Im jahr 1909 erschien in Georges Blättern für die Kunst eine gekürzte fassung der schrift HERRSCHAFT UND DIENST die anschliessend in einer von Melchior Lechter ausgestatteten prachtausgabe herauskam. Ihr verfasser · der historiker Friedrich Wolters · hatte zuvor gerade die dissertation eines sohns Kaiser Wilhelms II. geschrieben. Nun bemühte er sich darum George näherzukommen · liess den Dichter zeitweise bei sich in Berlin wohnen und auch HERRSCHAFT UND DIENST - im Georgeschen sinn geschrieben - sollte ihn dem ziel näherbringen. Frühe ansätze einer Georgeschen konzeption von gesellschaft mag Wolters im fünften dieser hier aneinandergereihten "jugendbilder" gesehen haben: in dem "weihespiel" DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN bemüht sich ein junger mann darum einem gesellschaftlichen verband beizutreten der durch den gedanken des "diensts" geprägt ist. Freiwilliges "dienen" ist bei George niemals mit negativen wertungen verbunden sondern bildet das zentrale element des "schönen lebens" weil es den dienenden gerade nicht erniedrigt sondern erhöht und seinen stolz bestätigt. Seine bereitschaft zu dienen ist der ausweis zu den besten zu gehören und steht eher am ende eines reifeprozesses - ähnlich der entsagung bei Goethe die aber ungleich nüchterner ja geradezu spröde wirkt angesichts der glut des Georgeschen dienens. (Deshalb aber auch weil sie selbst noch jugendwerke waren spielt in den ersten vier jugendbildern der gedanke des diensts noch keine rolle.)

Kennzeichen des modernen menschen hingegen ist es diese bereitschaft gerade nicht aufzubringen und sein heil vielmehr im anspruch auf das zu finden worin er sein wohlergehen seine freiheit und selbstverwirklichung zu erkennen glaubt. Anders als Wolters wol meinte waren herrschaft und dienst bei George deshalb nicht bestandteile eines gesellschaftskonzepts: George war viel zu nüchtern um noch an verallgemeinerungsfähige entwürfe glauben zu können die seinen vorstellungen genügt hätten · aber auch viel zu aussenstehend um an deren entwicklung überhaupt interesse zu haben. 

Gilt der dienst einem "herrn" muss dieser freilich den höchsten ethischen ansprüchen genügen (worauf 4307/08 und 6212 eindringlich bestehen). Denn einem mediokren oder gar fragwürdigen herrn zu dienen macht mindert den stolz. Georges denken ist mehr als ein blosser aufguss abstrakter voraufklärerischer schemata · und schon gar nicht präfaschistisch. Vielmehr ist gerade in Georges konzept des "diensts" das attentat vom zwanzigsten juli schon begründet.

Auch in der vorstellung vom bestimmenden einfluss genialer Einzelner auf die geschichte folgte Wolters Georgeschen vorgaben. 1920 wurde er professor für mittlere und neue geschichte in Marburg (wo für George ein zimmer seines hauses reserviert war) · seit 1923 lehrte er in Kiel (weshalb George seitdem regelmässig in den ungeliebten norden reiste). Bei vielen studenten war der charismatische mann beliebt und etliche begeisterte er für Stefan George. Mit den von ihm zu George gebrachten neuen mitgliedern (George akzeptierte längst nicht alle) wie Max Kommerell und den brüdern Anton nahm der Kreis - der sich auf vorschlag von Wolters bald auch »Staat« nannte - in den zwanziger jahren einen neuen aufschwung. Wolters war also in den augen Georges wenn schon kein liebling so doch nützlich und fast unersetzbar · im Kreis aber wegen seiner nationalkonservativen denkweise (beispielsweise begrüsste er den weltkrieg · ganz im gegensatz zu George) und mehr noch wegen des pathetischen schwulsts seiner sprache nicht bei allen beliebt - erst recht nicht bei denen die wie Robert Böhringer oder Ernst Morwitz zur Weimarer Republik standen. 

