erschien ende 1913 in zehn exemplaren und im januar 1914 folgte die öffentliche ausgabe. Poetischer hätte der ursprünglich vorgesehene titel Lieder an die heilige Schar geklungen. Viele halten es für selbstverständlich dass sich der titel auf Maximin bezieht. Dabei ist es kaum weniger naheliegend dass das buch selbst als leitstern gedacht war. Es wird oft sogar als das gesetzbuch des Staates bezeichnet wie der Kreis seit den zwanziger-jahren von den meisten beteiligten genannt wurde. Das ist irreführend weil es an zwang und strafe denken lässt. Allerdings ist der neue gedichtband nüchtern schmuck- und meist reimlos kalt und jedenfalls lehrhaft gehalten und vom JAHR oder erst recht von den HYMNEN weit entfernt. Viele mögen dieses buch nicht besonders aber für die jungen der zwanziger-jahre wie Victor Frank und die brüder Stauffenberg war es ein Heiliges. Es blieb von seinem erscheinen vor kriegsausbruch bis 1928 das aktuellste buch Georges. Die tausend verse bilden hundert gedichte die in drei Büchern zu je dreissig dargeboten werden. Davor finden sich neun im EINGANG und der SCHLUSSCHOR bildet als hundertstes gedicht den höhepunkt.
80 EINGANG 801-9
Die neun gedichte entstanden wol spätestens 1910.
801 DU STETS NOCH ANFANG UNS UND END UND MITTE
„Herr der Wende” ist Maximin oder vielleicht der gott als dessen verkörperung er bisweilen gesehen wird. Der preis jedenfalls gilt seinem irdischen leben („unser preis auf deine bahn hienieden”) und der sprecher hofft dass dieser preis bis zu seinem stern hinaufdringe. So dürfte sich der buchtitel mindestens auch auf Maximin beziehen.
Die anrede des gepriesenen als anfang mitte und ende entspricht - dies wird jedenfalls gern festgestellt - einer ähnlichen formulierung aus der Offenbarung des Johannes („Alpha und Omega”) wo sie die allumfassende bedeutung des gottes unterstreicht (zahlreiche weitere antike fundstellen bei Bruno Pieger in Wk 2017, 486 erste anmerkung). Dann wird es kein zufall sein dass George ähnlich klingen möchte wie der neutestamentliche profet aus der zeit der zerstörung des Jerusalemer tempels (vergleiche vers fünf). Allerdings empfindet Pieger diese anrede geradezu als rücknahme der vergöttlichung zumindest im christlichen sinn: was anfang und ende hat ist göttlich allenfalls für ein zeitalter. Auch hinter der merkwürdigen verbindung „stets noch” mag ein hinweis auf die abkehr von einer christlichen gottesvorstellung stecken.
Wie gewohnt beginnt die geschichte von Maximin mit einer darstellung der krise und mündet in die bekannte licht-metaforik. Die krise ist hier nur noch die der zeit - alles persönliche bleibt nunmehr ungenannt. Stattdessen wird das aus 6215 bekannte „fiebern der väter” genannt dem das eigene „andre fiebern” gegenübergestellt wird: der traum von den doch unerreichbaren thronen der griechischen götter („unerreichbar” nicht mehr weil sie so weit oben stehen sondern weil sie eben der vergangenheit angehören). Beide fieber aber sind „sucht der ferne” und schwächen nur (der begriff „blut” wird hier noch dichterisch für den sitz der menschlichen kräfte verwendet).
Es kommt ja darauf an Maximin über seine eigene wende vom menschen zum gott hinaus als herrn einer wende zwischen zwei weltaltern ins gedächtnis zu rufen als den ihn George von anfang an eingeführt hatte (also in den ersten abschnitten der VORREDE T09). Offenbar ist es dieser revolutionäre zug den George ihm hier mehr denn je zuschreibt und kein zufall wenn Böhringer gerade Victor Frank die neue bezeichnung aufgreifen lässt (EA 1965, 37) - Frank der mindestens so sehr wie seine freunde - die Stauffenbergs - politisch interessiert war und die wende herbeisehnte wie ein beträchtlicher teil der jugend zwanzig jahre zuvor beim erscheinen des STERNs. Da lag der jugendtag auf dem Hohen Meissner erst einige monate zurück und gerade im Wandervogel wurde der STERN populär. Als „Herr der Wende” konnte der in die jahre kommende Maximin noch einmal einige strahlkraft erlangen - auch wenn sich sein wirken im grunde doch auf seine blosse existenz beschränkt: genug für einen geliebten aber zu wenig für eine führergestalt.
