibt sich nicht weil er ihr ja nie wirklich antwortet. Auch dies lässt die distanz erkennen die er hält. Im übrigen sei daran erinnert dass George den schulsport so hasste dass er als gymnasiast in Darmstadt sogar davon befreit wurde. Und dieser kettenraucher lässt sich nun von einem mädchen den berg hinauf- und wieder hinunterscheuchen und kann ihr kaum folgen bis sie sich erbarmt und ihm eine kurze zigarettenpause im feuchten gras anbietet. »Arm in arm« ging George zeitlebens gern spazieren · allerdings nicht »in eile«.
Mir ist bewusst dass ich zwischen dem autor und dem lyrischen ich zulezt nicht mehr unterschieden habe. Des prinzipiellen unterschieds sollte man sich auch bei George-gedichten immer bewusst sein doch fallen bei diesem autor beide wirklich oft in eins und M unterscheidet sie nur selten.
So ist es auch bei diesem gedicht. Ende august 1889 war George von Paris aus nach Spanien gefahren. Man nimmt heute an dass ein besuch des Escorial-palasts den hintergrund des gedichts darstellt. Von der extremen hitze wird durch eine technik der wiederholungen und refrains ebenso wie durch kraftvolle wortschöpfungen und aussagestarke einzelheiten ein tiefer eindruck vermittelt. Die hauptsache ist aber dass der »Einsame« anders als die touristen die hitze nicht flieht sondern draussen sucht. Wie heute bei grossen waldbränden das feuer durch gegenfeuer bekämpft wird so will auch er den »zerstörenden gluten« seines inneren die sommerliche hitze als »gegenglut« entgegenstellen. Das Spanien-erlebnis und das ständige gefühl der einsamkeit sind historisch verbürgt. Die idee mit der gegenglut aber dürfte rein fiktiver art sein und hier sind formulierungen wie »der sprecher« oder »das ich« erforderlich.
Was das für innere gluten sind bleibt unausgesprochen doch kann jeder es erraten: die auswahl ist nicht gross. Oft hilft es bei George-gedichten einen blick in benachbarte gedichte zu werfen. In 103 sehnte er sich nach rettung durch das auflodern einer grossen liebe. Dieselbe feuer-metaphorik in 104 deutet darauf dass diese liebe nunmehr entbrannt ist ohne jedoch rettung gebracht zu haben. Dass der sprecher sich zur wimmelnden menge so eindrucksvoll gegensätzlich verhielt ist der fingerzeig dass er auch ganz anders liebt. Im allgemeinen sollte man wenn der wunsch nach kontakt so gross ist nicht gerade dorthin gehen wo die anderen nicht mehr sind. Um ihn zu finden konnte George gezielt plätze aufsuchen die erfolg versprachen: beispielsweise indem er 1896 täglich die Berliner ausstellung seines malerfreunds Melchior Lechter besuchte um kunst-begeisterte zu finden. Das nächste gedicht wird ein ähnliches verhalten zeigen auch wenn dort die gesuchten andere sind. George war keineswegs menschenscheu. Hier aber ist in den touristenströmen nicht viel zu erwarten und wie bereits angedeutet ist eine wol unglückliche liebe ja längst entbrannt.
George wünschte nicht dass einzelne gedichte für anthologien oder schulbücher aus dem zusammenhang gerissen werden in den er sie mit viel bedacht gestellt hatte. Deswegen beschied er diesbezügliche anfragen in der regel ablehnend und verzichtete auf damit verbundene einkünfte. In 104 sinkt das ich am fuss eines pfeilers nieder. In 105 spielt sich das wichtigste »unter säulen« ab und wir erhalten von dort aus die antwort auf die frage welche art glut hier in ihm brennt. So werden gedichte aufeinander bezogen und verbunden. Wer sie einzeln liest merkt es nicht.
Ob die in 104 angesprochene behandlungs-methode sinn- und wirkungsvoll ist sei dahingestellt. Womöglich meint die »rettende schwäche« tatsächlich eine abnahme der inneren gluten aber das wird wol nicht von dauer sein. Wahrscheinlich bekommt der sprecher einfach einen schwächeanfall der ihn vor dem hitzetod rettet: Wo ein pfeiler ist dort ist auch schatten. Wichtig ist doch nur dass die innere not auf eine eindrucksvoll neue und ungewöhnliche art zur anschauung gebracht wird.
»O dass die laune dich zurück mir brächte !« - ein zufall soll die begegnung wiederholen. Aber fast scheint es dass der sprecher schon damit zufrieden wäre wenn nur wenigstens der kurze eindruck nicht verlorenginge. Mehr hatte er ja auch gar nicht besessen. Und selbst dieser bescheidene wunsch lässt sich nicht erfüllen.
Die begegnung die zu diesem eindruck führte hatte sich nach dem ende der mittagsmüdigkeit am späten nachmittag eines heissen tages ergeben · wol am eingang zu einer badeanstalt. Deshalb könnte sie auch nicht ganz zufällig zustande gekommen sein. Denn dass die müden »glieder« sich nach den »lippen« der wellen sehnen ist eine scheinbar sehr gesuchte metafer · weist aber darauf hin dass man sich nicht nur für eine erfrischung im kühlen nass zum schwimmbad begab. Die scheuen blicke des sprechers der auf seinem weg stehen bleibt oder ihn sogar verlässt hatten dem gesicht mit seinen weissen wangen gegolten und mussten sozusagen unverrichteter dinge umkehren ohne mit einem blick in die augen etwas gewagt zu haben. Dann hatten sie den »schlanken bogen« des gehenden körpers wahrgenommen und wie bezaubert die geradezu verrückte idee einer umarmung aufkommen lassen.
Wir erfahren nicht was neugier gern wüsste. Weiss ist in der dichtung eher die hautfarbe einer frau. Aber der junge infant in 116 hat auch ein weisses antlitz. Der vergleich der gesichtshaut einer frau mit »sammt« würde wenig sinn machen. Der klosterchor in S3 hatte zuallererst den edlen »schwung des leibs« wahrgenommen · als er sich über den aufnahme begehrenden jüngling äusserte. Die deutlichste antwort ergibt sich aus der überlegung dass ein junger mann eigentlich keinen grund hätte den blickkontakt mit einem mädchen so ängstlich zu vermeiden. Zu verräterisch aber wäre der blick ins auge eines anderen jungen - und dass die hoffnung auf »antwort« gleich null sei sagt der sprecher ausdrücklich. Scheue vorsicht · vielleicht kalkül aber nicht das in 102 genannte zum verzicht zwingende ethos des dichters verhindert den blick. Doch findet dieses eigentlich nicht zwingende (von den interpreten aber kaum hinterfragte) ethos vielleicht gerade hier seine erklärung.
M bezieht das gedicht auf eine frau was man nicht überbewerten muss. Er wird es besser gewusst haben. Aber auch siebzig jahre danach ging es ihm zuerst um dienst und nicht darum alles aufzuklären was von George lieber im undeutlichen gelassen wurde. Erwähnenswert ist sein hinweis dass George die tränen in der lezten strophe »möglichst unromantisch« habe darstellen wollen. Das hier geschilderte erlebnis sei für George typisch: »des Erblickens von Menschen, das ihm das Gefühl einer Seelenverwandtschaft gibt und trotzdem zu nichts als einem stummen Aneinandervorbeigehen führt, vielleicht wegen der Furcht, dass gewechselte Worte solche erträumte Zweisamkeit eher zerstören als fördern würden.« Morwitz hat auch gedichte geschrieben aber ich bevorzuge seine manchmal unübertreffliche prosa.
Doch bleibt es nicht bei den tränen. Dass ein verblassender eindruck schliesslich in einem »bebenden finale« stirbt ist ein viel zu starker · ja dafür unmöglicher ausdruck. Ein finale ist der folgerichtige abschluss eines vorgangs und dessen höhepunkt den jeder gern erreichen möchte · aber während im sport zwei dazugehören ist dieses finale gerade ein einsames. Was immer noch gern das lezte tabu genannt wird ist für George unverzichtbar um das der verzweiflung nahe 105 doch noch in »HYMNEN« unterzubringen.
rauche: hier verkürzend für weihrauch. Rauch ist nicht gemeint. Bewusstseinserweiternde zusammenkünfte (seancen) waren in den jahren um 1900 ein modethema dessen verruchtheit den bürger wol ein wenig schaudern liess. Die hilfsmittel dazu mögen nicht immer ganz legal gewesen sein und George legte - egal in welchen zusammenhängen - stets wert darauf nicht in den verdacht zu geraten er nehme gesetze nicht ernst. Das war nicht ängstlichkeit · doch hasste es sein stolz sich vor staatsbeamten rechtfertigen zu müssen und schliesslich doch verlierer zu sein. Allerdings ist dies zumindest nicht der einzige grund weshalb er hier nur von harmlosem weihrauch spricht.
erkornen: wie auserkoren · also ausgewählt. Das wort wurde wol wegen seines sakralen klangs eingesezt.
