4 DIE BÜCHER DER HIRTEN- UND PREISGEDICHTE · 
DER SAGEN UND SÄNGE 
UND DER HÄNGENDEN GÄRTEN 

43 SAGEN 4301-11
44  SÄNGE EINES FAHRENDEN SPIELMANNS 4401-14
 

43  SAGEN 4301-11

4301 SPORENWACHE

edelknecht: angehender ritter vor dem ritterschlag · aus adliger familie.

Das dritte jahrsiebent bildete die lehrzeit eines knappen der ja adliger abstammung ist und deshalb edelknecht genannt wird. Mit der schwertleite begann danach ein neuer abschnitt im leben des jungen ritters. In der nacht vor dieser zeremonie in der ihm in der burgkapelle von seinem herrn neben dem schwert auch helm und neue sporen verliehen wurden musste er wachen und - das gedicht weist darauf schon voraus  oder nimmt es geradezu vorweg - am morgen die busse ablegen. Diese nacht beim altar der kapelle war die sporenwache. Über den altar ist ein weisses tuch gebreitet - daher wird er hier zelt genannt. 

mal: grabmal · hier mit einem engel als schildhalter. An den toten ahnen erinnert eine liegende aus stein gehauene skulptur in ritterrüstung. Es könnte sich auch um ein relief handeln.

einfalt: hier eine bezeichnung für die geradlinige unverstellte wesensart des jungen manns. 

Man kann diesen jüngling als die mittelalterliche entsprechung zum hirten aus 4104 auffassen. Ihr weg in das hochgefühl religiöser ergriffenheit ist beider gedichte thema. Bemerkenswert sind die unterschiede: Der edelknecht ist nur deshalb allein weil ein »gesetz« es vorsieht. Er »muss«. Angesichts des rittergrabs ordnet er sich der ihn verpflichtenden standes-tradition seiner adligen familie unter. Er hat religiöse formeln gelernt von denen er sich hier allerdings nicht mehr binden lässt. Aber sein sündenbewusstsein macht ihn klein und lässt ihn leiden - ausgelöst durch ein mädchen. Er hat es nicht berührt - ungewollt erschien nur kurz ihr bild vor seinen augen. Er sieht noch gar nicht die frau in ihr und stellt sie sich nicht etwa unbekleidet vor. Und doch genügt es dass er vor sich selbst so erschrickt dass ihm erst kalt und dann heiss wird. Seine abergläubische angst vor der bedrohung durch das böse versucht er mit einer ebenso abergläubischen geste abzuwehren. 

Doch die angesichts der harmlosigkeit der mädchenvorstellung geradezu lächerlichen gewissensbisse werden erst durch die vergebende geste des christuskinds (»offen seinen arm« ausstreckend) gewissermassen aufgehoben. Das schafft die dankbarkeit die in dem schwur gipfelt sich künftig willenlos dem kampf der christlichen ritterschaft ein- und unterzuordnen. Die selbstdisziplinierung aber · der in der vorlezten strophe thematisierte kampf gegen die eigene »schwäche« wird nie zu ende gehen und vielleicht nicht auf dauer gelingen. Der junge ritter ist übrigens auch die gegenfigur zu dem SCHÜLER der sich den weg zu den schönen leibern nicht von klosterbrüdern verbieten liess (vgl. 053). 

Wenn man die freiheit und den stolz des antiken hirten gegenüberstellt ist es nicht schwierig zu verstehen dass das christliche zeitalter keineswegs als höhere stufe aufgefasst wird. Der hirte brauchte kein christuskind mit vergebenden armen denn ihm hat niemand seine sündhaftigkeit eingeredet. Zwar hat der edelknecht die für sein zeitalter höchste bewusstseinstufe ebenso erreicht wie der hirtenjunge und ist 4301 nicht sofort als antichristliche propaganda zu erkennen. Aber gerade das macht gelungene propaganda aus. »Hellas ewig unsre liebe« (6107) gilt in den BÜCHERN schon genauso. 4301 liefert die begründung. Wie üblich bei Stefan George ist es nur indirekt gegen das christentum gerichtet: niemand käme auf die idee den edelknecht gering zu schätzen. Trotzdem wird die welt des hirten damit besser erkannt und aufgewertet.

4302 DIE TAT

ähnelt trotz des triumfalen ausgangs eher einem amoklauf. Er wird ausgelöst durch das gefühl des gegenüber dem vorigen gedicht jüngeren knappen bei einer frau keine beachtung zu finden. Aber schon davor wird deutlich dass er sich gern als mann der tat sehen würde: er hofft im spiegel des brunnenwassers einen helden erkennen zu können. Zu einem richtigen helden passt freilich nicht ganz dass ihn die vermeintliche missachtung durch die frau so aus der bahn wirft dass er stundenlang weint und gar nicht wahrnimmt wie heiss inzwischen die sonne vom himmel brennt. Das spricht ebenso für sein noch eher »knabenhaftes« gemüt wie zuvor das verspielte aber unsinnige werfen von kieselsteinen in den brunnen.