Seine frau lernte er kennen als sie 1910 in Berlin geschichte studierte. In den kriegsjahren arbeitete Erika Wolters in leitender funktion in einer Berliner firma bis sie sich in den Marburger und Kieler jahren ganz dem George-Kreis widmen konnte. Zu beginn der zwanziger jahre pflegte sie George als ihm seine krankheit zu schaffen machte. Ihr überraschender tod 1925 machte auch dem projekt eines weiblichen George-kreises vorerst ein ende. Zwei jahre danach heiratete Wolters die neunzehnjährige Gemma deren vater Paul Thiersch die von ihm gegründete kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle leitete. Gemma war als goldschmiedin und emailleurin tätig - vor allem nach Friedrich Wolters' tod 1930. Ihr bruder Stefan Thiersch entwarf das Überlinger "Haus am See" für sie und ihren neuen lebensgefährten Rudolf Fahrner in dem nach kriegsende auch Alexander von Stauffenberg lebte. Ein weiterer bruder - der bildhauer Urban Thiersch - spielte wie auch sie selbst eine rolle im Delfinverlag und war als lezter adjutant Claus von Stauffenbergs am zwanzigsten juli beteiligt. Mit Georges dichtung war sie schon durch ihren vater vertraut gemacht worden. George schäzte Gemma Wolters-Thiersch in besonders hohem maasse. 

Fünf jugendbilder

052 LEGENDEN II : FRÜHLINGSWENDE   ·   Georges anklage sexualisierter gewalt

S51 PRINZ INDRA   ·   Abkehr von der familie

053 LEGENDEN III : DER SCHÜLER   ·   Leiber statt büchern - leben statt wissenschaft

051 LEGENDEN I : ERKENNTNIS   ·   Scheitern einer beziehung

S3 DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN   ·   Liebe als fluch und erlösung

 

Die entwicklung einer persönlichkeit hat George in fünf voneinander getrennten und für seine verhältnisse umfangreichen texten dargestellt: Die drei erzählgedichte LEGENDEN entstanden - so M - in jenem entscheidenden 1889 als George im einundzwanzigsten jahr stand. Aber nur die ersten beiden wurden schon 1892 in den Blättern für die Kunst veröffentlicht. Sie meinen nicht was legenden für die meisten sind: lebensbeschreibungen Heiliger ·  sondern stellen nur einen jeweils anderen abschnitt einer bestimmten jugendlichen entwicklung dar: so ist die bezeichnung nicht allzu überraschend · erst recht wenn man bedenkt dass die legenden sogar für autobiografische texte gehalten werden können. M sieht in ihnen wenn man PRINZ INDRA hinzunähme eine »Gesamtdarstellung der seelischen Entwicklung« Georges in seiner jugend. Ich gehe noch etwas weiter und schliesse die bilderfolge erst mit dem »weihespiel« DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN ab.

Daneben sind die texte auch als modellhafte entwürfe für eine entwicklung zu verstehen wie George sie sicherlich wünschte. Später mögen sie selbst für erzieherische zwecke nicht ungeeignet gewesen sein. Sie konnten zeigen - auch den mentoren und schon für die auswahl - was erwartet wurde und haben demnach auch normativen charakter. Eine gewissermaassen »erbauliche« funktion (der charakterlichen und sittlichen höherentwicklung dienend) gehörte ja zum wesen einer solcher heiligen-vita - mehr als die historisch exakte wiedergabe äusserer ereignisse. Unerheblich ist dann die überlegung ob es sich um einen oder - wie es auf den ersten blick wol scheinen soll - verschiedene jugendliche handelt. Jedenfalls sind die fraglichen texte nicht als eine blosse fortsetzungsgeschichte aufzufassen denn jeder kann unabhängig von den anderen gelesen werden und zudem stiesse man bei der unterstellung eines einheitlichen handlungsstrangs auf wenn auch nicht unüberwindliche unstimmigkeiten.

Die konsequenz der kleinen abweichung von M ist nicht gross: denn George stellte sich ihm selbst recht ähnliche jugendliche vor. Jeder musste deshalb stolz · »glühend« begeisterungs- und bewunderungsfähig und opferbereit (lezteres war George wie er sich sah in höchstem maasse) · religiös emanzipiert aber doch der ehrfurcht fähig - von geistiger tiefe · für schönheit und kunst empfänglich und möglichst selbst auch ein wenig künstlerisch begabt · äusserlich nicht abstossend · in bestimmter weise kalt · sozial eher isoliert sein und vielleicht nicht in jeder minute nur an mädchen denken. Aber da war der Meister oft grosszügig: Gundolfs affairen wurden schnell verziehen und selbst Kronbergers leztes gedicht galt schon der zweiten freundin. Nur in einem punkt soll der erträumte nicht mit George gleich sein: er durfte sich nicht selbst am meisten lieben. In einigen der fünf texte wird das nicht-narzisstische wesen des Dargestellten geradezu demonstriert: indem der jugendliche in die allgemein bekannte Narziss-situation der selbstbespiegelung gebracht wird - und dann gerade nicht wie Narziss reagiert. 