Weihrauchharz in grobkörniger form wird vom sprecher - er redet immer nur zu sich selbst - auf glühende kohle gelegt die sich ihrerseits auf einer schale befindet. Beim schmelzen entsteht für kurze zeit ein guss der sich zischend in wolken von rauch auflöst. Der raum ist erhellt durch den schein der kerzen auf einem hängenden kronleuchter · einem lüster in dessen licht der aufwirbelnde rauch blond · also hell aussieht. Diese kultischen handlungen und das fromme wünschen erinnern an die stimmung in einer kirche: daher weihrauch (die beschriebene berauschende wirkung mag wie bereits angedeutet auch an andere räuchereien denken lassen) so dass der sprecher folgerichtig die hände wie zum gebet zusammenlegt · dann aber dem zarten anhauch religiösen empfindens ebenso eine absage erteilt wie der ablenkung durch die sinne aufreizende (flaum und haar legen das nahe) aber noch an körperliches gebundene (marien?-)darstellungen sakraler kunst eines richtigen doms die hier - selbst als bloss noch vorgestellte - nur stören würden: eine sublime wiederholung des aus FRÜHLINGSWENDE 052 bekannten grundmusters. Denn in wahrheit geht es darum eher wie in der mystik sich in eine durchaus erotisch aufgeladene abgeschiedenheit zu versetzen bis im ekstatischen rausch ein melodienstrom · sogar chöre zu erklingen scheinen und im »blonden wirbel« eine erträumte gestalt wahrgenommen und die süsse gier durch die blosse halluzination befriedigt wird. Statt einer abendmahlsfeier wird ein geistiges liebesmahl zelebriert das auf die im innern vollzogene vereinigung mit der heidnischen göttin oder wenigstens ihre (nach 101) neuerliche erscheinung (wenn auch nur als gemalter) herbeizwingt. (Mir ist wol bewusst dass eine echte mystische abgeschiedenheit auch keiner weihrauchschwaden bedürfte.) Zwar deutet »die Wissensvolle« in der gross-schreibung hier nicht zwingend auf ein höheres wesen. Doch dürfte der neuerliche kontakt mit Kalliope · der muse der epischen dichtkunst (George hatte sich 1890 noch nicht völlig auf die lyrik beschränkt) · wissenschaft und philosophie die in der antike wegen ihrer weisheit gerühmt wurde das eigentliche ziel dieser séance sein. Die muse ist der gott in diesem gottesdienst.
Die drei der Erträumten zugeschriebenen eigenschaften finden ihren grund wohl nicht darin dass die anstrengende begleiterin aus 103 zwar aus fleisch und blut bestand aber genau gegenteilige merkmale besass. Weshalb die göttin hier »müd« genannt wird kann erst später sinnvoll erklärt werden (vgl. zu 115 und 118). Georges überlieferter hinweis auf die altchristlichen liebesmahle in deren tradition er sich hier zum schein stellt ist dazu angetan die blasfemie auf die spitze zu treiben. Die verschlüsselungen mildern das blasfemische dieses sonetts hingegen wieder ab.
Die weiss blühende mediterrane myrte ist der Aphrodite zugeordnet und spielte schon in der antike eine rolle bei hochzeiten. Der brauch die jungfräuliche braut mit einem myrtenkranz zu schmücken oder myrtenzweige zu streuen sezte sich auch noch in der neuzeit durch. Sie könnte hier aber nur eine entsprechung zu dem ebenfalls organischen material der weihrauchkörner bilden wie auch die kupferampel zum lüster und der begriff des abendmahls zu dem hier gedachten gastmahl vielleicht zu ehren eines brautpaars · zu dem der sprecher eingeladen ist (er mahnt sich selbst das myrtenbüschel nicht zu vergessen denn äusserlich möchte er sich an die konventionen halten) und in dessen verlauf orakelsprüche vermutlich ein freundliches licht auf die zukunft des brautpaars werfen sollen (ähnliches zu beginn von 052).
Die requisiten deuten auf ein nomadisches aber luxuriöses milieu. Alle angegebenen materialien (die dem aussenseiterischen sprecher erwähnenswerter als die anwesenden personen sind) gelten als edel und teuer · beispielsweise der mit goldenen fäden bestickte wie seide schimmernde atlasstoff. Das passt für das zelt eines slawischen fürsten · des hospodars · doch der burnus ist ein mantel wie er in nordafrika von beduinen getragen wird. George vermeidet also eine bestimmte räumliche festlegung - auch hier soll an ein eher fantastisches »neuland« gedacht werden. Was auch immer für substanzen der den auf teppichen Liegenden servierte »trank« enthalten mag: er kann das bewusstsein in andere zeitdimensionen hinein erweitern. Deswegen steht mit ihm der weissagende »orakellaut« in verbindung (was er beinhaltet ist dem sprecher so gleichgültig dass er nur den laut an sich erwähnt) während der sprecher stattdessen ein bild aus seiner vergangenheit vor dem inneren auge entstehen sieht. Diese erinnerung bedarf um aufzudämmern eines besonderen auslösers: des augenblicks in dem sich der knabe beim einschenken neigt. Das macht die szene aus seiner eigenen kindheit lebendig in der er selbst der hospodar war und ein gleichaltriger knabe ihm als minister diente. Keine George-biografie kommt ohne die anekdote aus wie der neunjährige Etienne mit einem schulfreund in der dachkammer des Bingener elternhauses ein reich gründete in dem er der könig war. Nach vier wochen sollte der freund sein ministeramt mit ihm tauschen. Aber als die zeit gekommen war weigerte sich der könig die krone abzugeben. Natürlich soll die von dem freund überlieferte geschichte Georges immer schon vorhandenen hang belegen dominieren zu wollen.
Das interessante ist nun aber der eigentlich recht überflüssige · scheinbar gar nicht notwendige vergleich mit dem »zauberbronnen«. Beim blick in diesen brunnen erkennt der sprecher sich selbst als königlichen knaben und so erhält das »liebesmahl« eine andere wendung zumal das brautpaar nur als kontrastierender hintergrund eine rolle spielt. Das scheint nun wirklich ein narzisstisches gedicht zu sein.
Wir sahen bisher vier liebesgedichte. Die gutgelaunte bergsteigerin wurde aber gar nicht sehr geliebt und taugte nur als einstieg. Mehr eindruck machte da schon die schlanke taille in der badehose - doch nicht genug um gegen das verblassen gefeit zu sein. Die im weihrauchdampf vielleicht bald auftauchende Blonde ist reichlich blutleer und jedenfalls nicht von dieser welt. Bleibt als leztes in dieser klimax das jugendliche spiegelbild des ichs. Auch wenn der kleine mundschenk mit seinen anmutigen bewegungen sicher nicht ohne grund für den dienst im fürstenzelt ausgewählt wurde: der sprecher richtet seine liebevolle aufmerksamkeit schnell auf sich selbst.
Scheinbar. Denn es wäre keine »denkerstörung« wenn wir uns mit kühlem verstand klarmachen dass der erinnerungstraum ja eigentlich den sprecher zum hospodar macht - und die dienste des schönen knaben dann ihm gölten und sein ständiger anblick nur ihn erfreute? Die überschrift bekommt über die geradezu provozierend in den hintergrund gedrängte hochzeitsfeier hinaus - das hochzeitspaar ist George keinen blick und kein wort wert - nun eine neue und eigentliche bedeutung. Diesmal findet das wesentliche zwar erneut nur in der vorstellung aber nicht mit hilfe berauschender körner sondern mittels der erinnerung statt die ihm hilft den jungen mundschenk ganz für sich zu beanspruchen.
nach jauchzendem tod: abendrot
Dieses und die nächsten drei gedichte entstanden bei einer reise nach Kopenhagen. Es lebt von den verwandlungen der drei langen dreizeiler und der drei aus sechs kurzen versen bestehenden strophen wie auch den verwandlungen der Angerufenen und ihrer wagen und den verwandlungen des orts: der stadt · dem in see stechenden schiff · dem schiff im seesturm. Die immer wieder angesprochene aber nicht anwesende ist sicher nicht wie M wunderlicher weise behauptet die »erträumte Gefährtin« · es sei denn er meint damit die muse des ersten gedichts. Ihr immer verschiedener anhauch liesse den dichter jede situation künstlerisch meistern: den abendlichen moment verhaltener erotik - das glück neuen aufbruchs sowie krise und gefahr. Der zulezt sengende hauch könnte auch als ein das unwetter beruhigender gedacht sein und erinnert an das konzept der sengenden strahlen als gegenglut in 104.
Das in der lezten strophe erwähnte geschenk ist der tod und somit findet auch die überschrift ihre erklärung. Ob aber die »milde strahlenhand« auf die herkömmlich meist kalte hand des todes verweisen soll oder nicht vielmehr schlicht den zum landschafts- und lauben-idyll gehörigen wärmenden sonnenschein meint ist nicht zu entscheiden. Erst recht mögen dem schon ein paar sonnenstrahlen woltätig erscheinen der sich in langer einsamkeit nach einer liebevollen berührung sehnte.
Der anfang korrespondiert dem beginn von 101 aber mit entgegengesezter aussage: im angesicht des dichter-todes spielt es keine rolle mehr dass die wellen nun das ufer erreichen und den strand belecken. Das bild mag wol kaum als hinweis auf die anwesenheit einer »lieben« im sinne einer geliebten oder gar ehefrau zu verstehen sein (im ganzen zyklus gibt es keine solche figur · nicht einmal als ersehnte) · aber mit aller absicht ist es nur sehr mässig schön (viel weniger als in 101 das allerdings nicht realisierte kosen) und fast ein wenig abstossend gewählt. Dafür entschädigen die restlichen strophen. Kraft und stolz hat der junge dichter in die haltung gelegt mit der er auch das ihm von den Höheren zugedachte in scheuer ehrfurcht annimmt. Der schöne ausblick in die bucht mit den schlafenden schiffen verschafft die harmonie des gleichklangs und der zu den gleitenden schiffen trost: Es ist nicht alles zu ende nur weil man selber stirbt. Im moment des sterbens sehnt sich der junge dichter nach »seiner wünsche wunderland« und wäre weit entfernt von der »lieben« (falls sie je existieren würde oder gar anwesend wäre). Sein blick sucht sie nicht mehr. Die »trennungswehmut« ist leise und es fallen immerhin ein paar tränen - aber niemand kann entscheiden welche trennung überhaupt gemeint ist. Nichts spricht dafür dass die tränen der gelten die mit ihrem starren blick für eine leibhaftige frau merkwürdig distanziert bleibt. Noch in den lezten minuten aber spürte er den glauben an ein »neues lied« - die zukunft seiner oder überhaupt einer durch ihn erneuerten dichtkunst - und vor dieser aussicht stehen sein eigenes ich und sein ruhm nicht mehr im mittelpunkt des interesses. Trennung und tod lassen ihn doch nicht klagen weshalb er ein »dulder« genannt werden mag - allerdings legt 115 die wortbedeutung »leidender« nahe. Dieser dichter ähnelt übrigens schon einem seher ähnlich dem späteren George.