In diesen stunden von »trotz und trauer« reift wol der entschluss ausgerechnet am abend in die wälder aufzubrechen die eigentlich allen anderen - die ihn davor auch wolmeinend warnen - das herz vor angst klopfen lassen. Dass er ganz ausser sich ist erklärt denn auch dass er allein mit einem degen ein giftiges feuer speiendes ungeheuer überwältigt. Erst danach beruhigt sich sein inneres und er begibt sich beim schein einer fackel auf der bahn die er beim hinweg durch das gestrüpp schlug zurück. Ausserhalb des waldes orientiert er sich schliesslich - immer geradeaus blickend - an der linie zwischen dem helleren nachthimmel und dem boden (bis er so den umriss der elterlichen burg erkennen kann). Wenn M im gegenteil meint er setze »ohne Verzug seine Bahn der Abenteuer fort« macht das aus mehreren gründen gar keinen sinn und lässt die von George betonte beruhigung seines wesens (die ihm auch das »schöne« wiedergibt) ausser acht. Es sei ihm gewünscht dass er die liebe seiner Melusine vielleicht doch noch gewinnt wenn er mit diesem sieg noch einmal vor sie treten kann.

4303 FRAUENLOB

Die überschrift lässt einigen humor erkennen. Denn das lob von frauen hält sich hier in engen grenzen. Tatsächlich war Frauenlob der beiname eines späten minnesängers · Heinrich von Meissen · und dieser name bezieht sich auf seinen marienleich · ein umfangreiches in der Manesse-handschrift überliefertes gedicht über die heilige Maria während George hier den eindruck erweckt als habe der sänger tagein tagaus den frauen als »priester ihrer schönheit« gedient - ohne dafür in irgendeiner weise entlohnt worden zu sein. Wegen seines ausgeprägten selbstbewusstseins war Frauenlob zu lebzeiten nicht unumstritten. Es kommt auch hier zum ausdruck wo Frauenlob selbst als sprecher auftritt. George wird dieser charakterzug die identifikation nicht erschwert haben.

schneckenbögen: voluten

mit hohlen gängen: laubengänge

levante: die länder des östlichen mittelmeers. Von dort wurden kostbare stoffe bezogen.

Schliesslich stellt Frauenlob der schon den tod nahen fühlt sich sein eigenes begräbnis vor wobei er endlich einmal von frauen gelobt wird. Nun erweisen sie ihm »königliche ehre« und weinen um ihren toten bewunderer. Georges idee dürfte ausgelöst worden sein durch Alfred Rethels spätromantische zeichnung »Bestattung Heinrich Frauenlobs durch edle Frauen« aus der mitte des neunzehnten jahrhunderts in dem Frauenlob noch einmal populär wurde. In diesem bild tragen frauen einer legende entsprechend seinen sarg. In Mainz wo Frauenlob im dom bestattet liegt ist ein grosses gymnasium nach ihm benannt.  

Doch sei noch einmal daran erinnert dass die frauen dem sänger in der realität des gedichts eben gerade keine anerkennung zollen der deshalb auf »ein ganzes leben dunklen duldertums« zurückblickt. Man fühlt sich ein wenig an den George der HYMNEN und PILGERFAHRTEN erinnert der sich in 109 ebenfalls »dulder« nannte. 

4304 TAGELIED

I,8 : missgeschick: hier das unglück der näher rückenden trennung der liebenden

II,2 : "fürder" ist direkt aus dem mittelhochdeutschen übernommen für "künftig". Gemeint ist hier der schwur des sprechers dass ihm sein gegenüber - genauer: dessen "leib" - wie bisher auch in zukunft "keusch" · und damit unantastbar sei. Dessen leib wird anschliessend auch "heilig" (II,6) genannt. Es handelt sich demnach nicht um eine sexuelle beziehung. 

III,7 : vorlezter vers: betonung auf »dann«

Ein tagelieddialog wie aus den besten zeiten der minnesänger: es geht um die klage über den abschied nach gemeinsam im haus (also der kemenate) der frau verbrachter nacht. Wenn morgens der wächter ruft ist für den mann die zeit zum aufbruch gekommen. Hier ist es noch längst nicht so weit denn der morgen graut noch kaum. Doch bekümmert das bevorstehende die frau so sehr dass sie nicht mehr als zweimal zwei verse herausbringt während der tatenfrohe mann sie mit versprechungen wortreich zu beruhigen versucht. Dabei verweist er stolz auf seine selbstbeherrschung weil seine anfangs genannten »freuden« auch in den verbleibenden stunden sich auf das »beschauen« beschränken und er ihr bis zum abschied so ehrfurchtsvoll wie sonst nur einem engel oder gar Gott begegnen werde. Der frau wird - in der denkweise des hohen minnesangs - dadurch der ethisch hohe wert des sprechers bewusst gemacht. Das begründet wiederum die wertschätzung die sie ihm entgegenbringt.

