Lesenotizen: "Frauen um Stefan George"

Jugendsünde mit folgen: 

Georges FIBEL-gedichtchen ist für die Osterkamp-germanistik doch etwas zu schwierig. Sie macht die alpenrose zur karnivore. Und alle glauben es. 

Das montierte klischee: 

Wer als frau George begegnete wurde erniedrigt und keines blickes gewürdigt. Am tiefsten scheint Ida Coblenz gesunken zu sein. Trotzdem wirkt sie ganz entspannt. 

Gewiss war George einfach nur aufgestanden um ihr den einzigen sitzplatz anzubieten - ein verhalten das nicht mehr jedem modernen germanisten vertraut sein mag. 

Diplomatisches meisterstück: 

Den mächtigen zu gefallen ohne die wahrheit ganz zu verleugnen beherrschte Bozza schon vor fünfzehn jahren. Man kann nicht immer heroisch sein.

Osterkamps loops oder Wie man kulturgut vernichtet

2010 erschien - herausgegeben von Ute Oelmann und Ulrich Raulff - ein band über elf "Frauen um Stefan George” · dargestellt in beiträgen von ebenso vielen autoren. In die richtige stimmung bringen soll ER die menge: auch wenn er über keine einzige frau "um Stefan George" etwas zu sagen hat darf zuallerst Ernst Osterkamp seine alten platten auf den teller legen. Schon mit den ersten umdrehungen erklingt die bekannte melodie: 

„Stefan Georges Neues Reich ist der poetische Entwurf einer Welt, in der es keine Frauen gibt.” (OF 2010, 13). 

Osterkamps fixe idee besteht in der willkürlichen errichtung eines obersten gebots der litteratur-kritik (woher auch immer er das mandat dafür zu haben glaubt): auch gedichtbände unterliegen einer frauenquote. Die besonderheit: ist der frauenanteil zu hoch gilt die quote auch als verfehlt. Und irgendwelche frauen genügen bei weitem nicht. Seine mühen konzentrieren sich auf den nachweis dass das angeblich frauenlose NEUE REICH nur die endstation auf einem langen weg sei den George mit den gedichten der FIBEL angetreten und immer entschiedener beschritten habe durch planmässiges verdrängen jeder frau aus der einzigen rolle die Osterkamp als litteraturfähig gilt: der rolle der „Braut” (womit er jede mögliche sexualpartnerin meint die einigermaassen heiratswillig ist) - aber auch nur wenn sie attraktiv ist ohne jedoch verführerisch zu sein und - sonst wäre sie ja nicht braut - auf männlichen zuruf bereitsteht. Aus Georges gedichtbänden - so Osterkamps vorwurf - bleibe sie ausgeschlossen: weil er die angehörigen seines Kreises nicht auf falsche gedanken habe bringen wollen. Dass Osterkamp indem er die frau die wirklich zählt auf eine einzige funktion reduziert: dem mann jederzeit als sexualpartnerin zur verfügung zu stehen · die angebliche „Misogynie” Georges bei weitem überbietet wird ihm an keiner stelle bewusst. 

Von so vielfältigen frauengestalten wie George sie über zehn gedichtbände von der FIBEL bis zum NEUEN REICH verteilt hat vermag keine einzige vor Osterkamp zu bestehen. Schon eine weibliche gestalt als klagend darzustellen ist „misogyn” · einer am strassenrand liegenden aufzuhelfen ist es noch viel mehr (denn nur „misogyne” autoren stellen sich eine frau als hilfsbedürftiges wesen vor) · eine frau den marktplatz betreten zu lassen entwürdigt sie (von George aber ins haus verbannt hätte sie den empörungs-reflex erst recht ausgelöst) · die nächste hat gar einen makel · die fünfte ist die femme fatale · priesterinnen und heilige sind Osterkamp aber auch nicht recht · „entsexualisierte” frauen verraten alles über George · nicht minder als leibhaftige huren - und noch schlimmer sind seine kräuterfrauen und hexen. Lässt George frauen einen kranz tragen werden sie „ornamentalisiert” (ungeachtet der tatsache dass Georges jünglinge ohne kranz kaum vorstellbar sind ohne dass dies bislang je als abwertung empfunden wurde) · mädchen und schwestern zählen nicht mit · madonnen ohne vollen busen auch nicht · müttern mangelt die richtige erotik · von allen anderen gehen immer nur gefahren für die männer aus. Werden historische frauengestalten von George als vorbilder gefeiert wie die bayrischen prinzessinnen in 7111: dann kassiert Osterkamp das ganze gedicht mit der begründung dass das schwesternpaar schon tot war (ebd., 35). Und wenn sich endlich · im zehnten gedichtband im BRAND DES TEMPELS (924) doch noch eine frau findet - Pamfilia - die Osterkamps ansprüchen genügen müsste und zudem in der lage ist als fürstin führungsaufgaben zu übernehmen und die meisten männer intellektuell in die tasche zu stecken - dann ist dies Osterkamp um so mehr ein beleg für Georges „Misogynie” die er dafür verantwortlich macht dass ausgerechnet diese eine dem leben entsagt in die man sich verlieben könnte. Wer aber am ende stirbt gilt bei Osterkamp schon zu lebzeiten als nicht anwesend. Dank dieses tricks soll hinsichtlich des NEUEN REICHS weiterhin gültig bleiben:

„Frauen kommen in den Gedichten dieses Bandes so gut wie gar nicht vor" (ebd., 16. Als einzige ausnahmen werden weibliche nebenfiguren in DER KRIEG und DER GEHENKTE genannt. Pamfilia fällt also tatsächlich unter den tisch.) 