Für Bozza symbolisieren die gegenüber 101 gegenteilige anordnung und die danach beschriebenen offensichtlich ertragreichen agrarflächen »eine Sphäre der Fruchtbarkeit, der Vereinigung« (2016, 224) und der tod bedeute die ersehnte »Befreiung« daraus was seine akzeptanz erkläre. Die wunderlande stünden also für »ein weiteres Reich ohne Frauen« (ebd.) Die klage der modernen germanistik über die missachtung der frauenquote in Georges späten gedichten beginnt spätestens mit Osterkamp 2010 dem Bozza hier mit der verwendung seiner kapitelüberschrift (245) die reverenz erweist. Aber anstatt die von Osterkamp längst festgelegten konturen noch einmal nachzuzeichnen wäre es womöglich ertragreicher und mutiger gewesen sie durch einen blick auf die männer zu relativieren die beim jungen George noch seltener auftauchen als die frauen beim alten - und dann stets ein erschreckend schwaches bild abgeben. Freilich ist es riskanter dem papst zu widersprechen statt seine dogmen zu wiederholen · und in der germanistischen kirche wol auch ganz unmöglich.
Den tränen der (von Bozza als anwesend geglaubten) »lieben« werde kühl und mitleidlos begegnet (natürlich wieder einmal eine art beleg für Georges auch schon längst von Osterkamp ausgemachte misogynie - sozusagen die zweite strofe von Osterkamps klagelied) - offenbar hätte Bozza eine lezte innige umarmung samt abschiedskuss besser gefallen. Haben die soap-drehbücher sogar schon den geschmack der doktoranden verdorben? Die bezeichnung »dulder« habe George gewählt um auf den bei Homer häufig so genannten Odysseus anzuspielen - wieder mit umgekehrter bedeutung weil der griechische held ja die jahrzehntelange trennung von der frau erduldet und seine sehnsucht ihr und keinen fernen wunderlanden gilt. Der gedanke ist elegant doch erklärt Bozza nicht wie der sterbende noch rechtzeitig in dieses reich gelangen soll (ein ankommen im erträumten gefilde wäre durch die Odyssee-parallele ja verlangt) das doch wol nicht mit dem der toten identisch sein kann - dort gibt es ja bekanntlich frauen.
M bezieht »der lieben auge« auf alle, »die er liebt« und die er sich jezt noch einmal als trauernde vorstelle. Das ist grammatisch so eben noch möglich aber in den HYMNEN mit ihrem stets einsamen dichter spielt ein freundeskreis nun einmal so wenig eine rolle wie eine gefährtin. Auch sollte der doppelpunkt berücksichtigt werden der nur bei anwesenheit der »lieben« sinn macht weil er ja ankündigt was die »liebe« gerade gesehen hat. Ich vermag an diese ominöse geliebte ganz gewiss nicht zu glauben und möchte »der lieben auge« auf die in diesem grossen schicksalsmoment naheliegender weise erneut vorgestellte muse beziehen · im ganzen zyklus die einzige ständige bezugsperson und sozusagen einzige angehörige die ans sterbebett eilen konnte · die den von ihr einst (in 101 auf das ja schon der gedichtanfang anknüpft) Erwählten nun glaubhaft betrauert zumal sie als eine mittlerin zu den Göttlichen deren geschenk womöglich bereits im auftrag des beschenkten erst zu erwirken und dann jedenfalls zu überbringen hatte. Scheint der ruhm auch nicht mehr so wichtig erinnert das erneute auftreten der himmelsbotin auch zulezt noch einmal daran dass hier kein gewöhnlicher sterblicher hingegangen ist. Zudem taugt ihre wenigstens noch immer mentale stärke verleihende anwesenheit als erklärung dafür dass selbst der sterbende dichter unverbrüchlich an das »neue lied« zu glauben vermag.
Es ist nicht ungewöhnlich für einen sich als aussenseiter empfindenden jugendlichen dass er sich sein eigenes frühes sterben in der vorstellung ausmalt (in 116 wird das thema auf kindlicherer ebene variiert). Die selbstbezeichnung als »dulder« bekommt ihr eigentliches gewicht erst von der lezten strophe von 115 (siehe unten) her. Erst anschliessend sollte man fragen welchen wunderlanden seine lezten wünsche gelten mochten. Wenn man - ganz sicher bin ich mir nicht - an die möglichkeit eines herbeigewünschten todes glaubt könnte die antwort vermeintlich nahe liegen. Allerdings hat sich George für jenseits-fantasien gerade nicht interessiert (erinnert sei an den für das diesseits der leiber das kloster hinter sich lassenden schüler) · sich künftige oder mehr noch vergangene gesellschaftszustände aber gern ausgemalt. Es müsste ein land sein in dem die leiden nicht mehr existieren die hier den tod so wünschenswert machten. Das war 1890 in Deutschland noch nicht vorstellbar - daher die rede von den »wunderlanden«. Doch warum sollte der junge dulder von einem »Reich ohne Frauen« träumen wo er doch schon mutterseelenallein am strand sizt? Wozu so ein groteskes zerrbild wo es doch schon in den HYMNEN so gut wie keine frauen gibt und keines der dargestellten leiden von ihnen verursacht ist (abgesehen vom nun anschliessenden 110 das in diesem zusammenhang nicht gezählt werden kann). Um das klischee der frauenfeindlichkeit zu befeuern?
Geruhe du nur: erlaube oder ermögliche du
psalter: Eigentlich ein religiöser begriff für das buch der psalmen im katholischen gottesdienst. Hier das buch oder die handschrift mit den liedern des sängers.
Im sprecher dieses gedichts darf nicht George gesehen werden: der Dichter schlüpft hier in die rolle eines minnesängers der eine hohe dame anspricht und dabei bestimmte erwartungen eines publikums so gut wie möglich zu erfüllen hat. Hier soll die klage das leid des liebenden ichs und seine bescheidenheit bei den erwartungen an die angesprochene ins unüberbietbar hohe oder geringe übersteigert werden: ein wertloser kieselstein wird indem der rand ihres kleides ihn berührt von der dame besser getröstet als das ich das allenfalls im traum trost suchen kann. Zu einem ähnlichen ergebnis soll der zweite vergleich führen: Wenn in der antike ein jüngling den opfertod zu sterben bereit war (seinen lebensweg verliess und in das dunkel des todes ging) waren die götter ihm gewogen. Sie waren weniger streng als diese dame. (Es kommt bei George natürlich selten aber nicht nur hier vor dass eine menge auch einmal schön sein kann. In T062 sorgt dafür ihre frühchristliche frömmigkeit · hier aber sind es hochgestimmte antike menschen in edler gesinnung. Sie sind »mutberauscht« - das ist kein mut sondern der hohe »muot« den minnesänger auf die hier wieder angespielt wird sich selbst bescheinigten oder abverlangten: ein ethischer anspruch und zugleich ein grosses lebensgefühl · in der gegenwart wenigen · in früher zeit aber allen möglich in denen das »fromme feuer« brannte und eine gemeinschaft stiftete die noch erstrebenswert war. Die alte frömmigkeit wird von George immer geehrt · ihr verlust betrauert · eine neue erstrebt. Dass er das liederbuch des weltlichen dichters psalter nennt hat damit zu tun. Natürlich zielt der begriff leztendlich auf seine eigene für ihn immer quasireligiös überhöhte dichtung.)
Der sänger aber der ebenso opferbereitschaft empfindet (auch wenn sie ja gerade nicht so fromm-»rein« ist wie die der antike weil nicht frei von kalkül und erpresster gegenleistung) · eigentlich nicht wesentlich älter ist als der antike jüngling und dazu noch »der freudenliebe sonnen-ode« zu singen verstand (also wol die irdischen freuden eindrucksvoll zu preisen wusste - auch minnesänger argumentierten vor der dame mit der qualität des schon geleisteten) lässt die angebetete offenbar kalt: sie hat nur einen blick für den »Einen«. Diese im zweiten vers angedeutete figur des erfolgreicheren rivalen ist ebenfalls ein beliebtes motiv mittelalterlicher minnelieder.
Deshalb bittet er um das denkbar geringste: einen ganz kurzen blick auch für sich. Dafür würde er alle weiteren hoffnungen aufgeben · die geliebte preisen und dann sein dichten beenden (denn etwas lohnenderes gäbe es danach nicht mehr zu besingen) und ohne anspruch auf die geringste ehrung geltend zu machen wie ein wertloser abendfalter sterben.