Alles andere wandelt die aus dem zweiten abschnitt von T09 bekannte begegnung am Siegestor nur ab hinterlässt aber einen noch wuchtigeren eindruck.
802 Der du uns aus der qual der zweiheit löstest
Rausch und Helle : üblicherweise aufgefasst als anwendung der vorstellung Nietzsches von einem dunklen dionysischen und einem hellen apollinischen wesenszug der kunst.
Zu dem ein Himmlischer sich niederliess : Silene (oder Diana) die nachts den schlafenden Endymion besuchte wäre freilich eine weibliche „Himmlische”. M erzählt George habe ein bestimmtes „Endymion-Relief im Lateran” gekannt und geschäzt (das sich zur zeit Georges tatsächlich im damaligen Lateranmuseum befand - unter der bezeichnung „Diana und Endymion”. Römische särge wurden verständlicherweise gern mit einer darstellung des schlafenden Endymion geschmückt. Entweder hat George - vielleicht aus metrischen gründen - das masculinum als beide geschlechter umfassend verstanden oder er hat sich ganz bewusst zu einer änderung entschieden. Einerseits gab es keinerlei veranlassung sich an den bekannten mythos halten zu müssen - Endymion wird ja namentlich nicht einmal erwähnt - und zum anderen könnte er selbst der „Himmlische” sein der in der „kommunion” mit Maximin - von der schon im fünften abschnitt der VORREDE T09 die rede war - gedichte gebiert so wie Diana-Silene die töchter von Endymion).
mit palmen und mit rosen : ruft das bild wach wie Jesus in Jerusalem als Messias begrüsst wird und erinnert zugleich an den engel im ersten gedicht des VORSPIELS 6101. Auch Maximilian wurde von George bei v. Heiselers maskenfest mit blumen geschmückt (mit einem roten nelkenkranz allerdings).
Auch hier ist der in Maximin sich verkörpernde („fleischgewordene”) gott mitgemeint. Maximin werden züge von drei jünglingen verliehen die zu den schönsten der griechischen sage gehören: Ganymed den sich Zeus auf den Olymp holte (hier ähnelt er dem Goetheschen Ganymed) und zum sternbild (des wassermanns) machte · Hermaphroditos der die namen beider eltern trug und mann und frau zugleich wurde nachdem er nackt in einen teich („frühlingswelle”) gestiegen war · Endymion dem Zeus ewige jugend verlieh indem er ihn in andauernden schlaf versezte (was ihn nicht hinderte mit Silene die den immer anziehend bleibenden nachts besuchte über fünfzig kinder zu zeugen). Jeder für sich vermochte eine grenze zu überschreiten: des raums des geschlechts und der zeit. Maximin aber ist nicht die schönheit eines bestimmten menschen zu eigen sondern die des menschen schlechthin - die sich in ihm mit der göttlichen vereint. Das ist seine „doppel-schöne”. Die fähigkeit zur verschmelzung vermochte Maximin auch zu spenden: menschen die bisher unter der „qual der zweiheit” litten insofern sie in ihrer begrenztheit bestimmt sind durch das was sie vermögen und das was sie nicht vermögen. Durch seine anwesenheit vermochte Maximin ein ekstatisches hochgefühl zu verleihen das diese zweiheit vergessen liess. Hier reicht er sogar heran an die qualität eines monotheistischen gottes der allumfassend ist und ausser dem es nichts gibt.
Andernorts wird eher der eindruck erweckt dass seine göttlichkeit sofort erkannt wurde (etwa in 7401). Dem scheint der lezte satz zu widersprechen. Offensichtlich hat George eine systematische gottesvorstellung gar nicht angestrebt sondern in den Maximin-gedichten wechselnde vorstellungen gestaltet.