Unterschiedlich ist der geschichtliche hintergrund. Dadurch kann man den eindruck gewinnen es handle sich um ganz verschiedene jugendliche. Stets ist ihnen aber gemeinsam dass sie ohne kontakt zu gleichaltrigen leben ohne dass sich entscheiden liesse ob dies folge oder ursache ihrer herausgehobenen wesensart ist. Die historische färbung ist aber wie M treffend anmerkt nur eine »leicht abstreifbare einkleidung« - seiner deutung entsprechend mit der aufgabe das sprechen über wandlungen im eigenen inneren möglich zu machen »ohne dass das in der Jugend besonders ausgeprägte und empfindliche Schamgefühl sich behindernd geltend macht« (1962, 104).

Die drei legenden sind in der FIBEL in der reihenfolge ihrer entstehung angeordnet. Sie müssen - um wie hier vorgesehen der jugendlichen entwicklung zu folgen - umgestellt werden so dass die zweite legende zuerst · die dritte legende danach und die erste legende zulezt behandelt werden. 

052 LEGENDEN II · FRÜHLINGSWENDE

M bezieht die vor dem hintergrund einer frühen antiken zeit spielende zweite legende auf das vierzehnte lebensjahr. Sie stellt den ablauf der ersten stunden eines tages dar an dessen abend der einzige sohn des fürsten feierlich in die gemeinschaft der männer eingeführt werden soll. In der nähe eines noch sehr einfachen tempels in einem hain erlebt man das morgendliche erwachen des tags in bukolischer landschaft. Hier wurden und werden noch rinder getötet und geopfert denn im zusammenhang mit den anstehenden festlichkeiten erhofft man sich zeichen der gunst von den befragten göttern. Ein alter priester erscheint mit dem jungen der sich »knabenhaft folgsam« an der hand führen lässt - wodurch der priester wie das sinnbild eines »pädagogen« also »knabenführers« wirkt. 

Die darstellung von gesten ist ein wesentliches merkmal von Georges lyrischer kunst. Hier zeigt sich dass schon der junge George dieses mittel beherrscht und auch in der prosa verwendet. Lyrische texte sind ja eben kürzer als epische und George bemüht sich mit wenigen worten viel auszudrücken. Gesten sind mittel der sprachlichen verkürzung und darüber hinaus bringen sie zur anschauung was man ansonsten abstrakt und auch viel kunstloser nur behaupten müsste: »Dieser junge ist zwar bald vierzehn aber noch ein richtiges kind. Sein denken ist unkritisch und unselbständig · klaglos folgt er den autoritäten und weder ist er schon ein mann noch möchte er bald einer sein.«  So ganz traut George seiner kunst noch nicht und deshalb fügt er »knabenhaft folgsam« hinzu. In der späteren lyrik wird es verdoppelnde hinweise nicht mehr geben. Dem geübten leser erscheinen sie überflüssig und beinahe lästig während der anfänger noch dankbar dafür ist.

Der junge trägt bereits ein seiner stellung entsprechendes gewand (es ist ihm noch beschwerlich ·  auch dies natürlich ein symbolischer hinweis dass ihn das bevorstehende überfordert). Denn er darf heute zwei götterbilder zum ersten mal betrachten. Vor einer amazonenhaften kriegsgöttin muss er mit einer schweren streitaxt · begleitet von markigen worten des priesters · seine kindlichkeit rituell besiegen und anschliessend bekommt er sein schwert wofür er gehorsam dankt und in »unbewusster list« seine freude äussert »weil ahnend dass er froh sein soll«. Das denkt man sich nicht aus · das hat man selbst empfunden. Wir erkennen hier dass der junge eine allzu kindliche naivität bereits abgelegt hat und das innere geschehen dem nur noch äusserlichen bild des folgsamen knaben schon nicht mehr ganz entspricht. Doch hütet er sich sein inneres zu zeigen. »Unbewusst« weiss er sich doch zu verstellen und diese täuschung deutet auf eine distanzierte kühle seines wesens. Von dem erwachsenen beginnt er sich schon zu lösen der ihm vergeblich versucht hat einzureden jeder »freigeborene guten samens« müsse die kraft der göttin empfinden und »für immer« anerkennen. 