Die NACHTHYMNE wirkt wie eine wenn auch mehr als solide übung - dem minnesang mit seinen gesten und posen dürfte George viel verdankt haben - und scheint einen ersten zweck erfüllt zu haben wenn der eindruck entstand dass George im sängerstreit - nicht nur durch den ausgefallenen vergleich im schlussvers - die qualität von Reinmar oder Morungen zu erreichen imstande war. Auch wenn es die welt der litteraturgeschichte gar nicht verlässt und mit dem empfinden des Dichters von 1890 nichts zu tun hat mag dieses gedicht mit seinem geistreich-rhetorischen (aber eben blutleeren) preisen einer dame auch als feigenblatt gedacht gewesen sein angesichts der raffinesse und verworfenheit der meisten gedichte zuvor und insbesondere des anschliessenden.
Dennoch wäre NACHTHYMNE dann immer noch nicht viel mehr als ein isoliertes und eigentlich auch verzichtbares einzelstück. Tatsächlich aber ist das gedicht für den zyklus notwendig. Auf welche weise es eingebunden ist kann erst mit 115 wahrgenommen werden.
Dies ist keine klage sondern im gegenteil ein preislied auf die schönheit des leibes der eine euforisierung auszulösen vermag · auch darin die technik der übersteigerung beibehaltend und insofern doch an 110 anschliessend. Dass dieser lobpreis nicht als widerspruch zur in 102 gepriesenen keuschheit aufgefasst werden muss wurde bereits zu 102 erklärt.
In diesem gedicht wird aber auch deutlich dass George kein grosser bewunderer nördlicher landschaft war. Schon die fahrten nach Kiel zu Wolters und der familie Landmann kosteten ihn überwindung. Er hasste die kälte. Hier empfindet er die trostlosigkeit des meeres das nichts als den himmel zu sehen bekommt und ihn widerspiegelt was dem eigentlich wilden und düster leidenschaftlichen meer zeitweise eine heuchlerische friedlichkeit und das aussehen ebener wiesen verleiht. Diese beschreibung dient aber auch als bild für das verhältnis zwischen sprecher und dem du: auch sie heuchelten tagsüber leidenschaftslosigkeit. Die umgebung liess anderes nicht zu: die wellen dulden ein offenes ausleben nur bei den möwen und der himmel ist eben gar zu keusch. Unzweifelhaft meinen die naturbilder aber gesellschaftliche bedingungen. Dazu gehört auch der weite kahle strand der keine deckung für ein geheimnis bietet und sich auf die soziale kontrolle bezieht die den verstoss gegen konventionen unmöglich macht.
Deshalb verlangt der erste vers nichts anderes als das unduldsame sittenstrenge land zu verlassen. In anderer umgebung mit dem schutz üppiger vegetation - dem gegenbild zum öden meer - soll mit der heuchelei schluss sein. Hier gibt es statt scheuer möwen schwäne die als »brautgeleit« taugen - sie werden geheimnisreich genannt weil sie schweigsam sind und auch das geheimnis nicht verraten werden das einesteils mit der rede von der lust angedeutet und anderenteils hinter der rede von der braut versteckt wird. Zur diskretion trägt aber auch die beständige dämmerung bei die von den über die waldweiher ragenden laubbäumen herrührt und die stimmung eines kirchen-innenraums erzeugt in dem sich nun aber abspielt was die George bekannte kirche eigentlich nicht so gern sieht.
Wo jezt in gedanken die entblössung möglich ist die das strahlende blütenweiss des leibes sichtbar werden und seine festigkeit wie in nun wärmeren gefilden tauenden schnee sich auflösen lässt und willig weich macht scheint in der vorstellung des als sich an den waldweihern befindenden Vorgestellten - eine potenzierung des unwirklichen - der blick auf eine dritte landschaft auf.
Im ersten moment ist das nur begründet durch die vom anblick des weissen körpers ausgelöste euforie die aus dem rauschen schlichter einheimischer stauden akkorde und aus den pflanzen selbst weiss blühende mediterrane bis orientalische kostbarkeiten (Yucca Aloe · tee und lorbeer) werden lässt. Diese übersteigerung führt den grad der euforie vor augen. Dahinter steht aber die sehnsucht nach mediterranen und orientalischen kulturen die auch das geheimnis überflüssig machen würden.
Ein merkmal dieses gedichts ist die häufung religiös besezter begriffe: keusch - altar - weihen - braut - kelche. Zulezt erinnert die bildsprache an das Hohelied. Es ist schwer zu sagen ob George jemals wirklich blasfemisch sein will. Manchmal scheint der junge George eine spur freude an der provokation zu haben. Hier aber sehe ich eher den vollkommen ernst gemeinten versuch die thematik mit sakraler sprache aufzuwerten und ihr alle vermeintliche anrüchigkeit zu nehmen.
STRAND ist Georges erster lyrischer traum vom süden. Doch auch zulezt befindet sich der sprecher immer noch . . am nördlichen strand und allein.
altane: balkone · M meint: terrassen.
kirren: jemandem den kopf verdrehen · ihn durch erotische reize verwirren.
An ein impressionistisches gemälde (beispiel: Seurats Ein Sonntagnachmittag auf der Insel La Grande Jatte) erinnert Georges blick auf die sonntags-idylle des verachteten bürgertums. M erkennt elemente des Berliner Tiergartens und des Bois de Boulogne in Paris wo das gedicht im september 1890 auch entstanden ist. Alles wirkt so unschuldig und beinahe liebenswert dass sich mancher sogar angezogen fühlen könnte. Etliche interpreten sprechen zu recht von anklängen an die lezte epoche vor der Französischen Revolution: das »galante« rokoko mit seinen leichtlebigen und verantwortungslosen »kavalieren« und den aufgepuzten parfümierten damen. Nur müssten sie dann auch erklären was die welt von 1750 in einem kurpark von 1890 zu suchen hat. Jedenfalls hält der Dichter es für angebracht die kürzeste vierte strophe der ausdrücklichen distanzierung vorzubehalten. Warum so mittendrin? »Um das gedicht nicht moralisierend enden zu lassen« · weiss M.
Das urteil ist aber vernichtend: »leere« verbirgt sich hinter dem fröhlichen schein und bezeichnet den eigentlichen inhalt bürgerlichen lebens. Das schlaffe sich-gehen-lassen war nie Georges sache. Das gegenteil - die taten - empfindet der bürger als »trübe« während er die eigene untätigkeit als »weise« deklariert. So wird ja auch heute noch das sichausruhen und nichtstun gern mit fernöstlicher weisheit gerechtfertigt.
Die schärfste verurteilung ist M ein wenig entgangen. Man sieht sie in dem einzigen wort des lezten verses. Der takt der ruderer vereint sich mit dem kirren eines mädchens - »einer kleinen/ Pompadur.« Die als Mlle Poisson geborene war die mätresse von Louis XV. und wurde als Marquise de Pompadour zum sinnbild einer dem volk verhassten bürgerlichen aufsteigerin die ohne moralische bedenken ihre reize einsezte um den monarchen von seinen pflichten abzulenken (ihn kirre zu machen) und dem volk zu entfremden. Damit wie auch als förderin der wichtigsten aufklärer ihrer zeit trug die Pompadour nicht wenig zur späteren revolution und damit zum ende der ständischen gesellschaft und des monarchischen prinzips bei. Man denke an Georges gestalt-konzept: er dachte in personen · und diese person war für ihn nicht unschuldig am aufstieg der verachteten modernen bürgerlichen welt. Indem alles auf ihren namen hinausläuft gibt George zu verstehen dass ihr amoralischer egoismus dem bürgertum jederzeit innewohnt - auch dem hier auftretenden: daher also dessen rokoko-anklänge. Das gedicht ist schon ebenso hasserfüllt wie die späteren zeitgedichte · doch ist der hass noch kunstvoll verschlüsselt (»klein« gibt der verführerin nur eine scheinbare tendenz zum harmlosen oder neckischen) und die welt der wohlhabenden darf auch mit ihren wohlklängen und düften so anziehend erscheinen dass die sehnsucht der armen ihr auch einmal anzugehören geradezu verständlich wird.
Die gleichzeitigkeit von fülle und leere verleiht dem gedicht seine besonderheit · aber auch die kunstvollen end- und binnenreime und die formen extremer verkürzung tragen dazu bei: der ungewöhnliche plural »zieren« meint den ganzen schmuck der Schönen · getragen am »arm« der aber eigentlich zweimal genannt werden müsste weil er auch den kavalieren gereicht wird. »Pauken schweigen« ist noch ein satz - die geigen aber bekommen ein adjektivattribut und müssen dafür auf das verb verzichten. Oder schweigen auch sie weil insgesamt das ganze orchester im kurgarten eine pause macht? Oder werden sie erst jezt hörbar wo die pauken verstummt sind? Solche unschärfen geben die impressionistische duftigkeit des ganzen. Spielerisch wirkt auch die fein angedeutete leichtfertige erotik der Schönen die dem kavalier am arm lauschen und gleichzeitig anderen »süsse« handzeichen geben (süss verweist häufig auf erotische zusammenhänge: schon beim sechzehnjährigen George im PRINZ INDRA) oder ihre parfüme sprechen lassen. Es geht um fragen · anbahnungen · nicht um bekenntnisse und leidenschaften.
George lässt sich von all diesen sinnlichkeiten nicht zu malerischer ausführlichkeit verleiten. Im gegenteil: dass die knappen vierheber ihnen nur so provozierend wenige worte widmen ist auch ein zeichen der distanz.