Wie soll es auch anders sein wenn tote frauen nicht zählen - gesichert sterbliche aber auch nicht und unsterbliche schon gar nicht? 

Osterkamp unterstellt George eine aberwitzige fehlkonstruktion (die schon den autor eines krimi-drehbuchs im vorabendprogramm seinen job kosten würde): erst lässt George in einer untergehenden welt voller schwächlicher beschränkter oder unzuverlässiger männer eine grossartige junge frau auftreten lässt, der das herz jedes lesers zufliegt - nur um sie sogleich sterben und alle trauern zu lassen - und schliesslich von seinem Kreis zu erwarten dass er wider jegliche logik ein "Neues Reich" ohne diese (und nach Osterkamps lesart: ohne jede möglichkeit einer anderen weiblichen) lichtgestalt einem reich mit ihr (oder einer vergleichbaren) vorziehen möge. Ergäbe das nur irgendeinen sinn ! 

Wem die bedeutung des stolzes nicht mehr vertraut ist der wird von George niemals mehr als gar nichts verstehen können und sich vergeblich fragen warum die junge frau in den tod geht: nicht weil ein mann sie - was Osterkamp fälschlich behauptet (ebd., 15) - vernichtete · nicht weil George von einer welt ohne frauen träumte · sondern weil es den verzagten und abgewirtschafteten männern zu zeigen gilt dass man selbst im untergang nicht auch noch den stolz hingeben darf. Das ist die haltung die Georges lyrik lehrt · ohne die es zum zwanzigsten juli nicht gekommen wäre und die noch heute durch die jährlichen gedenkfeiern wenigstens verbal bestätigt wird. Diese männer verdienen es beschämt zu werden wenn die demonstration "ethischer superiorität" (ebd., 26 und 27) ihnen vor augen führt was sie (wenn sie sie überhaupt je beanspruchten) längst verloren haben: an eine frau. Pamfilia ist unzweifelhaft und ausdrücklich als vorbild gestaltet und beeinflusst damit die zukunft - also (in Osterkamps sprechweise) das "Neue Reich" das doch - wie Osterkamp immer wieder betont - allem weiblichen einfluss gerade entzogen sein soll. Nicht nur folgen ihre mägde auf dem opfergang und zementieren so endgültig den eindruck der weiblichen überlegenheit · sogar die männer sprechen schliesslich ihre anerkennung aus. Bei George betreibt eine frau also nicht nur - in heutigen worten - "wertegeleitete politik": sie vermag darin sogar erfolgreich zu sein. So ist gerade DER BRAND DES TEMPELS glänzend geeignet um misogynie-vorwürfe ad absurdum zu führen.

Auch sonst wird nichts oft gehörtes ausgelassen: allem voran Osterkamps ur-lüge vom „weiblichen Schlund" · die "phallische Härte" (Osterkamps ganzer stolz !) · der "Vernichtungsvirtuose" mit brüderchen „Virtuose des Abbruchs” · der "Annihilierungsblick auf alles Weibliche" · die "stupende Inhumanität" · die „Intransigenz” (aller die Osterkamp nicht leiden kann · besonders Algabals) · die von George angeblich beanspruchte "ethische Superiorität des Mannes" · frauen die nur "Hure oder Heilige" sein dürfen · dann aber plötzlich und gegen alle biologische logik als „Reproduktionsheloten” funktionieren und natürlich Georges "Auslöschung aller Weiblichkeit" samt ihren wort-geschwistern "Vertreibung des Weiblichen" · „Exorzierung von Weiblichkeit” · „Vernichtung von Weiblichkeit” und "Erlösung von Weiblichkeit" - Osterkamp suhlt sich ja gern lange im schlamm seiner schlagworte - wodurch das NEUE REICH - warum auch immer - gar zum „Totenreich” werde: wie unansehnlich gewordene alte beim klassentreffen kommen in Osterkamps George-aufsätzen immer dieselben kranken kalauer zusammen. Ihnen als seinen kindern - und nicht etwa den geschundenen frauen - gilt Osterkamps eigentliche sorge. Denn nur ihr mittels beständiger wiederholungen in diesem oder jenem druckerzeugnis künstlich immer wieder verlängertes leben kann ihn im gespräch halten. Dabei hat er durchaus kein patent auf alle seiner slogans. Mit „Auslöschung” und „Vernichtung” stellt er sich in eine tradition der jedenfalls George nicht angehört. 

Seine steigerung findet das prinzip der dauerschleife in der repetitio innerhalb desselben textes. So hält nach den ersten drei seiten ein zwischenergebnis den erzielten gedanklichen fortschritt fest: 

„Stefan Georges Neues Reich entwirft eine Welt ohne Frauen” (ebd., 15f.) 