803 Ihr wisst nicht wer ich bin . . nur dies vernehmt:
von veilchenfarbenen von todesblumen : eine form der verkürzung die die erste nennung von „blumen” einspart und zugleich offen lässt ob eine konjunktion wie „und” oder „also” eingefügt werden könnte. So entsteht ein unterschied zu der banalen eindeutigkeit der alltagssprache. M ist sich sicher dass mit den todesblumen blaue anemonen gemeint seien. Allerdings waren früher veilchenkränze beliebt und Maximilian selbst trug einen bei einer feier zum erscheinen der siebenten folge der BfdK (Wolters 1930, 316) - und war wenige tage danach tot. Maximin mag mit den veilchen von den angesprochenen treue eingefordert haben. Doch könnte gefragt werden ob „veilchenfarbene” tatsächlich für „veilchen” stehen kann und ob hier nicht zweierlei blumen gemeint sind. „Todesblumen” sind eigentlich chrysanthemen.
Und tragt die reine flamme vor : M verweist auf den entsprechenden römischen brauch „bei jeder sakralen Feier”.
Schon ward ich was ich will : bemerkenswert ist Ms hinweis dass im griechischen mythos auch die nach ihrem vorzeitigen tod ebenfalls entrückten heroen Herakles und Achill über die möglichkeit verfügten ihr eigenes schicksal selbst zu wählen.
Dieser widerspruch ist folge der unsicherheit über Maximins eigentliches wesen - und der bestätigt sie hier klar. Er spricht zu einem zeitpunkt an dem ihm sein tod bereits vor augen steht der ihn aber als wandel bloss seiner „form” nicht beunruhigt zumal er auch noch selbst „gewählt” und nicht aufgezwungen ist. Es scheint als wende Maximin sich - lebewol sagend - an den Kreis (was den eindruck seiner zugehörigkeit erweckt obwol er doch kaum einem mitglied je begegnet war) wenn er versichert dass er sein „wesen” nicht verändern zugleich aber auch „nie wie ihr” sein werde wenn er nun sein irdisches handeln in „wort und tat” aufgebe das kaum erst begonnen war und ihn erst richtig zum menschen gemacht hätte. Aus allem soll seine göttlichkeit unbestreitbar hervorgehen. Da kein anlass besteht einen solchen tod nicht anzunehmen sollen die freunde sich auf den trauerritus ruhig schon vorbereiten. Mit unerschütterlicher selbstgewissheit verweist der nun schon auf die „andre bahn” wechselnde auf seine abschiedsgabe die kein gewöhnlicher sterblicher hätte spenden können: „mut und kraft” und jene glut „tief in euren seelen” (die alle doch in wahrheit ausweis der Georgeschen lyrik sind an der nun aber wie schon mehrmals gezeigt Maximin für immer beteiligt ist). Vor allem sei jedoch an die dankbarkeit erinnert die George in den ersten abschnitten der VORREDE T09 als boden des ganzen kults erscheinen liess.
In die unsicherheit über Maximins wesen versucht M etwas licht zu bringen. Maximin sei unbewusst zur „Inkarnation des Gottes” geworden mit dem sich nun wieder zu vereinen er sich hier bemühe.
804 Der strom geht hoch . . da folgt dies wilde herz
V. 7f.: Pieger zieht das heute in mode gekommene ritzen in betracht (Wk, 492f.). Aber für derlei unwürdige torheiten ist bei George eigentlich kein platz. Sich zu ritzen hat noch keinem jemals „rat” beschert. Und das wasser in dem sich die blutstropfen dann auflösen würden ist nicht „fülle”. Selbst bei hochwasser bleibt es doch gerade das gegenteil: wilde ödnis.
Als inkarnation ist Maximin auch hier zu verstehen. Sein „erdenleib” ist das „enge heiligtum” für den gott und so schmal und schlank dass ein arm genügt um ihn zu umfassen. Er ist aber stark genug um den sprecher dessen gedanken gern zu den sternen gehen würden zu „bannen”: das tut ihm durchaus gut denn er als mensch hat sich auf den erdentag zu beschränken (in 7407 hatte Maximin diesen erdentag mit einer klar umrissenen aufgabe gefüllt). So ist er nun sich selbst nicht mehr fremd: er spricht in der ersten person während er vor dem auftauchen Maximins - in den ersten acht zeilen - von sich wie von einem anderen in der dritten person sprach.