Nur ein einziger ort ist von der kritik des jungen dichters ausgenommen. Er nennt ihn in der vierten · also »seiner« strofe: »im bade« sei »wahre gnade« zu finden. Da wir uns an die badeanstalt in 105 erinnern wissen wir wie das gemeint ist. Allerdings müsste der sprecher inzwischen etwas mutiger geworden sein. Während das den konventionen entsprechende verhalten oberflächlich und unbefriedigend bleibt sezt der einzig sinnvolle vorgang die bereitschaft zum bruch der konventionen (wenn nicht sogar der gesetze) voraus. Dass der lohn für diesen bruch stolz und selbstbewusst ausgerechnet mit dem religiösen begriff »gnade« bezeichnet wird sezt die blasfemische tendenz der HYMNEN fort. Dieses gedicht hat wirklich gleich zweimal eine schluss-pointe und beide zünden richtig.
In Paris wo der Dichter vom fenster aus im gewebe des vorhangs die von platanenästen vor dem nachthimmel gebildeten wie in die gardine eingewobenen abschnitte betrachtet (ähnlich 101 · vierte strofe) entstand auch dieses gedicht. Hinter diesem vordergrund »ahnt« er sich erinnernd die dänische landschaft (ähnlich wie der junge dulder in 109 sich in die wunderlande träumte) die er noch vor wenigen wochen - wie M schreibt - siegreich in seine verse gebannt hat (M mildert damit die in dem »zepter« liegende eigene überhöhung zum königlichen herrscher etwas ab). Vierzehn jahre zuvor hatte es eine deutsche expedition zu der uralten hafenstadt Tyros (im heutigen Libanon) gegeben wo man die in der kathedrale vermuteten gebeine Friedrich Barbarossas ausgraben und zur beflügelung des nationalbewusstseins nach Deutschland bringen wollte. Hier steht Tyrus für das ziel der Georgeschen dichter-expedition und in der mischung aus erinnerung und fenster-ausblick steigen noch einmal motive der dänischen landschaft auf - nachts aber nur wie teer und tau schwarz und weiss ohne die farben die eigentlich einen so bleibenden eindruck hinterliessen. Ziel oder ergebnis dieser expedition war ebenfalls eine beflügelung: die stärkung des glaubens an sich selbst und seine dichterische berufung · direkt beschrieben in EIN HINGANG 109. Im nächtlichen Paris mögen George noch einmal zweifel gekommen sein. Sie soll der »rückblick« bannen in dem das als mütterlich empfundene meer und schiffe und schwäne in hymnischem ton dankbar angesprochen werden. (Schiffe und schwäne können als aufzählung · schwäne aber auch als metapher für schiffe verstanden werden - George führt hier motive von 109 und 111 zusammen). Übrigens ist »mütterlich« ein grosses und seltenes wort bei George (schon in PRINZ INDRA S5 fiel ja die abwesenheit beider mütter auf) und drückt hier eine ungewöhnlich enge gefühlvolle beziehung aus.
Es fällt auf dass die muse hier nicht einmal mehr kurz erwähnt wird. Um inspiration hat der Dichter sich mit seiner reise selbst bemüht · sorgen meer und schiffe · die »lebende weisheit« von der sich schon der klosterschüler alles versprach. Wenn 053 erst um 1900 entstand ist anzunehmen dass die rede vom aufbruch zu den wolken und wellen den bezug zu den nun schon zehn jahre alten Dänemark-gedichten herstellen sollte (wolken und wellen werden in 108 · 109 und 111 genannt) um die vorgebliche entstehung 1889 zu untermauern.
Aber auf eine mit musenkuss helfende göttin wird nicht gewartet. Dies zu unterstreichen ist die eigentliche funktion dieses gedichts im zyklus. Demnach wäre auch die fülle konsonantischer reime ganz ohne musenhilfe zustande gekommen: jeder vers wird von einem anderen konsonanten dominiert. Dieses hübsche spiel und die besonders ausgefallene wort- und bildwahl (Tyrus · zauber-au · teer und blumentau · die surrenden rehe) geben dem gedicht etwas manieriertes.
Oben auf der terrasse von Saint-Germain-en-Laye ist alles vorhanden: die vasen links vor dem aufgang zum park und ein weit entferntes götterbild · kraftfahrzeuge und ihre im sand verwischten "gleise". Durch einen grünstreifen getrennt liegt rechts von der fahrstrasse ein gehweg · begrenzt durch die "brüstung" · ein geländer aus eisen an dem ein flaneur ins tal blickt:
Zu sehen sind das viadukt über die Seine (1847 für die vom park nach Paris führende eisenbahn erbaut) · die vom laub der reben grünen hügel und die wipfel und "hütten" (der gemeinde Le Pecq). St.-Germain-en-Laye mit dem an einen ausgedehnten park grenzenden schloss war die alte residenz der französischen könige (Louis XIV. wurde hier geboren) und zur zeit Georges lockte die von André le Nôtre entworfene terrasse mit dem einzigartigen panorama touristen und spaziergänger schon seit jahrzehnten an.
Ein schmaler steg führte nach rechts zu einem aufzug der Le Pecq mit der terrasse verband. So war sie auch vom tal der Seine aus leicht zu erreichen.
Eine variation zu 105 und seiner auffassung jenes gedichts entsprechend sieht M auch hier die begegnung mit einer frau. Tatsächlich erscheint aber ein motorisierter »bote« und wird zur eigentlichen hauptfigur: wie vielleicht manchem der bote schon einmal interessanter als die post · appetitlicher als die pizza vorkam.
Von der brüstung der dreissig meter breiten und 2400 meter langen terrasse im seit 1864 restaurierten und öffentlichen barocken park von Saint-Germain-en-Laye - auch wenn Bozza (offenbar M missverstehend) alles in den Jardin du Luxembourg verlegt (2016, 239) - hat man einen blick hinunter auf die Seine die durch die begrünten hänge wie grünliches glas schimmert obwol sie eigentlich das himmelslicht reflektiert (ähnlich wie das meer in 111) und auf die von oben wie hütten wirkenden häuser in denen (wie in 102 vom sprecher aus gesehen) eine einfache bevölkerung glücklich (nicht wie der sprecher in einsamkeit) leben mag. Auf der terrasse stehen götterstatuen und grosse steinvasen und das geschehen sezt in dem moment ein als der schatten einer statue auf eine vase fällt. Morwitz der 1908 als zwanzigjähriger die terrasse mit George noch einmal besuchte - und dann noch einmal 1955 - stellte fest dass die abstände von vasen und statuen eigentlich zu weit für den beschriebenen schattenwurf waren und George sie nur im gedicht aneinanderrückte weil er dadurch einen bestimmten wiederkehrenden zeitpunkt darstellen konnte zu dem die sogleich ein »uns« und »du« schaffende begegnung mit der person im wagen erfolgt.
1884 war kaum zehn kilometer entfernt · in Puteaux die firma des Comte de Dion gegründet worden die dampfwagen herstellte wofür die metonymie vom heissen rade steht (in 206 findet George für ein anderes technisches wunderwerk seiner zeit - die riesigen gewächshäuser - eine ganz ähnliche dichterische bezeichnung: »heisse häuser«). Die breiten ebenen und geraden wege des ausgedehnten parks müssen für probefahrten wie geschaffen gewesen sein. Man ist versucht sich zu fragen ob wol der Graf bisweilen auch einem lehrling eine solche ausfahrt erlaubte. Die felgen dieser frühen automobile besassen schon speichen aus messingstäben: »wunderstaben« bezeichnet vielleicht diese speichen (oder die glühenden eisenstäbe des kessels?) ebenso wie vermeintliche buchstaben die das wunderbare der begegnung wie ein menetekel ablesbar machen.
Auffallend ist die starke verschlüsselung dieser entscheidenden stelle in die für einen wie ein blitz kurzen doch aufregenden moment ein nicht eigentlich genanntes fällt. Das tempo jener frühen automobile hätte nämlich gereicht um heute einen innerörtlichen blitz tatsächlich auszulösen. George konnte an diese moderne plage noch nicht gedacht haben doch dürfte ihn die neuartige schnelligkeit des gefährts durchaus an einen blitz erinnert haben. »Entgegen eil ich einem heissen rade« drückt das bisher nicht gekannte empfinden dieser schnelligkeit aus: ihm ist als würde er sich selbst so schnell bewegen.
Dass ein Göttliches im spiel ist (so kann das »ekstatische« gefühl des ohnmächtigen ergriffenseins im ersten moment der verliebtheit erklärt werden) ist der »erhöhten gnade« zu entnehmen und in der dritten strofe folgt der hinweis auf die muse die offenbar als federführend angesehen wird. Ihrer »gnade« scheint der sprecher das kurze glück zu verdanken. Die frage des sprechers ist - aufgrund des vertrauten du und vor allem des kennworts »weise« (vergleiche »die Wissensvolle« in 106) - an sie gerichtet · nicht an die göttin der statue. Schon in 109 scheint der »hingang« durch den von der muse aufgegriffenen und weitergeleiteten wunsch des »jungen dulders« eingeleitet worden zu sein.
Dazwischen aber liegt eine als lang empfundene nacht und am nächsten tag (die beiden punkte bezeichnen ebenso wie die im sand des fahrstreifens bereits verwischten wagenspuren den zeitlichen abstand) sucht der sprecher zum selben zeitpunkt diesen ort noch einmal auf (es gab direkt im parkgelände einen bahnhof) obwol er trotz grösster aufregung kaum an eine erneute begegnung glaubt (so dass er sich töricht nennt). Das sieht man an dem zweifelnden konjunktiv in dieser frage. Hat die muse wirklich die macht eine zweite begegnung herbeizuführen weil sie um deren bedeutung für den sprecher weiss?