Wie ein techno-dj der sein geld mit endlosen loops macht versezt Osterkamp die germanisten-gemeinde in trance. Und wirklich: seine hämmernden beats gieren nach bewunderung. Osterkamps eitelkeit ist die mutter der sprache des „glänzenden Stilisten” als der er sich in wikipedia feiern lässt. Nie geht es ihm um mehr als seinen eigenen glanz wenn er sich über George äussert. Dass auch das geringste schaffen höher stehe als alles reden über geschaffenes - Nietzsches berühmtes wort - verkehrt er ins gegenteil. 

Dabei ist Osterkamps reden so geschmacklos dick aufgetragen dass es sich schon selbst entwertet. „Furcht vor Frauen” ist ihm zu wenig. Es muss „panische Furcht” heissen (ebd., 18). Georges „Ekel gegenüber dem Frauenkörper” ist zu schwach: „Unüberwindbarer Ekel” (ebd., 14) klingt besser und lässt vergessen dass der angegebene beleg gar keinen ekel belegt. Und wie unüberlegt! Wem wäre denn ein ekel noch zum vorwurf zu machen den zu überwinden gar nicht möglich ist? Dürfte man Osterkamp dann mit gleichem recht auch ekel vor dem männlichen körper unterstellen über dessen angebliche "härte" er doch oft genug schwadroniert? Bisweilen drängt sich die frage auf ob sein obsessives sprechen überhaupt noch anders als durch den einfluss von affekten erklärbar ist. Was dem künstler ohne weiteres zuzugestehen ist würde den wissenschaftler schlicht disqualifizieren. An dem jungen herrscher Ili - Pamfilias gegenspieler im BRAND DES TEMPELS (924) - der klügsten und uneigennützigsten grossen gestalt die George sich je einfallen liess - scheitern Osterkamps schriften regelmässig. Hier brandmarkt er ihn als einen „mit kalter Vernichtungsrationalität operierenden” „Vernichtungsvirtuosen” der - wer wollte jezt noch daran zweifeln? - ein „Vernichtungswerk” betreibt (ebd., alles dicht gedrängt auf 13f.). Etwas von der rationalität die jede äusserung und jede handlung Ilis steuert - der viel mehr im kopf hat als den willen zur vernichtung - würde Osterkamp durchaus guttun. 

Weil er mit ihr nun aber gerade nicht gesegnet ist kann er auch nicht begreifen warum der bartlose und doch schon klug kalkulierende teenager nicht gleich die erstbeste gelegenheit ergreift mit einer frau das bett zu teilen. Stattdessen erklärt er Ili auch noch für „die Zerstörung jener Frau” (ebd., 15) verantwortlich die sich hoffnungen machte und nun nicht mehr weiterleben möchte. Solche urteile spekulieren auf den applaus des zeitgeists der gerade bei männlicher gewalt gegen frauen empfindlich reagiert und sich unweigerlich auf die seite dessen schlägt der sich als anwalt der frau zu geben weiss. Neben den berechnenden stehen merkwürdig irrationale bemerkungen die bestenfalls einen schlüpfrigen unterhaltungswert beanspruchen · filologisch aber eindeutig fehlleistungen darstellen. So wirft Osterkamp einen vielleicht neidvollen blick auf die „Härte” des „männlichen Körpers” (ebd., 25) wie auf die „phallische Härte” (ebd., 15) von Ilis strategischem verstand. Das wirkt verstörend weil von alldem bei George nirgends die rede ist dessen helden sich weder durch muskelmasse noch durch besonders dauerhafte erektionen auszeichnen. Der leser sieht hier Osterkamp vielmehr in seiner ganz eigenen vorstellungswelt.

Für alles was in sachen frauen bei Georges gedichten anders läuft als es nach Osterkamps vorstellungen laufen sollte und dann bevorzugt als „Misogynie” bezeichnet wird nennt der germanist immer dieselbe mysteriöse ursache: Georges „Sexualangst”. Deshalb sind dramatisierungen erforderlich · steigerungen zum unüberbietbaren hin. Und aus dem singular muss plural werden: Ein wahres „Horrorkabinett seiner (Georges) Sexualängste” (ebd., 25) glaubt er in einer handvoll jugendwerke aus der FIBEL gefunden zu haben. Zu den figuren in dieser geisterbahn gehören - glaubt man Osterkamp - eine sirene eine najade eine sklavin und eine alpenrose. Hinzu kommen eine gruppe von nymfen und sogar eine ziemlich durchschnittliche frau. Der knackpunkt aber liegt darin dass diese bunte vielzahl Osterkamps frauenquote so sehr übersteigt dass sie einen mann krank macht: „gerade diese Polymorphie des Weiblichen” setze „die größten Angstpotentiale frei” (ebd., 23). Ist es also das halbe dutzend weiblicher figuren die die rätselhafte angst des jungen dichters verursachen sollen - obwol er sie doch einfach selbst erdachte oder seinen schulischen lektüren entnahm? Oder hat umgekehrt seine angst die frauengestalten hervorgebracht? Unterdrückt man einmal das kopfschütteln über Osterkamps unschärfen: dann ist es doch nur folgerichtig dass George dieses zuviel in den späteren gedichtbänden schritt für schritt reduziert und somit die vermeintliche "Bedrohung, die von der Frau ausging, (...) bewältigt.” (ebd.) Genau das wird ihm dann aber als "Vernichtung von Weiblichkeit" wiederum vorgehalten.  