Da fühlte er - eigentlich ein „wildes herz” - sich wie gelähmt. Der brand in ihm - das erbe nicht von tausend jahren sondern von jahrtausenden - entzündete keinen. Wie schon in anderen gedichten ist der blick in den spiegel eines gewässers auch hier der ausdruck der ratlosigkeit und der suche nach orientierung. Aber die sich verlaufenden wellen des hochwasser führenden stromes erinnerten ihn an die vielen menschen die er nicht länger bei sich halten konnte (nicht die erste anspielung auf die vor kurzem erfolgte trennung von den Münchner kosmikern) und an jene die für ihn schon früher verloren gingen. Nun glaubte er nicht mehr an besserung noch zu lebzeiten (also vor dem verlust seiner lezten tropfen bluts die sich in der „endlos lauten fülle” verlieren als die ihm die welt vorkam) . . So stand es um ihn als Maximin erschien ihn „ergriff” und sich als ein wahrer „herr der wende” erwies.
805 War wieder zeiten-fülle? Welche glut
V. 2 : der vers ist einem gedicht Maximins entnommen: „Sonnenaufgang” (abgedruckt zulezt bei Gremm 2023, 329).
Hier wird gezeigt dass die erwartung einer zeitenwende (nachdem die aktuelle zeit als „gefüllt” empfunden wird) also des anbruchs einer neuen zeit in den monaten vor dem erscheinen Maximins die stimmung im Schwabinger kosmikerkreis (von dem sich George dann aber trennte) ausmachte. Die ankunft der gottheit mit der das neue zeitalter beginnen sollte wurde - wie aus den lezten versen hervorgeht - in der art von gebeten beschworen. Es ist leicht zu erkennen dass die kosmiker eher nachtaktiv waren. Die mehrzahl der verse ist dem geschehen der nacht gewidmet in der zulezt ein bestimmt dionysischer „geist” die feiernden in den rausch der dunkleren art versezte. Die „schemen” die dann vom um so helleren mittagslicht geblendet werden sind vielleicht nicht wie M angibt (und dabei sicher an Schuler denkt) „Träger von Substanzen vergangener Zeiten” sondern lediglich übernächtigte die „halt” suchten. Es war George der ihn mit Maximin präsentieren wollte: als einen erfolg wie er ihnen nicht beschieden war.
806 Schon war der raum gefüllt mit stolzen schatten
auf metallnen glänzen : nicht verb sondern plural des substantivs „glanz”
Alfred Schuler war damals überzeugt als wiedergeburt eines römers auf die welt gekommen zu sein (vergleiche das ihm gewidmete zeitgedicht 7106). Die vorstellung wirkte ansteckend und so gab es bei den abendlichen treffen der kosmiker - dann „séancen” genannt - versuche mit den vorfahren in berührung zu kommen. Die aber blieben allenfalls „stolze schatten” nicht nur „edler holder” originale der antike sondern neben ihnen auch „urnächtig früher” germanen vielleicht · alle unfähig sich zu „verdichten”. Die doppelten und dreifachen punkte sind vielsagend: es ist hier eindeutig dass George solche fruchtlosen (angedeutet durch den kreis) schattenspiele immer „bleicher” werdender zittriger gestalten nur noch als quälend empfand und sich statt „nebliger dünste” echte „formen” wünschte. Aus der dionysischen „purpurwelle” sollen (das verb steht im imperativ) „silberfüsse” auftauchen: der dreifuss ist ein attribut Apolls (mit dem deshalb auch gern die Pythia dargestellt wurde) und das bekenntnis zu Apoll eine absage an die kosmiker.
807 Ergeben steh ich vor des rätsels macht
ergeben : demütig · in hingebungsvoller ehrerbietung
versehrt : verlezt. Maximin starb also bevor ihm sein irdisches handeln enttäuschungen und verletzungen einbringen konnte.
Wie ein zweiter erlöser wirkt Maximin dessen tod als opfertod erscheint. Alle im Kreis sollen darauf verzichten durch fragen und deutungen alles über ihn herausfinden und die drei „rätsel” Maximins lösen zu wollen. Diese „ergebenheit” ist eine frage des respekts vor dem heiligen und der sprecher lebt sie den anderen gleich zu beginn vor. Vielleicht aber spricht er doch eher mit sich selbst · als einem der sich immer noch martert mit den quälenden fragen die sich wieder und wieder um den nie verstandenen tod des geliebten jungen drehen der ihm so unwiederbringlich entronnen war wie der einzige andere ebenbürtige: Hofmannsthal.