Und bei künftigen turnieren oder im kriegerischen gefecht werde das seidentuch mit ihrem namen die rolle eines glücksbringers spielen (so dass ihm - wie viele männer werden schon ähnliches versprochen haben - also nichts passieren kann). Der in allzu selbstgewissem ton vorgetragene verweis auf die magischen kräfte des edlen stoffs - ob er selbst tatächlich an sie glaubt bleibt offen - wird nur knapp und verhalten beantwortet. Sie ahnt dass ihre unmittelbar bevorstehenden abschiedstränen vielleicht nicht die einzigen bleiben werden. Während der mann in durchaus wolmeinender absicht meinte die geliebte auf recht leichtfertige weise trösten zu können lässt sie sich nichts vormachen · spricht das von ihm für überflüssig erklärte gebet erst recht · erspart ihm aber doch taktvoll den ausdrücklichen widerspruch .

George hat nie blosse kopien von originalen abgeliefert. Hier lässt er keinen mittelalterlichen ritter sprechen. Dem hätte ein seidentuch nicht das gebet ersetzen und ein schöner leib nicht dieselbe ehrerbietung wie ein engel oder Gott abnötigen können. Unter den klassischen minnesängern kam allenfalls Morungen einmal in ähnliche nähe zur blasfemie. Wie oft im minnesang wirkt auch bei George die frau fast schon überlegen in ihrer nüchternen zurückhaltung. Es darf aber auch angemerkt werden dass sie in 4304 nie ausdrücklich als frau angesprochen · von ihm bei aller zuneigung doch eher wie ein kind behandelt wird und George im Kreis den von ihm verliehenen namen auch einige bedeutung beimaass. 

Viel mehr als der alte minnesang beeindruckt Georges TAGELIED als ausdruck tiefer und beiderseitiger liebe ohne dass das hohe ethos auch nur die geringsten einbussen erführe. Im gegenteil: während das mittelalterliche tagelied morgens offenlässt oder gar augenzwinkernd andeutet was in der nacht sich abspielte findet sich ein höhepunkt dieser art bei George ausdrücklich nicht. Die frühen morgenstunden sind daher die unverminderte fortsetzung der nächtlichen "freuden" und nicht lediglich nachspiel und ausklang. Dass "auch fürder" entschiedene keuschheit herrschen wird tut dem "glück" des zusammenseins keinen abbruch. "Leib" und "inbrunst" machen deutlich dass die erotik nicht verbannt ist aus der entsexualisierten beziehung. Für Georges liebes-ethik dürfte das gedicht von zentraler bedeutung sein.

4305 IM UNGLÜCKLICHEN TONE DESSEN VON . . .

Das gegenteilige extrem des weiblichen empfindens wird in diesem minnelied dargestellt. Hier wird wie so oft im minnesang dick aufgetragen: was M die »Intensität des einseitigen Liebens« (des mannes) nennt ebenso wie die geringschätzung durch die herrin und schliesslich die unerschütterlichkeit des ritterlichen sängers der trotz aller verletzungen durch kämpfe und die gleichgültigkeit der frau nicht nachlässt im lob der dame. Deren zynisches verhalten ist freilich die vorausetzung dafür dass er seine ethische qualität so eindrucksvoll demonstrieren kann. Bemerkenswert ist die idee den worten des mannes die form eines briefes (als schriftrolle) zu geben und diesen so einzuleiten dass der leser darüber sogleich in kenntnis gesezt wird. Sich selbst mit einem toten gleichzusetzen steigert zugleich die wirkung der klage auf das publikum des vortrags - worauf der minnesang ja immer bedacht war. Natürlich steht die für den tod verantwortliche fest. Schon bei Heinrich von Morungen wurde die herrin »toeterin« genannt.

4306 IRRENDE SCHAR

Wie in Wolfram von Eschenbachs Parzival werden hier gralssage und templerorden zusammengebracht. Denn dass mit der irrenden schar die templer gemeint sind - dazu als symbol - war schon M klar. 

Der ritterorden der Templer entstand nach der eroberung Jerusalems zur sicherung der pilgerwege. Er war dem papst unterstellt und nicht etwa dem könig von Jerusalem oder sonst einem weltlichen herrscher. Sie wurden deshalb oft als staat im staat bezeichnet und als staat bezeichnete sich ja viele jahre später auch der Kreis selbst. Das gedicht deutet also an wie früh George von einem solchen konzept fasziniert war.   

Ihr grossmeister residierte auf dem Tempelberg. Ein tempel«herr« (denn er war ja adliger herkunft) war zur keuschheit verpflichtet und hatte dem orden sein leben lang zu dienen. Die ritter widmeten sich auch wohltätigen zwecken - in der vierten strofe wird etwa auf die segensreiche wirkung der hospitäler angespielt. »Drob« also darob oder deshalb (nicht droben) jubelt ihnen das volk zu - genau so wie es anderentags wie schon zu beginn gezeigt den rittern nur mit hass begegnet. Denen ist das urteil der masse aber ohnehin gleichgültig obwol sie für das heil der anderen selbst leid auf sich nehmen. Das sie antreibende motiv wird in der zweiten strofe angegeben: es ist die wiederherstellung eines von aller not freien goldenen zeitalters oder die errichtung einer glücklichen - das heisst schönen - welt auf erden (in diese richtung deutet die vorstellung mit einem goldenen pflug (das motiv stammt von Hesiod) zu ackern) die der welt ihrer eigenen ursprünglichen und im mythischen liegenden herkunft entspricht. Konsequent hat George hier alle im christlichen glauben wurzelnden antriebe durch antikische überdeckt. Das volk versteht derlei uneigennützige beweggründe natürlich nicht und empfindet die rätselhaften jungen männer als »irrende schar« aus einer anderen welt. 