Osterkamps künstliche aufregung vermag die entlarvung ihrer eigenen belanglosigkeit also nicht zu verhindern: in Georges frühen gedichten gibt es viele und in den späten nicht mehr so viele frauengestalten. Im durchschnitt der zehn bände dürfte George Osterkamps quote sogar korrekt erfüllt haben. Der vorgang hat kaum ein schulterzucken verdient - aber Osterkamps germanistik besteht aus der skandalisierung des banalen. Und sie versagt vor dem wesentlichen: ob er mit "Sexualangst" den vorwurf eines moralischen versagens · einer schuld verbindet lässt Osterkamp offen. Ihm kommt es darauf an dass die verbindung des Dichters mit diesem begriff George dem leser - erst recht dem jungen - auf diffuse weise suspekt macht und schliesslich entfremdet. Osterkamps germanistik ersezt den präzisen gedankengang durch eine bloss andeutende aber demagogische oberflächlichkeit. Versucht George zu täuschen? Ist er nun nicht mehr ernst zu nehmen? Ist seine lyrik nun entwertet? Darüber legt Osterkamp keine rechenschaft ab. Er versucht aber zu suggerieren dass diese fragen sich doch gar nicht mehr ernstlich stellen angesichts der aura der lächerlichkeit mit der er George zu umgibt.

Die andere seite von Georges „Sexualangst” sieht Osterkamp in seiner dichterischen hervorbringung von meist jugendlichen helden die freilich nur dem unbedarften leser gesund oder gar gelungen vorkommen - bis Osterkamp aufdeckt dass sie die persönlichkeitsstörung ihres erzeugers sozusagen geerbt haben. Wie viele gibt es überhaupt noch denen die Osterkamp-schule die aufschrift „Sexualangst” nicht längst auf den mantel nähte? die nicht als gestörte feiglinge oder perverse patienten stigmatisiert sind? Todeskandidaten sind auch sie: denn womit sollten die dem spott preisgegebenen ihr überleben im gedächtnis künftiger generationen noch verdient haben? Warum Osterkamp so gern von Georges „Totenreich” spricht wird langsam verständlich. Nach Georges angeblicher „Vernichtung” der weiblichen figuren sorgt der germanist für die der männlichen. Zu ihren lagern in denen sie dem ende entgegendämmern sind die gedichtbände geworden die ohnehin kaum einer noch versteht - erst recht nicht wenn er Osterkamp gelesen hat. Erstrebt wird die endgültige „Auslöschung” des ganzen erbes: dessen was George den menschen hinterlassen hat . .  Ob das ziel ganz erreicht wird ist ungewiss. Man muss sich aber nichts vormachen. An helfern und mitläufern fehlt es wie üblich nicht und „Misogynie” ist der vorwurf den der zeitgeist keinem verzeiht.

Eine vorstellung von Osterkamps germanistischem arbeitsethos und seiner arbeitsweise vermittelt der blick auf seine äusserungen zu dem gedicht dessen fundamentale bedeutung für seine haltung zu George ausser frage steht: DER BLUMENELF (0117). Denn dort lässt er die seuche ihren anfang nehmen. Dem zarten wesen das eigentlich nur - mehr noch falter als schon mensch - von blume zu blume fliegt unterläuft ein missgeschick als es sich in eine alpenrose verliebt: es stürzt in eine schlucht. Jeder kann es lesen - nur Osterkamp nicht. Der doktor möchte zu gern „Sexualangst” bescheinigen - nicht dem elf aber dem jugendlichen (und angesichts der haarsträubenden fabel: noch kindlichen) autor. Und deshalb tischt er die lüge von Georges „Zwangsvorstellung” auf die er - Osterkamp - entlarvt haben will: der „Zwangsvorstellung von der Frau als einem den männlichen Körper verschlingenden und auflösenden Schlund” (ebd., 23). Georges „schlund” aber ist doch lediglich die „bergschlucht” an deren steilwand die alpenrose blüht und der blumenelf immer schon - ein wenig über ihr - zu hause ist. Im fallen greift er die blume küsst sie und wirkt eigentlich glücklich. Vielleicht fiel ihm inzwischen auch ein dass er ja flügel hat. Kein leser vermag hier anzeichen eines traumatischen geschehens zu entdecken. 

Osterkamp ist ein trump der germanistik. Man schreibt sich die fakten je nach bedarf einfach selbst zurecht ohne rot zu werden. Und am ende muss der skandal stehen. Seine mär von Georges „Sexualangst” und „Zwangsvorstellung” ist von beginn an nur durch die lüge beglaubigt. Aber kein germanist durchschaut das billige spiel - in nunmehr fünfzehn jahren nicht. 