Georges mutter war gläubige katholikin und die regelmässigen besuche der messe prägten seine kindheit. Es wird angenommen dass er auch ministrierte · und vorstellbar ist dass er wie die meisten kinder und schüler lernte und verinnerlichte sich den erwartungen nach aussen hin anzupassen · ganz besonders bei religiösen ritualen mit ihrem feierlichen ernst. Manchmal verweigern jungen diese unterwerfung: Frank Mehnerts - der später Victor Frank genannt wurde - nicht immer unbeschwerte schulzeit in Stuttgart - natürlich am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium - wird in dem schönsten buch geschildert das ein angehöriger des Kreises hinterlassen hat: ERINNERUNG AN FRANK von Michael Stettler »in Absprache mit Robert Böhringer« 1968 zusammengestellt. 

Beim zweiten tempel geht es um das standbild einer fruchtbarkeits- oder liebesgöttin. Am eingang stehen holunderbüsche die üppigen blütenstaub (M sagt: duft) abgeben. Bei solch einem an sich nebensächlichen wenn nicht unnötigen detail muss natürlich an den symbolischen wert im zusammenhang einer initiationsfeier denken. Zudem können sie »leise lispeln und sündenah« - das nachgestellte zweite adjektiv findet sich oft bei George. Lispeln meint in der litteratur ein verführerisches flüstern. Die wortverbindung sündenah ist wieder eine form der verkürzung. Sie deutet an dass dem jungen hier ein verhalten nähergebracht werden soll das ihm wie ein verstoss gegen seine art oder seinen entwicklungszustand erscheint: das bild einer nackten frau zu betrachten. Deshalb vermag der knabe der eigentlich nun ein jüngling sein soll nur verschämt zu boden zu schauen. Im späteren Kreis verfügte besonders Frank über diese scheu. (Damals wurden jungen und mädchen in traditionellen gymnasien nicht gemeinsam beschult - nur die von George abgelehnte reformschulbewegung sezte sich für die koedukation ein. Heute drücken die geschlechter zwar nebeneinander die schulbank - müssen dafür aber in der u-bahn getrennt werden. Das ist die dialektik des fortschritts.) Der sonst so strenge priester zeigt deshalb beinahe einen anflug des lächelns und verspricht dass er am abend seine zurückhaltung verlieren werde wenn eine »reizende sklavin« ihm nach dem gelage körperlich näherkommt. Doch beweist der versuch den jungen mit einer ihm völlig gleichgültigen attraktion zu locken nur die entfremdung zwischen beiden. Der alte nimmt den jungen nicht ernst und erkennt das zeichen seiner besonderheit nicht an. Stattdessen unternimmt er einen zweiten anlauf: die weichen küsse der frauen seien eine belohnung für den starken. Er weiss genau dass kein junge in diesem alter zu den schwachen gehören möchte und er nennt sogar jeden einen tor der den »spenden« der frauen entsagen würde. Mit derartigem druck versuchen schon immer die täter den kindlichen opfern das neinsagen unmöglich zu machen. 