Die werden aber auch älter und verbringen den »späten abend« ihres lebens mit festlichem gesang in den »unvergänglich neuen und schönen hallen« der gralsburg wo das heiligtum des grals - hier »Höchstes Licht« genannt - ihr alter mit einem milden licht verklärt. Wenn der gral ursprünglich eine schale war in der das blut Christ aufgefangen wurde ist die vorstellung nicht so abwegig dass er in den besitz der tempelherren gelangte.

Über den verbleib dieses besitzes ist viel spekuliert worden. Jedenfalls sah sich der papst schliesslich gezwungen den templern seinen schutz zu entziehen. Der durch seine militärische stärke und schenkungen mächtig gewordene orden wurde nach der muslimischen rückeroberung des Heiligen Lands verboten und den rittern der prozess gemacht. Dabei spielte der zu beginn des gedichts genannte »böse blick« in form erfundener gerüchte die wesentliche rolle: angeblich seien sich die tempelbrüder allzu nahegekommen. Im SIEBENTEN RING hat George den templern noch ein bekanntes programmatisches gedicht gewidmet (7209).

4307 DER WAFFENGEFÄHRTE I

Auch hinter Justinus Kerners um 1900 jedem bekannter ballade »Preisend mit viel schönen Reden« (1818) steckt eine sage: wie sich der erste herzog von Württemberg · der gründer der Tübinger universität · rühmt dass er als einziger fürst im schoosse jedes seiner untertanen einschlafen könne ohne böses befürchten zu müssen. Tatsächlich war Eberhard im Bart populärer als irgendein politiker heute. Im schooss eines hirtenknaben schlummert der marmor-herzog seit 1881 im Mittleren Schlossgarten in Stuttgart. Gleichwol verführt der populäre moralismus die studenten dazu sich des namens ihrer Eberhard-Karls-Universität zu schämen und die lezten spuren der vergangenheit mit einer bigotten zuckerschicht zu verdecken.

Allerdings gibt M als vorlage ein bronzerelief im Konstanzer dom an. Aber auch im gedicht liegt der ältere im schooss des jüngeren sprechers und dass die für George-gedichte völlig ungewöhnliche und hier ansonsten nicht notwendige erwähnung eines barts (erst recht bei einem sympathie-träger eigentlich ein unding) kein hinweis auf den beinamen des lezten grafen von Württemberg sein soll möchte man nicht annehmen. 

Man könnte sich die beiden waffengefährten durchaus als tempelritter vorstellen. Hier ist sich der sprecher seiner jugendlichen unbedachtheit bewusst geworden. So hörte er nicht auf den wolmeinenden rat sich vom »sündeschloss« fernzuhalten wohin ihn »süsse stimmen« sirenengleich lockten. Aber er ist dankbar dass der ältere »bruder« ihn durch sein körperliches eingreifen vor dem erotischen abenteuer bewahrt hat. Dieser ist vorbild und erzieher zu einem anständigen lebenswandel und kann dabei wie gezeigt wachsweich mild oder auch eisenhart auftreten. Unter bezug auf diesen vers hat Cajo Partsch schon als fünfzehnjähriger den älteren waffengefährten mit seinem mentor identifiziert: »Das ist genau Helmut« (Küpper) und das ganze »wundervolle« gedicht in sein tagebuch abgeschrieben. (2014/15, 224). Beim zweiten zusammentreffen mit George am ersten februar 1930 durfte er erstmals vorlesen und wählte dieses gedicht aus. 

4308 DER WAFFENGEFÄHRTE II

Den sieg im kampf gegen eine feindliche übermacht hat der ältere freund mit seinem leben bezahlt. Gerade in seiner noch jugendlich wirkenden unsicherheit lässt der nun auf sich allein gestellte doch den erfolg der erziehung deutlich erkennen. Die ähnlichkeiten mit den tagebucheinträgen von Partsch während der berufsbedingten abwesenheiten Küppers sind frappierend.

4309 VOM RITTER DER SICH VERLIEGT

Ein ritter dessen kriegerische tatkraft unter seiner sehnsucht und verliebtheit leidet »verliegt« sich. Dann würde er morgens nicht so entschieden wie in 4304 zum abschied drängen sondern noch ein wenig liegen bleiben.