Und diesmal kommt es tatsächlich nicht nur dazu sondern auch zu einem ganz kurzen blickkontakt · schön aber unkörperlich und vergänglich wie abendrot (aber doch länger als der blitz). Mit dem triumfgefühl dieses moments bricht die schilderung ab. »Du bist es« ist beides: antwort auf die frage ob die muse gross und weise sei. Und zugleich ausdruck des freudigen wiedererkennens. In diesem »du« werden muse und fahrer eins. Der gedanke ist vielleicht nicht zu gewagt: dass George bewusst geworden ist dass ihm die muse nicht in der traditionellen gestalt erscheinen kann.
Der rest folgt im präteritum und hat dank der zeitlichen distanz die enttäuschung - die der euforie unweigerlich folgen musste - schon souverän im griff. Das motiv der reflektion wiederholt sich nun auf anderer ebene: im auge des gegenübers vermochte der sprecher schon sich selbst als einen trauernden zu erkennen. Die botschaft war also - eine absage. Dennoch versucht er das beste daraus zu machen · verbannt nicht nur die botschaft sondern auch die anschliessende enttäuschung in das blosse unwirklich-vorausgedachte spiegelbild des kurzen moments (eine verkleinerung fast bis zum nichts) - preist den boten (nicht eine botin) zugleich als boten der muse und dafür dass er die hiobsbotschaft selbst überbrachte (ihm also gilt diese hymne) · sieht darin ein treuebekenntnis und freut sich über den bund der durch die wiederholte begegnung doch wenigstens für vierundzwanzig stunden entstanden zu sein schien und sich wiederum gleichermaassen auf den boten wie auf die muse bezieht.
Zu erkennen ist hier jene äusserste genügsamkeit die in der spielerisch zugespitzten minnesangvariation 110 noch eine nur behauptete war so dass der minnesänger hier durch George weil er wirklich ernst macht ausgestochen wird. Das trotzig-stolze (aber nicht humorvoll gemeinte) wunschdenken hat jedenfalls vor einer erneuten enttäuschung (wie in 105) und krise bewahrt - wenigstens im gedicht. Im leben half es George so wenig wie irgend einem anderen. Hier aber mag der hinweis auf die einzuhaltenden gesetze der gattung hymne · die den lobpreis zwingend verlangen - den vorwurf entkräften.
AUF DER TERRASSE ist ein vor allem für die konzeption der muse wichtiges gedicht. In ihrer eigentlichen funktion als spenderin von inspiration tritt sie im ganzen zyklus gar nicht auf: George braucht sie nicht. Das hat unmittelbar zuvor der RÜCKBLICK vor augen geführt. Bei der WEIHE küsste sie und in EIN HINGANG trauerte sie wie eine liebende ohne dass sie viel zurückbekäme. Dabei könnte sie dort bei der verwirklichung des todeswunschs des »jungen dulders« als mittlerin zu höchsten mächten mitgewirkt haben. Damit und erst recht hier »auf der terrasse« erinnert sie an eine dem Dichter persönlich verbundene schutzheilige · mehr katholisch denn antik. Dass es entgegen aller erwartung zu einer zweiten begegnung kommt wird ihrer macht zugeschrieben - aber da diese begegnung mit einer wenn auch geschickt beinahe ausgeblendeten enttäuschung endet hat sich die macht dieser patronin doch als sehr begrenzt erwiesen. In AUF DER TERRASSE beginnt somit der niedergang dieser kunstfigur auch in dieser funktion und sezt sich im folgegedicht fort.
Das gedicht bietet nur die antwort der muse auf offenbar höfliche worte die der Dichter an sie gerichtet hat - die aber bezeichnender weise für eine aufnahme in das gedicht nicht wichtig genug erachtet werden. George lässt sie mitwirken an dem bild des Entsagenden das er schon in 102 von sich zu entwerfen begann. Sein opfer des verzichts imponiert ihr und lässt George ihr »königlich« erscheinen - womit sie ganz nebenbei sein »zepter« und damit seine überhöhung von 113 beglaubigt. Zur bewertung der ihn begehrenden frauen hingegen legt George ihr worte in den mund die in ihrer verächtlichkeit an die ersten LEGENDEN zu erinnern scheinen. Er macht hier die göttin zu der er eigentlich ehrfürchtig aufblicken müsste zu einer ersten und unbedingt loyalen jüngerin die ihm in jeder hinsicht nur unterwürfig recht gibt. Angeblich freut sie sich nur deshalb nicht über seine »kalten ehren« (kalt da sie in einer nur verbalen zuwendung bestanden während seine wie sie wol glaubt wegen ihr erfolgte absage an die frauen nicht mit wärmender körperlicher nähe zu ihr einhergeht) weil sie die vorstellung umtreibt wie schwer dem sprecher dieses opfer fallen muss so dass er bestimmt dabei . . seufzt !
Ob musen auch irren können?
Falsch gefragt - diese göttin ist ja nur eine konstruktion Georges. Es ist gnadenlos wie er sie sich demütigen lässt · sich irren lässt · sie für seine propaganda-kampagne einspannt und sie in die tragische ironie treibt gar nicht zu merken wie recht sie hat mit ihrem wort von den »kalten« kalkulierten ehren. Und wie er sich selbst damit auf ihre kosten aufwertet als einer dem sogar eine göttin zu füssen liegt wie ein verliebter teenager.
Sie würde sich ihm nämlich gern selbst als ersatz darbieten - ihn »trösten«. Egal ob er sie wie ein herr befehlend (George verkürzt hier extrem) oder demütig flehend zu sich einlüde: ihre beiden wangen würden nicht vor scham erröten wenn sie ihn dann in seide badet und ihm auf purpurn gefärbten tuchen (ein anknüpfen an das in 113 genannte Tyrus wo seit ältester zeit purpur gewonnen wurde) gern »zu willen« wäre. Fast scheint sie sich damit selbst zu einer der »niedren mägde« zu machen oder genau gesagt: George der ihr die worte in den mund legt macht sie dazu. Der rote faden der blasfemie reisst auch nicht in diesem gedicht denn das szenario des stelldicheins mit einer göttin die sich dem Irdischen auch noch »freudig« unterwirft grenzt schon ein wenig an hochmut. Dieses stelldichein nennt sie verharmlosend einen »labetrunk aus hoher sfäre« und nur weil sie kein erdhaftes wesen ist - sie ist nicht kind einer irdischen mutter - kann es nicht zustande kommen. Als kind der wolken und himmelsfelder (ähnlich im zweiten vers von 113) kann sie keinen richtigen kuss geben (ein hübsches pars pro toto) sondern nur anderweitig sich für ihn verwenden: in der mythologie ist chaos jenes ur-nichts aus dem einige ganz frühe götter wie Tartaros oder Eros entstanden auf den das angebot zu fragen bestimmt nicht anspielt. Vielmehr ist gemeint dass ratschläge ausgerechnet aus dem chaos - für einen so formstrengen dichter - auch nicht mehr wert sein dürften als der schattenkuss. Ansonsten bleibt der nach 114 nun erneut ziemlich ohnmächtigen muse nur solidarisch mit ihm zu leiden · oder im besten fall mit ihm zu jubeln »wenn sie ihn durch sein Werk befreit sieht« (M). George hat die muse damit auf den status eines zuschauers gedrückt der im stadion applaudiert wenn sein verein siegte.
Das hier vorgeschlagene verständnis dieses gedichts erzeugt aber ein eigentlich unübersehbares probleme. Mit der dichterweihe begann der ganze zyklus. Der muse verdankt der dichter also seine aufwertung - dafür wurde sie erdacht. Ganz am ende des zyklus steht die nicht zum scherz gestellte frage ob er auch weiterhin auf diese muse bauen könne. Es kann daher hier in 115 unmöglich absicht des Dichters gewesen sein diese muse auf so peinliche weise zu demontieren und lächerlich zu machen dass mit dem verlust ihrer moralischen autorität dem anfang und ende des zyklus eine ernst zu nehmende grundlage entzogen wäre.
Zu recht nennt die muse das begehren der mägde dreist. Mägde haben einen könig nicht zu begehren - auch nicht einen dichter als könig im reich des geistes. Ihr eigenes begehren in der dritten strophe kann hingegen nicht ebenso als dreist bewertet werden: weder für sie noch für ihn wäre ein verhältnis sozusagen unehrenhaft. Der griechische mythos dem die muse entnommen ist kennt viele beispiele für körperliche beziehungen zwischen göttern und herausragenden erdgeborenen. Schon in 101 hatte doch das zittern der muse einen hinweis gegeben wie erregend sie den Dichter findet - ihre liebeserklärung kommt jezt nicht überraschend. Zudem weiss sie dass die liebesschwüre reine rhetorik bleiben weil die darin angesprochene körperliche beziehung in nach-mythischer zeit gar nicht stattfinden kann - sie sagt es ja selbst. Ein solches »als ob« ist den mägden fremd - ihr begehren war ernst gemeint. Ebenso gilt für den sprecher dass ihn die worte der göttin über alle anderen heben - er aber im hinblick auf weibliche annäherung auf der sicheren seite ist: wirklich stattfinden kann sie nicht. Man mag sich ärgern und es unverfroren oder ihn bewundern und es raffiniert nennen wie George sich von der muse loben und lieben lässt. Doch wer hier überheblichkeit wittert sollte nicht vergessen dass der Dichter selbst doch gerade erst - in NACHTHYMNE 110 - ein ähnliches preislied auf eine dame gesungen und sich selbst dabei bis zum sterbenden nachtfalter hinab verkleinert hat. Da sind die worte die er der muse in den mund legt noch bei weitem würdevoller. Indem die NACHTHYMNE die worte der muse hier in GESPRÄCH zu relativieren und zu entskandalisieren beabsichtigt bekommt sie im zyklus eine erste funktion. Sie schüzt den Dichter vor dem vorwurf die muse absichtlich gedemütigt zu haben.