Seine eltern hätten für ihn - wie es auf dieser kulturstufe üblich sei - bereits die künftige frau ausgewählt. So behauptet es jedenfalls M und für ihn wie auch für Karlauf ist die auserwählte mit der hier angekündigten sklavin identisch. Doch geht keiner von beiden auf die daraus entstehende zumutung ein dass der fürst für die angebliche "Hochzeitsnacht" (Karlauf 2007, 69) seines einzigen sohns nichts besseres als eine sklavin auszuwählen in der lage gewesen sein soll. Tatsächlich ist die sklavin für den priester lediglich eine dienstleisterin die dem jungen beibringen soll was von einem mann neben dem führen der waffen noch alles erwartet wird (von einer »Hochzeitsnacht« kann gar keine rede sein). Sie ist nur teil des initiationsrituals und wird danach nicht mehr benötigt. Deshalb will der knabe sie nur »heut ja gehorsam noch dulden«. Er wagt also wie so viele opfer derartiger vergewaltigungen nicht neinzusagen obwohl er im innersten ablehnt was mit ihm geschehen soll. Nur die eine lehrstunde mit ihr will er über sich ergehen lassen · und so wirkt er unangenehm berührt aber nicht verzweifelt wie er es sein müsste wenn er sein ganzes leben mit ihr zu teilen hätte. Kurt Hildebrandt (1960, 223) dürfte recht gehabt haben wenn er den priester und den fürstlichen vater in eins sezt. (In frühen kulturen und selbst noch bei den römern waren die fürsten ja oft zugleich die obersten priester.) Bei dieser lesart ist die »dunkel vom vater verheissene« lediglich die im morgendlichen tempel vom priester angekündigte sklavin und Ms bemerkung über die auswahl der lebensgefährtin durch die eltern wird hinfällig. 

Mit dem besuch dieses zweiten tempels ist das pflichtprogramm vorerst absolviert und der sohn kann endlich tun was ihm freude verschafft: am weiher beim duft von minze und zwiebelgewächsen (also bärlauch) seine einsamkeit und freiheit genießen. Hier hat er schon oft »gestalten und taten« gesponnen. Zwei in Georges welt bis zulezt ganz zentrale begriffe: taten müssen nicht unbedingt · wie beim unsterblichen inbegriff einer »tat«: Stauffenbergs verschwörung · heldentaten sein aber doch leistungen die ins leben hinein wirken. Neben Stauffenberg wäre der wahrhaft tatkräftige Robert Böhringer zu nennen dessen taten im grunde dauerhaftere folgen hatten. Unzähligen menschen im nach 1945 hungernden Deutschland kam sein unermessliches und heute fast vergessenes lebenswerk zugute. Als erbe Georges sorgte er für die entstehung der verdienstvollen stiftung mit dem archiv. Und er war begründer der Stefan-George-Gesellschaft die ebenso noch existiert. Wer ihre webseite aufruft liest (im frühjahr 2021) auf der startseite von einem »Call for Papers für das George-Jahrbuch 14«. Dabei gilt es eine »Deadline« für die abgabe der »Abstracts« zu beachten. Böhringer ist eben seit fast einem halben jahrhundert tot. 

»Gestalten« sind persönlichkeiten die einfluss auf den geschichtlichen verlauf haben. Im George-Kreis wurden über solche gestalten die sogenannten gestaltbücher geschrieben: über Cäsar (der die antike kultur nach Deutschland oder jedenfalls in Georges heimat das Rheinland brachte) · Napoleon (man war frankophil - George wurde ursprünglich Etienne gerufen und liess sich erst Stefan nennen als er Stéphane Mallarmé bewunderte (der sein leben ebenso als Etienne begann). Die nationale gesinnung wuchs erst nach dem verhassten Versailler Vertrag der das Rheinland ja besonders betraf) · über Goethe und Shakespeare · den staufer Friedrich II. (dessen biografie von Ernst Kantorowicz gilt als höhepunkt der geschichtsschreibung des Kreises und George selbst hat daran mitgewirkt) · über Nietzsche · Dante (mit dem sich George gern verglich) und natürlich über den ganz vergöttlichten Platon. Hier sind wol von der fantasie des knaben (über die der jugendliche George in unerhörtem maasse verfügte) ausgeschmückte mythische »gestalten« und ihre abenteuer gemeint die er »entsandte« also offenbar schon - vielleicht nur in gedanken - in textform brachte. Damit wird angedeutet dass der junge als künstler oder dichter aufzufassen ist. Nichts ist in heutigen schulen so sehr in verruf gebracht worden wie die orientierung an »gestalten« und die kenntnis von biografien. Friedrich II. oder Alexander werden in lehrplänen höherer schulen nicht einmal mehr erwähnt. Stattdessen werden statistiken und gesetzestexte · gesetzestexte und statistiken interpretiert · fantasie und gefühle geächtet und der geschichte wird bewusst alle faszination genommen. Die im Kreis gepflegte geschichts- und litteraturgeschichtsschreibung schäzte noch das sich-einfühlen in grosse individuen was dem jugendlichen bedürfnis nach begeisterung · identifikation und verherrlichung rechnung zollte (und von positivistischen historikern als unwissenschaftlich bekämpft wurde). In den dreissiger-jahren pilgerten gerade auch die staufer-begeisterten jüngsten wie Frank oder Cajo Partsch nach Palermo zum grab Friedrichs II. Wenn aber grosse persönlichkeiten nicht mehr verherrlicht · nicht einmal mehr dargestellt werden muss man sich nicht fragen warum Stettler sie nur noch unter greisen fand und Jugendliche kicker und rapper mit persönlichkeiten verwechseln weil sie sportwagen fahren und goldketten tragen.