Hier befindet sich der sprecher offensichtlich in einem vergleichbaren raum und hört im burghof ein tor anschlagen. Das geräusch löst vorstellungen in ihm aus die darauf hindeuten dass er im grunde doch fast lieber ein mehr tatbetontes ritterliches leben führen möchte. Er malt sich aus wie die gewappneten reiter unter den besorgten weiblichen abschiedsrufen vom balkon aufbrechen oder wie gäste unter einer weinlaube vom burgherrn bewirtet werden und sogar der klang einer laute zu vernehmen ist. Das erinnert ihn an zeiten wo er vielleicht als knappe ein »ahnungsloses« aber doch schönes leben führen konnte in dem er noch nicht hin- und hergerissen war. Dass die frau bei der er doch wol eigentlich liegt schon gar keine erwähnung mehr findet verwundert sicher nicht allzusehr. Das sich-verliegen macht also keinen richtigen ritter froh. Manchmal denkt man wirklich schon an den STERN DES BUNDES.

4310 DER EINSIEDEL

In ein breit angelegtes bild des mittelalters gehört sicher auch der einsiedler der in der selbst gewählten einsamkeit gott ganz nahe zu kommen versucht. MIt dieser figur hat der EINSIEDEL aber nicht viel gemeinsam. Schon das offene fenster ist ein fingerzeig dass ihn das leben draussen durchaus noch interessiert und die reben- und holunderblüte steht gewiss nicht für weltverneinung. Vor allem aber möchte er sein einsiedlertum doch eigentlich aufgeben wenn er sich wünscht dass der junge mann bei ihm bleiben möge. Der aber kam nur um sich kurz auszuruhen und trösten zu lassen angesichts der niederlagen die ihm das leben bereitete. Seinem alter entsprechend locken ihn ruhm und waffentat mehr als frieden und sicherheit. Der sprecher nimmt es in beherrschter resignation hin. Er kennt weder bevormundung noch besitzanspruch und die nicht etwa willkürliche entscheidung der höheren mächte bejaht er mit dem begriff »sorgen« letztendlich. Darin liegt seine frömmigkeit. Aber statt von gott spricht er von den himmeln. Er ist eher ein vertreter der antike und nicht so sehr des christentums. 

Hildebrandt hat recht wenn er darauf verweist dass George eigentlich kein freund eines »leichten und sichern friedens« war (1960, 79). Umso eindrucksvoller zeigt der Dichter mit dieser wortwahl das im grunde vorbildliche liebevolle besorgtsein des älteren der sich zu recht sorgen um das leben des jungen draufgängers macht. Deshalb auch ist die formulierung »der himmel sorgen« genau richtig getroffen. Es sind nur andere aber ebenso berechtigte sorgen: dass dieser zur tat geschaffene junge unter der obhut des einsiedels seiner bestimmung nicht gerecht würde - und weil der einsiedel das auch ahnt stellt er sich nicht quer. Keineswegs gibt er seinem eigenen wünschen nach. Auch in diesem gedicht steckt schon einiges von der harten BUND-ethik (vgl. etwa 8328 und 8329) nur dass hier noch weit liebevoller formuliert und wol auch empfunden wird. Der George von 1895 hätte Bernhard von Uxkull noch nicht in den todbringenden krieg zurückgeschickt.

Dessen mentor bemerkt zu dem »sohn« dass »der gekränkte Stolz ein bezeichnendes Erlebnis der Jugend« sei »die niemals den Erfahrungen des Alters traut und alle Erhebungen und Enttäuschungen selbst spüren will und durchzumachen hat«. Offenbar nicht mit vollem recht wird Morwitz immer gern als besonders streng geschildert.

4311 DAS BILD

vesper: im katholischen ritus der gottesdienst des späten nachmittags wozu das läuten der hier erwähnten vesperglocke(n) erklingt. 

hinter rauchenden meilern: In kohlemeilern erzeugte holzkohle war im mittelalter (und noch weit darüber hinaus) der energieträger für die eisenerzeugung. Hier verweisen die meiler auf die einsame lage des klosters in einem wald.

Dort nämlich lebt der sprecher innerlich viel mehr wie ein richtiger einsiedler als der EINSIEDEL. Sein blick in der mönchszelle geht nicht durchs offene fenster nach aussen - so dass er sich auch von dem SCHÜLER der dritten LEGENDE (053) unterscheidet - sondern wendet sich ganz dem BILD der muttergottes zu das neben seiner »lagerstatt« steht. Er betet so inbrünstig zu ihr dass er ganz wie der knappe am anfang des zyklus (4301) kein gebetbuch braucht. Und er umarmt und küsst die statue sogar. Solch ein abend ohne die gesellschaft der mönche ist ihm lieber als der tag und die schatten gefallen ihm besser als alle farben. Mit dem chorgesang im kalten kirchenschiff und der zuwendung zu den gräbern der ehrwürdigen verstorbenen hat er zuvor den tag verbracht: doch scheinen ihm die lebenden mitbrüder nicht viel zu bedeuten. 