Der bezug auf 110 wird vom Dichter selbst vorgenommen: Nach dem kurzen blick den er von der dame begehrt würde er - so versprach der sprecher dort - keine noch so geringe ehrung ihrerseits mehr beanspruchen · ja selbst dem »schatten einer ehre« nur spotten. Genau solch einen »schatten einer ehre« bringt die muse nun ins spiel wenn sie ihm einen - reichlich imaginären und das wort des sprechers von 110 aufgreifend - »schattenkuss« anbietet.
Dadurch wird die möglichkeit nahegelegt die NACHTHYMNE als den ersten teil des »gesprächs« zu verstehen - und GESPRÄCH als antwort darauf. Das minnelied NACHTHYMNE wäre dann von der muse genau richtig aufgefasst: als teil der »kalten ehren« · verstandesmässig ausgetüftelt wie jedes der lieder der hohen minne an die es anknüpft. Diese fleissarbeit · dieser talent-nachweis wäre dann im ganzen als eine blosse und im grunde spielerische ehrung der muse (gerichtet freilich nicht an sie, sondern an die ebenso fiktive dame) sinnvoll in den zyklus integriert und skeptische fragen ob einzelheiten im zweiten und dritten vers auf die muse bezogen werden könnten müssten nicht gestellt werden. Die NACHTHYMNE könnte dann zusammen mit dem ersten vers von GESPRÄCH als absage an eine derart leidenschaftslose dichtkunst aufgefasst werden. Eine verdammung wäre das nicht · wurde der hohe minnesang doch immerhin wahrgenommen und mit einer nachahmung geehrt.
Auf einer anderen ebene dürfte die grosse bedeutung von GESPRÄCH darin liegen dass hier eine distanzierung von der muse wenn auch einigermassen taktvoll eingeleitet oder - im blick auf 114 - sogar schon fortgesezt wird. In 101 hatte sie noch den höchsten stellenwert: Ihr erscheinen wurde freudig erwartet und mit der »weihe« tat sie was ihre aufgabe war. Am ende von 101 aber hat ihr machtverlust doch insgeheim schon eingesezt und das geheimnis wird in der finger-geste sogar sichtbar gemacht: es ist der Dichter der die muse führt und gebraucht wie er es wünscht. Daran knüpft - nach dem ehrenden zwischenspiel der LIEBESMAHLE I und VERWANDLUNGEN - 115 an: hier muss sie dem dichter bestätigen wie recht er mit der abweisung der »mägde« hat - ihm als könig huldigen und allen lesern vor augen führen wie sehr sie ihn als mann verwöhnen würde - wenn sie nur könnte. Das ist die radikalisierung der lezten strophe von 101. Das schlimmste aber: was eine muse eigentlich zu bieten hat - die inspiration - holt sich der Dichter ohne sie. Als schutzheilige versagt sie in 114. Als göttliche frau kann sie gerade einmal einen »schattenkuss« bieten: das ist ein anderes wort für: nichts ! und lässt die ahnung aufdämmern dass schon der kuss von 101 nicht viel besser war. Jezt endlich versteht man auch warum die muse sich in 106 »müd« fühlte.
Wozu also sollte der Dichter die zuerst so Herbeigesehnte künftig noch benötigen? Diese frage wird im lezten gedicht DIE GÄRTEN SCHLIESSEN gestellt werden dessen lezte strofe auch als abschluss des »gesprächs« verstanden werden kann obwol die muse dort - zeichen ihres niedergangs - nicht einmal mehr direkt angesprochen wird.
Das GESPRÄCH endet mit einer grossartigen pointe. Sie werde · erklärt die muse · mit dem Dichter dulden »wie ich deine duldung ahne«. Welches leiden des Dichters gibt sie vor nur zu »ahnen« wo sie dessen verzicht in der ersten strofe doch ausdrücklich schon zum thema machte? Da kann sie hier nicht dasselbe meinen. Es scheint als sei die muse doch nicht so naiv und ahnungslos gewesen als sie sich von den kalten ehren des wegen ihr entsagenden Dichters beeindruckt zeigte. Doch taktvoll hat sie ihr wissen verschwiegen · hat das spiel des Dichters mitgemacht · und doch gut zugehört und auch verstanden als der sie sechs zeilen zuvor »auf der terrasse« direkt anredete. Das geistreiche hin und her der andeutungen bezeugt wie souverän der zweiundzwanzigjährige seine »duldung« im griff hat. In 109 hatte sich der »junge dulder« noch seinen »hingang« vorgestellt.
Wie die vorigen entstand auch dieses gedicht in Paris doch verrät bereits die überschrift dass es sich um eine erinnerung an die Spanien-reise handelt. In einem der besuchten schlösser - der erste vers lässt an einen für ein schlossmuseum typischen raum denken - müssen gemälde von kronprinzen · dort infanten genannt · und königen George beeindruckt haben und wol aus verschiedenen erinnerungen entstand das hier im mittelpunkt stehende ovale porträt in goldenem rahmen für das laut M keine direkte vorlage aufzufinden ist. David hingegen glaubt an einen »Velasquez aus dem Prado« (1967, 42). Die äusserlichkeiten treten aber zurück hinter dem gedanken der George bewegt: dass der infant nach dem spielen in eben diesem damals noch nicht von besuchern begangenen kühlen und zugig-windigen saal der galerie schon im knabenalter verstarb und dieses schicksal ihm (wie schon dem hoffnungsvollen sohn in 0122) ersparte »zum finstern mann« werden zu müssen · eine bezeichnung die sich auf die anderen hier porträtierten könige bezieht. Das gedicht erinnert als verherrlichung des knabenalters bei gleichzeitiger abwertung der erwachsenenwelt deutlich an FRÜHLINGSWENDE 052. Der dem späteren Maximin-kult zugrundeliegende gedanke ist hier schon zart vorgeformt weil auch schon dieser knabe - erst recht falls es tatsächlich gar keine konkrete vorlage gab - eigentlich als »kind« Georges im sinne von 807 aufgefasst werden kann.
Die lezte strofe führt vor augen von welchen seligkeiten der junge geträumt haben mag: dass nichts anderes in seinem leben raum fände als das nächtliche spiel mit der elfenmaid (die man sich natürlich nicht als verführerin wie in 052 vorstellen darf: sie ist eben eine elfe) und dem stoffbespannten ball (der im gemälde auf einer konsole abgelegt dargestellt ist was das nachdenken über seine wünsche erst auslöste) in irdischen körpern nie erreichbarer leichtigkeit · während durch die granatroten buntglasfenster der mond hereinscheint (M denkt eher an mit granatkristallen geschmückte leuchter). Nur durch den vom schicksal beschlossenen tod konnte dieser traum wirklichkeit werden: nicht erwachsen werden zu müssen wird als gewinn gesehen.
DER INFANT ist aufgrund des so liebevollen und ausschliesslichen sich-hinein-denkens - denn von einem ich ist nirgends die rede ! - bemerkenswert und sollte auch von denen zur kenntnis genommen werden die so gern von Georges narzissmus reden. Freilich könnte man sich fragen ob der kindliche ballspieler nicht als variante des jungen dulders in 109 aufzufassen sei. Dort hatte sich der jugendliche sprecher sein eigenes frühes sterben als einen ähnlich glückhaften vorgang ausgemalt. Um ein reines liebesgedicht handelt es sich allemal: eigentlich eines von Georges schönsten.
Guido di Pietro · als dominikanermönch auch Fra Giovanni (»da Fiesole« · einem ort in der Toskana) · war ein maler der frühen renaissance und aufgrund seiner darstellung engelsgleicher gestalten nannte Giorgio Vasari ihn auch Angelico. Der ordensbruder schuf religiöse kunst auch für seinen eigenen konvent San Domenico in Fiesole · darunter die hier beschriebene Marienkrönung die George im Louvre sah. George ehrt dieses in breite und höhe mehr als zwei meter große bild als »die glorreich grosse tat« doch würde die bezeichnung als »tat« natürlich auch für das motiv passen. Die krönung Marias im himmel wird nicht nur zu Maria Königin am zweiundzwanzigsten august gefeiert · sie war auch thema der sakralen kunst und der marianischen hymnen im hochmittelalter. George wollte aber wol doch eher das kunstwerk · den künstler aber nicht eine episode aus der für ihn abgelebten religion ehren.
Die krönungs-szene ruht auf einem sockel mit sechs kleinformatigen darstellungen - »zierliche kapitel der legende« - aus dem leben des ordensstifters Dominicus: des »strengen ahnen« wegen seines asketischen lebens in Südfrankreich das während der Katharer-aufstände auch recht unruhig verlief und von George mit dem begriff »erdenstreit« zusammengefasst wird. Diese sechs darstellungen flankieren einen sitzenden Christus als »ewigen rat« im mittleren siebenten bild. Vom ursprünglichen kloster in Toulouse aus wurden brüder nach Spanien Frankreich und Italien ausgesandt: die »wirkungsvolle sende« (eine typische wortverkürzung) führte zu einer rasanten ausbreitung des ordens mit dessen gründer sich George wegen der verachtung des reichtums und des ernsten sendungsbewusstseins verwandt gefühlt haben dürfte. Das gedicht aber preist vor allem den maler dessen bilder für ihre leuchtende farbigkeit berühmt wurden. Diesen farben gilt die ganze zweite strophe. M verweist auf einen rötlich-violetten schiefer in der gegend um Bingen mit dem man wie heutige kinder es mit kreide tun auf die strasse malen konnte. Doch wird das so anstrengend gewesen sein dass die farbe am ende eher den kindergesichtern entnommen wurde. Der nicht teure und im mittelalter weit verbreitete indigo wurde aus der heimischen waidpflanze gewonnen - das waschen der blätter war der erste arbeitsschritt nach der ernte. Wichtiger dürfte sein dass George in dieser strofe den zum Angelico gemachten maler der erde wieder näherbringen wollte indem er ihn sich seine farben in der von George immer geschäzten einfachen ländlichen welt wie der seiner eigenen kindheit holen lässt. Dahinter könnte sich auch ein poetologisches bekenntnis verbergen.