Dass George - inzwischen vierunddreissig jahre alt - diese ganz frühen gedichte doch noch in einem eigenen band veröffentlichte ist für Osterkamp der (jeglicher logik widersprechende) beweis: sein frauenbild sei also auch 1901 noch „dasjenige des adoleszenten Homosexuellen” gewesen „den in Gegenwart des Frauenkörpers der Schwindel vor Schlund und Abgrund ergreift und der deshalb Halt sucht an der Härte des männlichen Körpers” (ebd., 25). Immerhin scheint die angebliche "Sexualangst" wenigstens nicht alle berührungen körperlicher art zu verbieten . .  auch wenn wir nun verstehen dass der "adoleszente Homosexuelle" - nie mehr als "Halt" suchend - es ihr allein zu verdanken hat dass er sein leben lang nicht in konflikte mit den einschlägigen gesetzen geriet. Wenigstens dafür kann man Osterkamp feiern: dass er Karlaufs spekulationen so schlagend widerlegte der trotz langer jahre in Amsterdam offenbar keine ahnung hat von den nöten "des adoleszenten Homosexuellen". 

Oder hat umgekehrt Karlauf etwa Osterkamp widerlegt? Es können nicht beide recht haben · wol aber keiner. Sich über den streit der hyänen lange den kopf zu zerbrechen lohnt nicht. Sicher ist dass Osterkamp einfach nicht weiss was "Sexualangst" eigentlich bedeutet. Kein germanist hat das in fünfzehn jahren je bemerkt - aber gern wurde der falsch verwendete begriff übernommen. Klar erkennbar sind ebenso Osterkamps schwierigkeiten stringent zu argumentieren · seine fehlende bereitschaft einen text unvoreingenommen wahrzunehmen oder überhaupt wirklich zu lesen (zu dem auch die VORREDE gehört in der George die gründe für die veröffentlichung der FIBEL offen darlegt) · und mehr denn je seine geschmackliche unsicherheit die zu dem peinlichen aussetzer zwischen kitsch und altmännerfantasie führte. Vielleicht lag gerade Mattenklotts „Bilderdienst” auf seinem schreibtisch als ihm die idee kam sich über "phallische Härte" zu verbreiten. Was schüler schon mal auf klotüren kritzeln: in Osterkamps traktaten wird es als germanistische "Forschung" geadelt. Sie ist deshalb erstaunlich pubertär - für einen doch eigentlich längst nicht mehr adoleszenten professor.

George jedenfalls hat weder in gebundener rede noch in prosa jemals „Härte” mit dem männlichen körper oder einem seiner teile verknüpft. Erst recht dem blumenelf ist gar nichts vorzuwerfen: selbst im sturz hält er sich nur an der geliebten blume fest und will an nichts männliches oder gar hartes denken - erstaunlicher weise auch nicht daran wie er einst glücklich mit dem edelweiss zusammenlebte und von der alpenrose noch nichts wusste. Das eigentlich interessante an dem gedicht ist ja Osterkamp gar nicht aufgefallen.

Reicht es bei ihm schon nicht zum verständnis der frühen gedichte · so wenigstens zum spott darüber: sie seien doch "nicht eben erfahrungsgesättigt" (ebd., 24) lautet der feixende befund. Wer litterarische werke an der zahl sexueller abenteuer ihrer autoren bemessen möchte mag sich doch einfach weiter an Goethe erfreuen oder zu Brecht wechseln. George kann ihm nicht genügen. Dies dem leser klarzumachen war immerhin der erste schritt im einführungsabschnitt der beiden herausgeber. Das von ihnen allem anderen vorangestellte wort Marcuses: George habe "vielleicht die besten Gedichte seit Goethe gemacht" und "das reinste Leben seit Nietzsche geführt" (ebd., 7) war 1928 ausdruck tiefsten respekts gewesen. Osterkamp dagegen witzelt über Georges leben nur noch in der billigen art - "im stil" wäre das falsche wort - eines comedian. 

Seine unbeherrscht maasslose sprache - nur auf den effekt bedacht und nicht nur einmal homofob gesteuert - will nicht aufklären: sie will die aus dem nichts kreierten sensationen in flotte sprüche giessen · damit brillieren · mit unzähligen wiederholungen die falschen botschaften einhämmern bis keine anderen mehr überleben. Keiner im club soll auf die idee kommen bei George einmal nachzulesen ob überhaupt irgend etwas stimmt in den germanistischen endlos-schleifen. 

Dabei gäbe es genug zurechtzurücken weil Osterkamp - wie bereits dargestellt - gedichte so lange knetet bis sie in seinen ideologischen rahmen passen. Der preis dafür ist die kolossale verarmung der Georgeschen lyrik von der Osterkamp glauben macht es gehe immer und überall nur um die errichtung männlicher herrschaft und die „Domestikation” oder „Vernichtung” alles weiblichen. Die im hintergrund von erbärmlichen männern - allen voran der verlogene sprecher - umgebene frauengestalt in dem von Osterkamp gänzlich naiv aufgefassten gedicht DIE FREMDE (6205) ist dafür ein weiteres beispiel (ebd., 32). Dass George hier männliche gewalt gegen eine frau anklagt hat Osterkamp einfach nicht gemerkt. Man könnte das gedicht alljährlich am achten märz auf die titelseite jeder tageszeitung setzen.  