Aber dann sagt er sich doch so scharf vom christlichen glauben los - und das am ende des ganzen mittelalter-zyklus! Ganz anders der ausgang der HIRTENGEDICHTE wo dem wirklich leidenden SIEGER der gedanke an eine ähnliche revolte ganz fern bleibt und das lezte wort »götter« lautet. Hier aber endet die liebe zur angeflehten gottheit allein durch die allzu lange zurückweisung die er nun auch als probe seines glaubens keineswegs mehr hinzunehmen bereit ist. Die biblischen wundergeschichten wiederholen sich nicht in der realität · die gottheit tritt durch kein zeichen in erscheinung und das BILD bleibt tot. Dabei hatte er gar keinen wunsch geäussert - es ging also wol um seine erlösende annahme vor gott. Man mag darüber spekulieren warum er sich so ausgeschlossen fühlte - das ist der springende punkt in diesem gedicht. M spricht zu recht davon dass die ich-form der beiden lezten gedichte auf die in ihnen enthaltenen »mehr persönlichen Darstellungen« hinweist (85).

Dennoch ist die absage noch kein endgültiger abschied. Im lezten gedicht der SÄNGE wird Maria auf eine besondere weise erneut angesprochen - aber ohne dass die »brennende liebe« noch einmal aufflackert. 

 
44  SÄNGE EINES FAHRENDEN SPIELMANNS 4401-14

4401 Worte trügen · worte fliehen

Zuerst wird die alltäglichem sprechen mit seinen mal trügerischen mal schnell vergessenen wörtern entgegengesezte dichtkunst dafür gelobt dass sie allein »die seele ergreifen« könne. Das also deutet die absicht der SÄNGE an die dafür keine ausgeklügelten kunstfertigkeiten benötigen und die verszahl und -länge auf ein minimum reduzieren. Alles soll so klingen wie von einem kind gesungen. Die in den rittersälen verlangte hohe kunst (in der kein sänger etwas persönliches von sich preisgibt weil er nur in einer rolle auftritt) und die übertriebenen heldengeschichten aus fabelwelten dürfen nicht erwartet werden. Ob das der angesprochenen seele gefallen oder ob sie darüber höhnen wird ist gar nicht entscheidend. Denn einmal muss der sprecher ihr ja doch mit persönlicher ansprache entgegentreten. Diese seele wird aber als eine nur im traum gesehene und seitdem nicht mehr vergessene bezeichnet. Eine solche konstruktion war schon im minnesang beliebt weil die minne zu einer sozusagen ganz unkörperlichen dame die keuschest mögliche war. Auch die eingangs vorgetragene entschuldigung für eine mögliche unvollkommenheit der dichtung stammt aus dem standard-repertoire mittelalterlicher litteratur.

4402 Aus den knospen quellen sachte

Wenn der rauhreif in der frühlingssonne taut sieht es so aus als würden aus den blattknospen der bäume tropfen quellen.  Am vortag scheint der anblick den sprecher selbst noch zum weinen gebracht zu haben. Nun aber hat er verstanden dass er seinen trost darin findet dass in jedem jahr von neuem die sonne wärmer wird und die welt sich verjüngt.

4403 Dass ich deine unschuld rühre

Es ist ein ehrendes sprechen oder doch auch ein zeichen von schüchternheit wenn das gegenüber nicht direkt sondern durch seine tugend als pars pro toto angesprochen wird. Allerdings kann »unschuld« auch auf das jugendliche alter zielen.

Wenn das du die drei vorgeschlagenen möglichkeiten wie der sprecher ihm gefallen könnte nicht »begreift«: wird dieser dann ein anderes du suchen oder sich ein herz fassen und direkter über seine wünsche sprechen? Aber selbst über diesen einfachen ausweg wagt er nicht zu ende zu sprechen.

4404 Heisst es viel dich bitten

Hier wird das einfache bereits zu einem recht raffinierten sprechen. Die im hohen minnesang geforderte unterwürfigkeit des sängers wird auch hier demonstriert · in der lezten strofe aber noch einmal gesteigert. Würde sie ihm ohne zu sprechen einen blossen wink geben - natürlich keinen zu freundlichen - der so verhalten ist dass er ihn kaum wahrnehmen könnte und aus dem lediglich ein ertragen seiner anwesenheit hervorginge - wäre das nicht schon wie ein erhörtwerden? Er glaubt also dass er ihre gunst gewinnen könnte ohne dass sie sich so erniedrigen müsste ihm eine deutliche gunstbezeugung zu gewähren. 

4405 So ich traurig bin 

Auch auf diesen hauch eines zeichens ihrerseits kann sogar auch noch verzichtet werden. Dann bleibt nur noch die blosse vorstellung. Dabei geht es hier nicht um visuelle sondern um die vorstellung des klangs der stimme. Dieser klang kann woltuend wirken und den gram mindern. Gerade der ältere George hat es mehr und mehr geliebt beim vorlesen von gedichten den klang der jungen stimmen zu geniessen. 

4406 Sieh mein kind ich gehe.

Durch seine kürze und einfachheit des sprechens sowie die tendenz zur raffinierten übersteigerung passt dieses gedicht in den zyklus · hat aber mit minnesang gar nichts mehr zu tun und gehört wie 4310 zu den gesetzen über den richtigen umgang mit jüngeren. 

Gemeint ist hier: unter keinen umständen darf der jüngere in irgendeiner weise »versehrt« werden. 