Diese zweite legende ist in ihrer formalen gestaltung noch kein meister- sondern erkennbar ein jugendwerk. Das sieht man nicht nur an der unvollkommenen metrischen gestaltung und der ungelenken wortstellung mit einer inversion die alles nur verschlechtert - »Gemessen sie zum heiligtum schreiten« klingt eher nach stolpern - sondern mehr noch an dem unbedarften einschalten einer art erzähler der jezt dem leser ein wissen mitteilt das dem jungen nicht bekannt sein kann. Denn er erblickt in noch grosser entfernung die vom priester-vater angekündigte sklavin. »Sie« - das grosse S weist hier auf ihre als bedrohlich empfundene überlegenheit - die ihm schon oft in lästiger weise nachstellte. Nun aber - so der auktoriale erzähler - hat sie erfahren dass ihre in langen wintermonaten vergeblichen mühen um des jungen gunst durch die bevorstehende »siegreiche nacht« doch noch belohnt werden. So lauert sie ihm schon seit dem morgen auf um an seinem antlitz zu erkennen was er empfindet. Er aber will sich seinen durch die folgsamkeit in den tempeln wohlverdienten »glücklichen mittag« nicht durch sie verderben lassen und schüttelt sie ab indem er sich auf einem umweg dem »lieben orte wo er nur herr ist« nähert. Hier kann er sich am ufer aus schilfrohr seine flöten schneiden und seinen gedanken nachhängen. Seine frohe stimmung wird nur getrübt durch den gedanken an das bevorstehende: den gratulierenden händedruck der abstossenden männer · ihr trinkgelage mit den gesängen · und erst recht die angekündigten liebesfreuden »die kaum er ahnt die lieber er miede«. So schaut er auf die wasseroberfläche · »nur immer sein eigenes bild« erblickend. 

In der litterarischen tradition wird mit dieser geste · dann oft in verbindung mit symbolen wie der kreisform und im zusammenhang mit äusserer schönheit eine frevelhafte unfruchtbare eigenliebe wie bei dem aus antiker mythologie bekannten jüngling Narziss angedeutet · so vielfach bei Eichendorff. Hier aber ist dies die geste in der die beschäftigung mit dem eigenen denken sichtbar gemacht wird. Die im wasser schwankenden blumen die jezt noch nicht zum kranz gebunden sind dürften auf seine spätere anerkennung als dichter hindeuten. George wusste schon in der schulzeit als er nur für sich Petrarca übersezte dass ein grosser dichter im Heiligen Römischen Reich als poeta laureatus mit einem lorbeerkranz geehrt wurde. In solchen traditionen wird ja auch sein gedanke gewachsen sein dass bestimmte dichter wie gekrönte herrscher zu gelten haben. Allerdings kann man schlecht lorbeerblätter im waldsee schwimmen lassen - daher die blumen. Weniger hoch gegriffen aber vollkommen zulässig wäre es die blumen symbolisch als erste bestandteile von gedichten aufzufassen - im lezten abschnitt ist von »silben« die rede - die noch der form bedürfen (so wie die blumen · da noch nicht kranz · noch ungeformt sind). Es ist gar nicht wichtig diese frage zu entscheiden. Hier zählt nur dass der junge sich vom blick in den waldsee bestätigt sieht in seiner auffassung dass der sinn seines lebens weder im waffendienst noch in der gründung einer familie liegt. Sein los ist die existenz des künstlers und dies gibt ihm recht - so die auffassung Georges in der zeit seiner ästhetizistischen kunstauffassung - im bemühen sich von den anderen abzusondern. Dass er im wasser »nur immer sein eigenes bild« erblickt muss nicht auf ein bei George früh vorhandenes »Bewußtsein für die darin liegende Gefährdung«  (Bozza 2016, 127) deuten. Denn für den ästhetizisten wäre keine verarmung ausgedrückt sondern gerade der erfolg das ziel erreicht zu haben: nichts von der profanen welt gelangt mehr in den blick.