Hinzu kommt die überzeugung dass die lezten antworten ohnehin „in ewiger nacht” bleiben („ewiger” wird durch die senkungsspaltung noch eigens verlangsamt und die in den zwei schlusspunkten angedeutete schweigeminute verstärkt den ernsten eindruck) und die drei fragen offen bleiben müssen: nach der beziehung zwischen dem sprecher und Maximin · nach der durch dessen „gesetz” bestimmten notwendigkeit seines selbstopfers das er trotz seines lächelns als schmerzvoll empfindet - „erdverliebt” nennt Pieger ihn deshalb (Wk, 497) - und schliesslich nach der erlösenden wirkung dieser hingabe in der er - erneut „seinem gesetz” gemäss (was ihn zu einem christusgleichen wesen macht) - seine „erfüllung” findet. Ihn als „Retter” also salvator oder erlöser zu preisen ist um so mehr geboten und gleich das nächste gedicht soll diese forderung einlösen.
Erneut wird also die dankbarkeit beschworen die darin begründet liegt dass der sprecher sich schon „verfallen” wähnte und dann durch Maximin noch einmal „neu gedieh”. Dass er dem Kreis noch zur verfügung steht ist demnach allein Maximin zu verdanken - und insofern fühlt er sich als dessen kind obwol er ihn - den fragenden und lernenden Maximilian · den erst durch Georges dichtung geschaffenen Maximin - doch wie beziehungsweise als sein eigenes kind ansah. Aber der gedanke der gegenseitigen kindschaft findet sich schon - M zeigt es - bei dem barocken mystiker Angelus Silesius (und in 7419).
808 Nun wachs ich mit dir rückwärts in die jahre
in heimlicherem bund : bezugnahme auf den „andren bund” in 7419
Nie war Maximin wirkungsmächtiger als in diesem gedicht. Angesprochen wird eigentlich der „geist” dessen verkörperung er war und den der sprecher „rückwärts” blickend in vielem zu erkennen glaubt das ihm aus der geschichte vertraut ist · seien es die fehden des mittelalters oder die entdeckungsfahrten der frühen neuzeit (oder die im gegensatz zu den ritterlichen fehden gewaltigen italienreisen und kreuzzüge der kaiser) · auch kunstwerke werden gemeint sein. Sogar in den „wahrsagungen” Hölderlins (von denen schon in T085 die rede war und die hier „seher-spruch” genannt werden) sieht der sprecher hier freilich noch „verhüllte” offenbarungen dieses geistes.
Die verse sieben und acht dürften sich auf Deutschland und seinen „stolzen nachbarn” Frankreich beziehen der 1871 ja besiegt worden war. In diesem Deutschland sieht der sprecher den geist in abständen eingreifend wirksam. Feuer („ein zuckend lohen”) und wasser („eine goldne flut”) sind bilder seiner macht. Das ist der Herr der Wende: er kann zerstörerisch erscheinen und wirkt doch immer fruchtbringend. Man denkt wieder einmal an den BRAND DES TEMPELS 924 - und Pieger spricht von „Georges Phänomenologie des Geistes” (Wk, 498).
Für die zukunft ist noch mehr zu erwarten: wenn der geist sich neu gebiert und damit wieder körperlich in erscheinung tritt ohne des verhüllenden schleiers noch zu bedürfen wird er als „herz” des Kreises schlagen weil er - das geht nicht so weit darüber hinaus wie es klingt - eben der geist der wahren jugend Deutschlands ist: und diese „heilige jugend” ist ja nichts anderes als die „heilige Schar” des ursprünglichen buchtitels oder eben die „runde” (nichts hätte George ferner gelegen als alle jungen deutschen in bausch und bogen für heilig zu erklären). Dann entfällt jeder unterschied zwischen blossem „hoffen” und sicherer „gewähr”. Der geist funktioniert wie ein mahdi. Er lässt erwartungsvoll in die zukunft blicken · sicherer aber ist immer die tröstende wirkung auf die nach plötzlichem verlust zurückbleibenden. Der Kreis stand freilich dem kaiser im Kyffhäuser näher.
809 Wer ist dein gott? All meines traums begehr ·
hehr : edel und uneigennützig.