Aber von den jüngeren kann sich augenscheinlich keiner den widerspruch erlauben: die George-germanistik ist verfilzt und für die schwächsten ist es unvorstellbar geworden nicht mit der aneinanderreihung von Osterkamp-zitaten den erforderlichen tribut zu zollen. „Ernst Osterkamp hat in seiner Lektüre von Georges „Reich ohne Frauen” die Legenden einen ‚poetischen Paradiesgarten() der Sexualangst’ genannt” schreibt Maik Bozza in seinen studien zur FIBEL (2016, 119) und beklagt folgsam das „misogyne Substrat von Georges Legenden” (ebd.). Dabei hatte Osterkamp eigentlich nur von der ersten LEGENDE (051) gesprochen (OF 2010, 24). So bleibt für Bozza anhand der zweiten (052) zu zeigen was er von Osterkamp gelernt hat. Und das ist nicht sehr kompliziert. In dieser zweiten LEGENDE - FRÜHLINGSWENDE - geht es um den jüngsten der drei helden der LEGENDEN. Kaum hat er das konfirmandenalter erreicht - da soll er schon auf wunsch des vaters unter zuhilfenahme einer hetäre zum mann gemacht werden. Dass ihn das nicht tierisch freut · er sich also verstörend „misogyn” verhält (denn allein die zurückhaltung des knaben käme hier als „misogyne(s) Substrat” in frage) wäre für die schule Osterkamps unerklärlich - hätte nicht der altmeister dem eleven den befund für solche fälle ausbleibender reflexe vorgegeben die doch bei jedem gesunden instinktsicheren mann gleich welchen alters und gleich mit welcher partnerin jederzeit zu funktionieren haben: auch dieser verklemmte arme kerl kann nur unter „Sexualitätsangst” (Bozza 2016, 126) leiden. Georges thema in 052 war aber der missbrauch kindlicher schutzbefohlener.

Osterkamp habe zu George „wegweisende Deutungen” vorgelegt · lässt er sich gleichwol in Wikipedia loben. Aber wenn sie dazu führen dass bei dreizehnjährigen „Sexualitätsangst” und „Misogynie” diagnostiziert werden sobald sie nicht erwartungsfroh dem ihnen von aussen auferlegten ersten mal entgegenfiebern · wenn andererseits in diesem zwang zu sexueller betätigung nicht das geringste problem gesehen wird · und nicht zulezt Georges absichten regelrecht unkenntlich gemacht werden: dann muss Osterkamp wol manch hoffnungsvollem nachwuchs-germanisten eher irrwege gewiesen haben. 

Ihn selbst scheint die "Sexualangst" immer verschont zu haben. „So früh wie möglich” lautet sein lebensfrohes motto · und dazu „so lange es irgend geht”. Nur so ist zu erklären dass er Georges „Misogynie” einer alten frau sogar ihre lezten freuden verderben sieht. Denn noch übler als der den tod suchenden jungen fürstin Pamfilia spielt das NEUE REICH einer greisin mit. Wird sie doch an ihrem lebensabend - zu Osterkamps neuerlicher empörung - „an den Ort der sexuellen Sterilität, ins Kloster” (ebd., 15) versezt ! Erneut eine empörung um nichts · war doch das kloster im mittelalter der angenehmste sicherste und keineswegs ehrenrührige ort für hochgestellte persönlichkeiten wenn die zeit ihrer politischen wirksamkeit - und biologischen reproduktionsfähigkeit - abgelaufen war. Offenbar hätte Osterkamp es bevorzugt die greisin im freudenhaus zu sehen. Erst wenn er bei George - dessen sonst so übermächtiger "Sexualangst" zum trotz - erstaunlicher weise plötzlich anzeichen einer „Schwulenorgie” zu wittern glaubt (in 7207 und 7321) trübt sich Osterkamps „ja” zur unbegrenzten fleischeslust doch etwas ein (ebd., 34). 

Wie Osterkamps suggestivrhetorik von der macht des plurals lebt wurde bereits gezeigt. Allein der verdopplung wegen wurde auch noch die alte frau ins boot geholt: um George sogar die "doppelte Vernichtung der Frau" (ebd., 15) - der "Braut" und der "Mutter" in die schuhe zu schieben. Aber Pamfilia war niemals braut · sie wurde nicht vernichtet sondern nicht geheiratet · und die mutter bezieht lediglich - wenn auch nicht freiwillig - ihren klösterlichen alterssitz wo es ihr besser gehen wird als jedem insassen einer heutigen "Seniorenresidenz" - der sie ja auch nur unter dem druck der notwendigkeit bezog. Osterkamps "doppelte Vernichtung der Frau" stellt sich als doppelte unwahrheit heraus. In der geschichte der geisteswissenschaften ist ihm ein unwürdiger platz garantiert: für die einführung der dualen lüge in die klotüren-germanistik.

Der neue mann am pult beim anschliessenden zweiten auftritt heisst Jan Andres. Er „folgt” (ebd., 57) erklärtermaassen Osterkamp dessen begriffliches equipment er gleich übernimmt. Ein neuer sound steht somit nicht auf der playlist: 

"Ernst Osterkamp hat die Vertreibung des Weiblichen seit den Hymnen bis hin zum Höhepunkt im Neuen Reich als eine Geschichte der immer stärkeren Diskreditierung der Frau dargestellt" (ebd., 56). 