Bevor sich das nicht vermeiden liesse ist es besser zu »gehen« so dass M missverständlich von einem »Abschiedsgedicht« spricht obwol es hier nicht um ein geschehen geht. Natürlich ist mit der zweiten person des singulars keine wirkliche rede zu dem »kind« gemeint. Vielmehr soll auch durch die sprachliche form ausgedrückt werden dass es hier allein um den jüngeren geht. Mit einer ausnahme die nicht ernst genug genommen werden kann: jedes leiden des jüngeren schmerzt erst recht den älteren.

Im übrigen hat M ungeachtet seiner üblichen und inzwischen zu ignorierenden verschleierungen einige klarsichtige formulierungen gefunden. Es gehe dem sprecher darum zu verhindern dass die jüngere seite »Wissen um die allem Menschenleben innewohnende Mühe und Pein« erlange. Dadurch würde der »Duft ihrer Wange unwiederbringlich verlorengehen« (M verweist hier auf den synonymen begriff der unschuld in 4403). Deshalb strebe der sprecher »nicht nach Erfüllung seines Liebens« sondern nach »Erhaltung der am meisten anbetungswürdigen Vorerlebensstufe« · nicht nach »Leidenschaft« sondern »nach Verewigung von Schönheit« im sinne eines »künstlerischen Trachtens«. 

Natürlich wusste George dass es schon dem vater des Buddha nicht gelang seinen sohn vor dem anblick des leides der welt zu bewahren. Es geht in dem gedicht nur darum die forderung nach behutsamkeit zu unterstreichen.

4407 Dieses ist ein rechter morgen ·

Wie in 4403 geht es hier um das wagnis die wünsche des sprechers deutlicher zum ausdruck zu bringen. Aber der konjunktiv dominiert: der sprecher wird nichts über seinen treueid sagen und nicht einmal das lob der herrin wird dem bislang schüchternen über die lippen gehen. Zwar wäre das fast schon sommerliche wetter gut dafür geeignet ihn mutiger und sie empfänglicher zu machen - aber sie wandeln eben nicht zusammen die immergrüne hecke entlang. George trifft hier gut den manchmal selbstironischen charme des minnesängers der augenzwinkernd eine für das publikum leicht durchschaubare pose als prahlhans einnimmt. 

4408 Ist es neu dir was vermocht

Diesmal spricht der spielmann zu sich selbst. Deshalb erfährt man nicht worauf seine erwartung beruht er werde bald eine antwort bekommen. Fällt sie ablehnend aus ist für trost schon gesorgt: man stirbt nicht deshalb. Wie bei vielen minneliedern wird damit aber auch hier ein erster schritt weg von der idee des ganz hohen minnesangs getan bei dem eigentlich eher untröstlichkeit demonstriert wird weil der mann ja sein ganzes dasein in den minnedienst zu legen behauptet. 

4409 Ein edelkind sah vom balkon

gelass: ein eher wenig benuzter kleiner raum in den man sich zum alleinsein zurückziehen kann

Das adlige mädchen erwartete alles vom lied des hier »fiedler« genannten spielmanns ohne aber zu wissen worum es eigentlich gehen wird: der freudige blick und das fromme horchen verweisen auf seine kindlichkeit. Sogar seinen ring hat es dem fiedler zugeworfen um ihn vorweg für seine kunst zu belohnen. Nun aber empfindet sich das mädchen wie durch eiserne fesseln behindert und schimpft den urheber deren böser schmied zu sein. Die zukunftsfrohe stimmung der ersten verse hat sich nun ins gegenteil verkehrt.

Das gedicht ist damit eine variation des in 4406 geäusserten gedankens und führt vor augen wie sich »Müsste doch versehren« auswirken kann. Wenn allerdings · was bisweilen vermutet wurde · der fiedler mit dem FAHRENDEN SPIELMANN identisch ist zeigt dieser keinerlei anzeichen dass ihn das leiden des mädchens berührt (was von 4406 her zu erwarten wäre). Im gegenteil: er würde recht zynisch und beinahe stolz das von ihm verursachte leiden vortragen. In einer solchen abwertung der geliebten könnte man eine anspielung auf den späten minnesang vermuten und an Neidhart denken.

4410 DAS LIED DES ZWERGEN I

fliess: wie das berühmte Goldene Vlies fell eines schafes

Höflich führt sich der zwerg in diese friedliche miniatur-welt ein die genau im gegensatz zu dem vom sänger hinter sich gelassenen »fabelreich der riesen« (4401) steht. 

4411 DAS LIED DES ZWERGEN II

schrein: schatztruhe

der feien sohn: der sohn einer fee

Und stellt sich nun als zwergenfürst vor.