Von dem urbild „das in den vielen menschlichen gestalten (...) zeit- und näherungsweise eine verkörperung findet” ist auch in T106 die rede. Dort werden Dantes Beatrice und Shakespeares W. H. als verkörperungen ins spiel gebracht. Natürlich ist jede verkörperung platonischer tradition folgend nur „näherungsweise”. Als der dem urbild - „meinem”: dem urbild wie der sprecher es sich vorstellt (also „schön und hehr”) - am nächsten kommende · dessen verkörperung er immer schon „begehrt” hat und schliesslich in „reinst” möglicher gestalt erblickte (das präteritum „fand” verweist auf das zurückliegende erlebnis) wird hier nun (das ist auch wenn die namensnennung fehlt keine gewagte spekulation) Maximin gesehen der damit seinen platz neben den längst legendär gewordenen idealgestalten Dantes und Shakespeares einnehmen kann. Er wird als „Er” und damit als der bezeichnet in dem der sprecher seinen „Gott” erkennt.
Dessen urbild verdankt sich nicht geschmack oder willkür sondern der „gewalt” der sexualität des sprechers · verleiht dem („dem einen” ist der sprecher selbst) aber „wert und grösse” (bewirkt also nicht etwa schande) und ist in ihm „quelle” und „brand” wie der angesprochene des vorigen gedichts ein „lohen” entzünden und eine „flut” verursachen konnte - dort aber im grossen. Wie dieser gott auch hier seinen wirkungskreis erweitert nachdem er zuerst nur den sprecher befreite und stärkte schildern die anschliessenden verse acht bis zehn: „Durch jede ader” meint wol nicht mehr nur die adern des sprechers. Die erneuerung des alten wurde bereits im vorigen gedicht dargestellt.
Der erst nur „mein Gott” war ist damit „der gott” geworden. Zu seiner zeugung - das liegt weit zurück - mag es der sterne bedurft haben. Die patent-rechte für ihn liegen bei George (der schon den novizen im WEIHESPIEL S3 verkünden liess dass götter von menschen geschaffen sind). Seine geburt als "der Gott" aber ist erneut nicht möglich ohne menschen: sie ist das werk der „neuen mitte” · der „runde” zu deren „herz” er schliesslich wird (vergleiche 808). Damit hat dieser EINGANG zum eigentlichen thema des buchs hingeführt.