Schläfrig wiegt sich die crowd im gewohnten rhythmus von Osterkamps sterbemelodie. Dass George auch ohne frauen zum höhepunkt zu gelangen vermochte entlockt vielleicht noch ein müdes lächeln - alles andere ist einfach nur traurig: dass Andres dem buchtitel zum trotz ungeniert erst recht nur über männer redet · Osterkamps unzutreffende darstellung blauäugig übernimmt · also auch nicht darauf hinweist von welch grossartigen frauengestalten - einer mutter · einer fürstin - im NEUEN REICH berichtet wird (in 924) · dass Andres auf der lezten seite seiner uninspirierten treuebekundung ausschliesslich lange Osterkamp-zitate von 2008 aneinanderreiht die so oder ganz ähnlich fünf minuten zuvor schon in Osterkamps opener zu lesen waren · zu keinem einzigen auch nur eine spur von distanz andeutet · stattdessen seinen lezten abschnitt mit den worten einleitet: "Folgt man dieser (d. h. Osterkamps) Analyse (...)" (ebd., 57) · und dass auch er zu denen gehört die eben willig „wir folgen” rufen. Das ergebnis kann niemanden überraschen: es ist der loop von Osterkamps loops. Traditionalisten würden vielleicht auch vom Bielefelder trichter sprechen. 

Und jeder trump hat einen vance. Der muss immer klatschen und ausserdem noch ein wenig drauflegen (vor allem wenn es gegen die schwächsten und schon abgeschriebenen geht die sich nicht mehr wehren können). Das ist im Kreml genau so und in der germanistik nicht anders. So spielt auch Andres seine rolle und spinnt das stichwort des chefs nun weiter aus: nicht nur George war „misogyn” - es war der ganze Kreis. Da man die zahlreichen unbestreitbar nicht „misogynen” Kreis-mitglieder nicht einfach wie George angeblich die frauen „auslöschen” kann . .  wird die „Misogynie” des Kreises ganz einfach „strukturelle Misogynie” (ebd.) genannt. Selbst wer sich darunter nicht viel vorstellen kann soll sich erinnert fühlen an „strukturelle gewalt” und „strukturellen kindesmissbrauch” und ahnt dann: in diesem Kreis geschah nichts gutes. Und damit ist der zweck ja erfüllt.

Dabei hätte Andres durchaus nicht "folgen" müssen. Es wäre so leicht gewesen zu wissenschaftlicher germanistik zurückzufinden selbst wenn man nicht das rückgrat hat Osterkamp direkt zu widersprechen: etwa mit dem hinweis dass die klage über "Misogynie" in Georges lyrik auch dann schon fragwürdig wird wenn man einmal den blick richtet auf die gedichte von denen Osterkamp niemals · auch in der zehnten variation seiner grundmelodie nicht sprechen wird. Dazu zählt etwa die gruppe der NACHTWACHEN-gedichte in den ÜBERSCHRIFTEN (5414-18).

Die herausgeber selbst beklagen ebenfalls "einige schmerzhafte Fehlstellen" (ebd., 11) ihres büchleins: so blieb wol kein platz mehr frei für Anna George. Die frau der Stefan George DAS JAHR DER SEELE gewidmet hat dürfte das zwar verschmerzen. Aber angesichts der genannten ersten zwei beiträge hätte - mit dem nötigen willen - durchaus eine idee entwickelt werden können wie man der schwester des Dichters doch noch zu ihrem recht hätte verhelfen können ohne den vorgegebenen umfang zu überschreiten. Zur zentralen these der „Diskreditierung alles Weiblichen” hätte es freilich nicht recht gepasst eine frau darzustellen die der Dichter vor aller öffentlichkeit als seine "beschirmerin" ehrte. 

„Die Forschung zu George (...) hat eben erst begonnen” (ebd.) verheissen die beiden herausgeber. Vorfreude kommt da nicht auf denn bereits jezt haben die traktate Osterkamps und seiner blassen kopisten und der beifall naiver sekundanten den eindruck erzeugt als sei von George nicht mehr viel übrig über das noch zu "forschen" sich lohne. Deshalb bleibt angesichts fortschreitender finanzieller austrocknung der alimentierten geisteswissenschaften auf ein baldiges verglimmen auch der germanistischen zerstörungswut zu hoffen - der sie · die niemals dafür geradestehen · niemals verantwortung übernehmen mussten selbst keine zügel anlegten · die nur ihre persönliche geltungssucht befriedigte aber eine ganze nation beraubt und geschwächt hat. Denn wie gute luft und sauberes wasser gehört auch Stefan George allen - auch künftigen generationen (zumindest der deutschsprachigen). Das kulturelle „Vernichtungswerk” das Osterkamp Georges fiktivem Ili vorwirft ist weitaus weniger besorgniserregend als sein eigenes: dass er das ansehen der ganzen germanistik ruiniert ist ärgerlich · einem verbrechen gleich kommt aber die verengung dessen was George zu sagen hat auf marginale randaspekte die dann aufgeblasen ins allgemeine bewusstsein gepeitscht werden weil sie geeignet sind für eine kurze frist den empörungshunger der öffentlichkeit zu füttern. Georges eigentliches erbe dagegen wird ins dunkel gestossen. Jedem bekannt ist wie firmen mit der plünderung natürlicher ressourcen für einige zeit gewinne machen und längerfristig unumkehrbare schäden am ererbten hinterlassen. Im reich des geistes findet entsprechendes statt - nur dass hier noch viel weniger neues entsteht das erhaltenswert wäre. 