4412 DAS LIED DES ZWERGEN III

Daher kann er den kindern - hier dem minimalistischen prinzip des zyklus folgend auf drei reduziert die wie in einem »Abzählreim« (Wk 147) angesprochen aber dann also zufällig gefunden und eben gerade nicht in irgendeiner weise »ausgewählt« (ebd.) werden - geschenke (gemeint sind wol eigentlich weissagungen) anbieten und (allein darum geht es doch) ein nachdenken über das wertvollste in gang setzen: reichtum und luxus - waffen und die gunst schöner frauen die dem künftigen ritter auf seinem ganzen lebensweg nicht fehlen werde . .  oder nichts davon - das gilt dem »Werkkommentar« kurioser weise als »Verwünschung« (ebd.) - aber den zugang zur kunst was überhaupt nicht bedeuten muss dass dem armen kind nun das schwere »Schicksal eines Dichters« auferlegt werde (ebd.). M spricht von »Schicksalsgaben, die früh verliehen werden und den Verlauf des ganzen Lebens bestimmen«. Das gibt dem zwergenkönig ein ganz anderes gewicht und dieser kleinen dreiergruppe einen tiefen ernst. 

Was die unschuldigen zwergenliedchen aber mit dem bei George angeblich »allenthalben artikulierten Thema der Selektion« ( ! ) zu tun haben sollen bleibt wol für immer das geheimnis von Jutta Schloon (Wk 147). In Auschwitz gab es kriterien · in den zwergenliedern ein blindes schicksal. Vor allem berechtigt keines der lieder die drei kleinkinder mit  jenen »Erwählten« in einem atemzug zu nennen die - in einer ganz anderen altersstufe und wiederum immer nach festgelegten kriterien zu denen gewiss nicht der tanz des ringelreigens gehört - in manchen George-gedichten eine rolle spielen. Dabei geht es nie darum reichtümer waffen oder gar frauengunst zu erhalten sondern in eine qualifizierte gruppe aufgenommen zu werden (allenfalls wäre noch an das eigene »erkorensein« zum dichter-herrscher zu denken wie es etwa in 4506 angesprochen wird). Es ist erstaunlich was für ein unsinn · dazu noch in eine übel geschmacklose formulierung gepackt · in Egyptiens »Werkkommentar« einzug halten durfte wo damit selbst an diesem ort George unterschwellig in die nähe des schlimmsten faschistischen verbrechens gerückt wird. Der herausgeber hätte »Selektion« ernster nehmen müssen - im doppelten sinn. 

4413 ERWACHEN DER BRAUT

himmelshelden: M denkt hier an choräle die zum lob von Heiligen angestimmt werden. 

Der reiz des gedichts besteht darin dass es völlig offen bleibt wie sich die junge braut dazu stellt dass sie vor der hochzeit mit einem jungen mann steht den sie noch gar nicht kennt. Diese fremdheit erweist sich auch darin dass sie noch nicht einmal an seinen namen denkt. Die choräle der hörner klingen nicht fröhlich sondern ernst und schwer. Ein naives bejahen der situation möchte man der frau also nicht unterstellen - auf ein beginnendes sich-auflehnen aber könnte sich die doppeldeutige überschrift vielleicht beziehen: in der liebe darf es die von ihr durch das modalverb »soll« bezeichnete fremdbestimmung durch eltern oder tradition nicht geben. Wieder ein gedicht das eine feine distanz zum mittelalter andeutet. 

4414 Lilie der auen !

Die anreden der Maria beruhen auf historischen grundlagen. Ute Oelmann hat auf das damals tausendfach vervielfältigte gnadenbild der Maria del Buon Consiglio in einer römischen kirche und die noch bestehende · 1873 geweihte kirche »Mutter vom Guten Rat« in Frankfurt-Niederrad hingewiesen (2018, 44). Dass die »Herrin im rosenhag« sich auf den typus der Rosenmadonna und insbesondere auf das »von Stefan George besonders geliebte Gemälde von Stephan Lochner» mit den weissen madonnenlilien - einem weiteren symbol von Marias keuschheit - bezieht wird bei M erwähnt. George ersezt lediglich Maria durch die dem minnesang geläufige »Herrin«.

Der Madonna galt schon am ende von 4311 keine »brennende liebe« mehr · doch wird sie hier noch einmal angesprochen. Aber so kindlich und fromm ist das gemüt des sprechers durchaus nicht wie er den anschein zu geben versucht. Mit der Muttergottes leistung für gegenleistung aushandeln zu wollen macht sie zur geschäfts-partnerin und spricht ihr alles Heilige ab. Und der sprecher kann sich selbst als »ohne sünde« vorstellen obwol die dornenfreien rosen dieser hecke ja gerade die unschuld Mariens symbolisieren: es ist deren alleinstellungs-merkmal das der sprecher ihr stiehlt. Zugleich ist er sich seiner eigenen macht sehr wol bewusst: er kann »verkünden« und darauf ist alles Göttliche angewiesen. Nur M scheint im ernst an »die Einfalt des Beters« zu glauben. In wahrheit entpuppt sich der fromme ton als charmante blasfemie - profaner könnte der ausflug in das christliche mittelalter nicht enden. Trotzdem kann Ute Oelmann schreiben: »dieses Marienlied fasziniert« (2018,44). Seinen verfasser muss die Madonna im Rosenhag nämlich insgeheim immer noch angezogen haben · was Ms bemerkung ja auch bestätigt.

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