81 ERSTES BUCH 8101-30
8101 DA DEIN GEWITTER O DONNRER DIE WOLKEN ZERREISST
8102 All die jugend floss dir wie ein tanz
8103 Da schon Dein same den ich truf in fahr
8104 Dies ist der fügung meistes dass du lebst
8105 Als sich dir jüngling dein beruf verkündigt
8106 Dass unfassbar geschehn in vorgeburten
8107 Wem Du dein licht gabst bis hinauf zu dir
8108 Nennt es den blitz der traf den wink der lenkte:
8109 Kommt wort vor tat kommt tat vor wort? Die stadt
8110 Ich bin der Eine und bin Beide
8111 AUS PURPURGLUTEN SPRACH DES HIMMELS ZORN:
8112 Alles habend alles wissend seufzen sie:
8113 Die ihr die wilden dunklen zeiten nennt
8114 Ihr baut verbrechende an maass und grenze:
8115 Auf stiller stadt lag fern ein blutiger streif.
8116 Schweigt mir vom Höchsten Gut: eh ihr entsühnt
8117 Einer stand auf der scharf wie blitz und stahl
8118 Wägt die gefahr für kostbar bild und blatt
8119 Weltabend lohte . . wieder ging der Herr
8120 Bangt nicht vor rissen brüchen wunden schrammen ·
8121 HELFER VON DAMALS ! RICHTTAG RÜCKT HERAN
8122 Schwärmer aus zwang weil euch das feste drückt
8123 Nun bleibt ein weg nur: es ist hohe zeit . .
8124 Ihr Äusserste von windumsauster klippe
8125 Ihr fahrt in hitzigem tummel ohne ziel
8126 Ihr habt · fürs recken-alter nur bestimmte
8127 Unholdenhaft nicht ganz gestalte kräfte:
8128 Du hast des adlers blick der froh zur sonne
8129 Du hausgeist der um alte mauern wittert
8130 Fragbar ward Alles da das Eine floh:
82 ZWEITES BUCH 8201-30
8201 BREIT’ IN DER STILLE DEN GEIST
8202 Entbinde mich vom leichten eingangsworte
8203 Auf der brust an deines herzens stelle
8204 Mich den finstren musst du fesseln
8205 Heilige nacht von Ihm befohlen
8206 Er ist Helle . . wenn er leuchtet
8207 Wenn meine lippen sich an deine drängen
8208 Die uns nur eignet: dein und meine runde
8209 Du kamst zu mir aus einem vollen leben
8210 Was gelitten ist beschwichte !
8211 WER SEINES REICHTUMS UNWERT IHN NICHT NÜZT
8212 Selbst nicht wissend was ich suchte
8213 Du hast empfangen hast gegeben
8214 Da ich mit allen fibern an dir hänge
8215 Was kann ich mehr wenn ich dir dies vergönne?
8216 Was ist geschehn dass ich mich kaum noch kenne
8217 Du nennst es viel dass du zu eigen nimmst
8218 Was einst verhohlen quälte ward entschleiert
8219 Wie man zurücksieht nach dem klippensteg
8220 Mir sagt das samenkorn im unter schacht:
8221 ÜBER WUNDER SANN ICH NACH
8222 Rückgekehrt vom land des rausches
8223 Ist dies der knabe längster sage
8224 Wenn holde freiheit kehrt und holder friede
8225 Vor-abend war es unsrer bergesfeier
8226 Dem Lenker dank der mich am künftigen tag
8227 Der trunkne Herr des Herbstes sprach mir so:
8228 Ich weiss nicht ob ich würdig euch gepriesen
8229 Die einen lehren: iRdisch da - dort ewig . .
8230 Wo sind die perlen süsse zähren
83 DRITTES BUCH 8301-30
8301 Von welchen wundern lacht die morgen-erde
8302 Dies ist reich des Geistes: abglanz
8303 Wer je die flamme umschritt
8304 Neuen adel den ihr suchet
8305 Mit den frauen fremder ordnung
8306 Durch die gärten lispeln zitternd
8307 Da zur begehung an des freundes arm
8308 Ihr seid bekenner mit all-offnem blick
8309 Vor dem glanz der stetigen sterne
8310 Wir schaun nicht mehr auf landes starre
8311 AUF NEUE TAFELN SCHREIBT DER NEUE STAND:
8312 Was euch betraf ist euch das band aus erz
8313 So will der fug: von aussen kommt kein feind . .
8314 Ein wissen gleich für alle heisst betrug.
8315 Die weltzeit die wir kennen schuf der geist
8316 Trifft euch einer von den siedlern
8317 Brich nun unsrer lippe siegel
8318 Nennst du dich täuscher für ein ganz geschlecht
8319 Hier schliesst das tor: schickt unbereite fort.
8320 So weit eröffne sich geheime kunde
8321 IHR SEID DIE GRÜNDUNG WIE ICH JEZT EUCH PREISE
8322 Wer schauen durfte bis hinab zum grund
8323 Als nach der seligen erweckung frist
8324 Ich liess mich von den schulen krönen
8325 Wer soll dich anders wünschen wenn du so
8326 Denk nicht zuviel von dem was keiner weiss !
8327 Du trugst in holder scham die stirn gesenkt
8328 Spruch und ratschlag freund und lehrer
8329 Entlassen seid ihr aus dem innern raum
8330 Nachdem der kampf gekämpft das feld gewonnen
Gottes pfad ist uns geweitet
Gottes land ist uns bestimmt
Gottes krieg ist uns entzündet
Gottes kranz ist uns erkannt.
Gottes ruh in unsren herzen
Gottes kraft in unsrer brust
Gottes zorn auf unsren stirnen
Gottes brunst auf unsrem mund.
Gottes band hat uns umschlossen
Gottes blitz hat uns durchglüht
Gottes heil uns ergossen
Gottes glück ist uns erblüht.
Die dreigeteilte reihung nennt M „das heilige Loblied” und verweist auf seine Einzelstellung die ihm das angemessene gewicht verleiht. Der SCHLUSSCHOR wurde zum abschluss der morgendlichen totenfeier am sechsten dezember 1933 von Walter Anton · Victor Frank und Cajo Partsch vorgetragen als das grab bereits geschlossen war.
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