Der komplizenschaft auch der presse darf sich die germanistische "Forschung" dabei sicher sein - wenigstens so lange wie sie zu ergebnissen kommt die dem feuilleton (also dem geschmack des zeitgeists) genehm klingen. Dass "Osterkamps Werkanalyse" die lyrik Georges "erbarmungslos exekutiert" stellt die journalistin Ingeborg Harms applaudierend fest · offenbar unwissend worüber sie da in der FAZ (vom 18. 11. 2010, www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/frauen-um-stefan-george-die-kasteiten-und-eingeweihten-11068369.html) jubelt: denn sie - "Osterkamps Werkanalyse" -  lasse "nicht den Funken eines Zweifels" an "der strukturellen Misogynie des Dichters". Ohne irgendeinen ansatz eigener nachdenklichkeit kommen ihr erst recht keine zweifel an dem text den sie eigentlich rezensieren sollte und den sie stattdessen nur durchwinkt. In ihrer strukturellen ahnungslosigkeit ersetzt sie textkenntnisse durch bauchgefühl und gläubigkeit · fällt aber gleichwol entschiedene urteile im tone höchster autorität als hätte ihr Alfred Kerr persönlich die feder geführt. Am tag danach haben solche vielschreiber.innen bereits neues produziert: diesmal vielleicht etwas über Jil Sander . .   und längst vergessen wie sie eben noch an Georges exekution mitwirkten. 

Zeit auf die betrachtung journalistischer eintagsfliegen dieser güteklasse zu verwenden ist nur verschwendung. Möge das fruchtlose pingpong in den feuilletons bald ebenso verdorren wie das germanistische "Forschungs"-gewese: weil wenigstens die leser endlich des seichten getändels überdrüssig sind · weil die zeitungen ihre kraft brauchen für die ernsteren inhalte einer anderen zeit · weil die germanisten sich der lehre zu widmen haben - und werte schaffen indem sie als herausgeber dienen museen gestalten oder schutzbedürftigen die sprache beibringen.

Bisher war von „Frauen um Stefan George” nicht im geringsten die rede. Von einem „Aliud” würde hier Maik Bozza sprechen (2016, 124) der von den jüngeren germanisten über den weitesten wortschatz verfügt: einer ware die anstelle der eigentlich bezahlten geliefert wird. Wer aber das buch trotz seines fehlstarts nicht in den retourenumschlag steckt sondern weiterliest wird belohnt. Auf der seite vierundachtzig signalisiert ein portrait von Ida Coblenz das ende der durststrecke · und nun darf eine germanistik die sinnvollen ertrag zu bringen vermag ein paar lebenszeichen senden. Es hätte mehr freude bereitet darüber zu schreiben. Nachdem zehn beiträger ihr bestes gaben um die „Frauen im Umkreis Georges dem historischen Dunkel zu entreißen” (OF 2010, 9) und somit das versprechen der herausgeber endlich einzulösen: empfinden diese das bedürfnis den scheinwerfer noch einmal auf das wichtigste zu richten. Es darf doch nicht ins dunkel der vergessenheit zurücksinken was sich jeder leser wirklich merken soll. So wird das lezte wort Maik Bozza erteilt - und der macht das beste daraus. In einem älteren aufsatz Osterkamps - aus dem sich schon Andres bediente - findet sich genau der satz der nach zehn frauenporträts schon zu verblassen drohte · und Bozza sezt ihn einfach nochmal ganz ans ende seines beitrags über die elfte: 

„‚Stefan Georges Neues Reich ist der poetische Entwurf einer Welt, in der es keine Frauen gibt’” (ebd., 288) 

Wer sich kopfschüttelnd über das repetitorium mit dem holzhammer wundert hat nicht begriffen worum es Bozza wirklich ging: den stotternd begonnenen gänsemarsch wenigstens so anmutig zum frauenreigen zu schliessen dass er nun ausschaut wie eine figurengruppe aus feinstem jugendstil-porzellan. Nur Clotilde Schlayer hätte das unorthodoxe verfahren „rä” genannt - und gefragt wo eigentlich der zusammenhang des schrägen diktums mit dem thema des buchs oder gar ihrer person liegen soll.

Daneben zeigt Bozza - verglichen mit Osterkamps brachialer rhetorik - sinn für das spiel mit subtilen signalen. Er verbannt das abgegriffene zitat in die vorlezte fussnote und behält seinen haupttext Clotilde Schlayers demonstration echter souveränität vor: „‚es war alles (George hatte ihr eine - den limitierten umgang mit frauen betreffende - gepflogenheit des kreisgeschehens erklärt) sehr freundlich gesagt, mit dem so schönen leisen Lächeln als Unterton” (ebd., 288). Im entspannten habitus einer dame aus grossbürgerlichen verhältnissen lässt Bozza „des Meisters Zuckerne” den ganzen Osterkamp-krampf vom tisch fegen · die ganze künstliche erregung über Georges „Misogynie” ins leere laufen. In Minusio hätte er dafür eine selbstgedrehte bekommen - aus bestem Staats-tabak und unabhängig von der frage ob ihm eigentlich bewusst war dass sein schluss viel mehr ist als eine nette pointe.  

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