Während die dritte strophe Christus gilt der die »erste« also höchste krone verleiht stellt die vierte schliesslich den hymnus auf Maria dar - im frühen christentum als Christi jungfräuliche braut (als erste »christin« im grunde alle gläubigen symbolisierend und sie nun mit Christus in engste verbindung bringend) verehrt. Ihre kindlich-demütige geste dürfte George gefallen haben. Georgescher fantasie entsprang wol auch die vorstellung dass Christus neben den hier »sänger« genannten Heiligen (meisterlich verkürzend: sieger in den augen der Chariten und sieger über die Medusen) auch antike helden (wie Perseus der die Medusa besiegte) und künstler (die von den Chariten · also den drei grazien als sieger geehrt wurden) in seinen himmel aufgenommen und antike und christentum also versöhnt habe.
Aber eine im modernen sinn objektive kunstgeschichtliche beschreibung war natürlich nie beabsichtigt. Das gedicht ist ein beispiel für die methode der einfühlung und unverhohlen subjektiven aneignung die später sogar die auffassung von wissenschaft im George-Kreis prägte und von den gegnern als unwissenschaftlich bekämpft wurde.
traufe: wie in triefendnass ein hinweis auf die starke feuchtigkeit (eines regnerischen herbstabends).
So wie nun die HYMNEN abzuschliessen sind geht auch die saison der gärten und parks zu ende - sie wurden aber auch jeden abend geschlossen. Die schönen ererbten und nun schon öffentlichen parks - im zeichen der demokratie heute dem müll der nächtlichen horden ausgeliefert - wurden damals gepflegt und wertgeschäzt. Hier ist es herbst und abend zugleich denn die heissen monate der spanischen paläste · des dänischen strandsommers und der Pariser platanen und schattenspiele sind vorbei · es wird schon früh dunkel · die nebel legen sich über die parklandschaft mit ihren weihern und dem fallenden laub · und farben sind schon nicht mehr erkennbar. Hier mag es sich um einen schlossgarten mit der begräbnisstätte einer fürstlichen familie handeln: doch steht der garten eben auch für die HYMNEN selbst. Die statuen werden nachlässig als Apolle und Dianen bezeichnet: welche antiken götter sie tatsächlich darstellen spielt keine rolle mehr - sie sind bloß noch gartenschmuck und wie die ähnlich müde muse (106) nicht mehr wirkmächtig: noch immer schöne souvenirs einer vergangenen zeit. Trotzig wird auch ihnen noch ein bisschen leben zugesprochen: wahrscheinlich weil die lästigen besucher wie schon in 104 nicht mehr strömen fühlen sie sich glücklich. Ähnlich einfühlsam ist der umgang mit der beetbepflanzung. Während dahlien klassische herbstblüher sind (die allerdings nicht duften) können rosen und levkojen noch eine nachblüte haben. Auf die künstlichkeit der anlage in die sie gezwungen sind (so wie die 18 »hymnen« in strenger anordnung) wird deutlich hingewiesen. Statuen und pflanzen haben gleichermassen genug und scheinen sich auf ruhe und nacht zu freuen.
Dass auch die fragen die der sprecher an sich selbst richtet skeptisch und müde klingen möchte ich nicht behaupten: ob sich seine hoffnungen erfüllt haben und ob er noch immer auf »ihre« worte baut. Nur weil die muse in 101 nichts sagte muss uns nicht verboten sein den bezug zu ihr herzustellen. Dass sie den Dichter segnete und weihte war doch äusserung genug: für den geküssten die bestätigung seines auftrags und seiner sendung. Nun scheinen daran wieder zweifel erwacht zu sein: sicher nicht im blick auf das geleistete sondern auf die bevorstehende aufgabe.
Auch dürfen die mitfühlend-feuchten augen der muse in 109 und ihre eindringlichen worte in 115 nicht vergessen werden die zwar eine geradezu bedingungslose loyalität zusicherten. Aber diese loyalität bestand aus vielen konjunktiven und einem schattenkuss. Wie kann er da noch »auf ihre worte bauen«? Die antwort kann nach 115 nicht mehr fraglich sein. Die HYMNEN können gelesen werden als ein lösungsprozess von der muse und damit von der litterarischen tradition. Natürlich hat sich in den HYMNEN erfüllt was George sich als dichter erhoffte. Aber bei der muse will er sich nicht mehr bedanken müssen für eine leistung die er ganz allein erbrachte. Weil hymnen nicht für kritik und streit um eine entlassung taugen wird die kündigung taktvoll in eine frage gepackt.
Die bezeichnung als pilger weist nicht nur auf die PILGERFAHRTEN voraus · sondern zeigt wie sehr sich der einzelgängerische Dichter (um ihn geht es besonders im hinblick auf die ähnlichkeit von stab hier und griffel in 102) als einer empfindet der - den sesshaften bürgern nicht zugehörig - nun aufbrechen muss. Wenn man die HYMNEN in beziehung zu DER SCHÜLER 053 sezt haben sie ihn allem ein wenig näher gebracht wofür er das kloster verlassen hatte: leiber blumen wolken und wellen. Auch die erwarteten leiden haben sich eingestellt. Man darf durchaus - wenn die these von der späten entstehung von 053 zutrifft - die HYMNEN als direkt an den SCHÜLER anschliessend denken. Die achtzehn gedichte haben aber die ziellosigkeit des schülers bei seinem aufbruch im grunde beibehalten. Sie waren - im bürgerlichen sinne - »umsonst«. Zwischen in betäubung herbeigezwungener weihe und aufbruch liegen eine verzichtserklärung · ein belangloser ferienausflug · ein hinsinken in der mittagsglut · eine begegnung ohne blickkontakt · ein selbst im rausch nur vielleicht erscheinendes bild der muse · eine kindheitserinnerung · eine anrede an die auch nur vorgestellte muse · eine todesfantasie · eine zweite todesfantasie die nur einer literarischen vorlage folgt · eine ebenso nur gedachte lustvolle vereinigung · das scheinbar süsse nichtstun der anderen auf sommerlicher promenade · das potenzierte nichts: die erinnerung an bereits bekannte motive · eine begegnung mit blickkontakt der keine hoffnung lässt · die erdachte antwort der muse die - potenzierung des unwirklichen - einen schattenkuss anbietet · die beschreibung der abbildung eines verstorbenen knaben und seiner möglichen träume (noch eine potenzierung) · die beschreibung der abbildung einer himmlischen also per se schon unwirklichen szene. Es ist eine fast menschenleere niemals hässliche welt mit toten · statuen · fantasmagorien und wer tatsächlich lebt ist nicht interessant oder nicht interessiert oder verboten: zu keinem wird auch nur ein wort gesprochen · nur zu Erdachten oder Vorgestellten.
Die schliessenden gärten geben ein leztes und extremes bild von dieser welt. Vielleicht ist »pforte« aber das wichtigste wort. Es zeigt dass dieses achtzehnte gedicht sich abendlicher erschöpfung verdankt · doch keiner todessehnsucht. Schlaf und tod sind nicht einfach dasselbe. Nur die toten blätter zieht es zur gruft. Es gibt einen ausgang aus den gartenanlagen der décadence die man nur nicht zu lange geniessen darf und ein pilger hat Höheres im sinn als untätig in morbiden parks zu verweilen. Die welt der HYMNEN die sich schlafen legt wird weiterleben · doch er wird ihr morgen nicht mehr angehören. Schon jezt ist nicht einmal ganz sicher ob er sich überhaupt noch innerhalb des gartens befindet.
Die HYMNEN sind ein schöner hohn auf bürgerliche religiosität und lebensformen · setzen zielstrebigkeit und alltagswelt stolze verachtung entgegen und bezeichnen mit der entmachtung der jahrtausendalten muse selbstbewusst den beginn einer neuen kunst deren schöpfer künftigen beistand ganz aus sich selbst bezieht. Aber auf welch zarte und taktvolle art wurde die muse entlassen ! Nie wurde sie kritisiert · ihre ohnmacht liess George sie selbst aussprechen und die kündigung wurde hinter einer frage verborgen. »Müd und wunderbar« sollte sie im weihrauchwirbel als Gemalte noch einmal erscheinen (106): nurmehr relikt einer vergangenen zeit ähnlich einem greisen staatsmann oder den in Stettlers RAT DER ALTEN Versammelten hört man ihr wort noch immer mit respekt · verfügt sie noch immer über eine mythische aura · und deshalb war es für George nicht umsonst sich von ihr weihen und bestätigen zu lassen.
»Ward dein hoffen deine habe?« Im rückblick auf die HYMNEN darf nicht vergessen werden dass die frage noch in eine zweite richtung zielt. Die verpassten begegnungen in 105 und 114 verbieten die bejahung und lassen vermuten dass die PILGERFAHRTEN auch einem ziel gelten werden das in den HYMNEN nicht erreicht wurde.
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