Die szenerie am seeufer ähnelt kindheitserinnerungen Georges der sich bekanntermassen dort wo die Nahe in den Rhein mündete im schilf ein ähnliches reich erbaute. (Das motiv taucht auch in KINDLICHES KÖNIGTUM 4506 UND URSPRÜNGE 7502 wieder auf.) Man hat in diesem hang zur absonderung eine narzisstische veranlagung entdecken wollen obwohl das verhalten des fürstensohns sogar noch weniger als das des klosterschülers (in der dritten legende) verbunden ist mit selbstbewunderung. Es gibt keine anzeichen für ein übertriebenes selbstwertgefühl · auch nicht für ein fehlendes. Das abendliche fest in dem doch er im mittelpunkt stehen wird löst bei ihm keine vorfreude aus. Es zieht ihn nur dorthin wo niemand ist der ihn bewundern könnte. Der narzissmusbegriff ist hier falsch verwendet und ohne jeden erkenntniswert. Weil man allgemein der auffassung ist George habe narzisstische züge gehabt - wofür es anzeichen schon aus der jugendzeit geben mag - ist es allzu verlockend das längst bekannte auch in der litterarischen figur entdecken zu wollen. Dies verstellt den blick darauf dass George hier gerade keine persönlichkeitsstörung darstellen möchte. Stattdessen ist die zeitweilige beschränkung auf sich selbst für einen künstlerisch oder filosofisch begabten jugendlichen ein gebot der notwendigkeit. Die LEGENDEN II und III verbindet die liebe der helden zum einsamen nachdenken - es sind die geburtsstunden ihres genies (oder vielleicht des Vornehmen. George ist mehr von Nietzsche · nicht von der zeitgenössischen psychologie her zu verstehen). Diese jungen müssen sich absondern denn sie spüren die gefahr durch den lästigen lärm und leeren zeitvertreib ihrer altersgenossen denen es langweilig wird kaum dass sie einen augenblick allein sind in dem sie die ganze armut ihres geistes empfinden. Dehnt sich der moment etwas aus - wie in der pandemie - beginnen schnell ihre lauten klagen · die regelverstösse und die depressionen. Schopenhauer hat hierüber alles notwendige bereits gesagt (in Parerga und Paralipomena). Natürlich bleibt auch M der sich sonst keine gelegenheit entgehen lässt auf die entlegensten antiken quellen zu weisen hier wie immer nüchtern · erwähnt Ovid in bezug auf die drei legenden kein einziges mal und bemerkt in der heutigen interpreten nicht mehr möglichen unaufgeregtheit: »Er ist in dem Alter, in dem es ihm am meisten gefällt, im Wasser des Waldsees auf sein eignes Spiegelbild den Blick zu richten«. Ein hinweis auf das delfische »Erkenne dich selbst« wäre nicht verkehrt gewesen denn das bemühen um selbsterkenntnis ist der sinn des symbolischen blicks in den see. (Zu beginn der zwanziger jahre hatte Morwitz die einführung »Die Dichtung Stefan Georges« geschrieben. Das buch erschien 1934 und erwähnt das Narziss-motiv ausdrücklich im hinblick auf einen kindlichen entwicklungsabschnitt. In dem viel umfangreicheren kommentar von 1962 ist der hinweis wolweislich getilgt.) 

Festzuhalten ist bei dieser legende dass der junge als bereits stolzer fürstensohn angelegt ist und  - ob er gleich die unterordnung äusserlich nicht verweigert - sich doch nur dort wolfühlt »wo er nur herr (seiner zeit und gedanken - aber nicht über andre !) ist«. Zweifellos mag er ichbezogen wirken und weder denkt er viel an seine eltern noch bedeuten ihm die göttinnen irgend etwas. Eltern und religion haben ihren einfluss bereits verloren. Der vater hat als priester versagt und ihm den eindruck vermittelt dass sichverstellen und bloss äusseres befolgen von ritualen mit den passenden mienen und gesten als »heiliger eifer« durchgehen und sogar anspruch auf belohnung begründen können. (Im KINDLICHEN KALENDER T02 gibt George einen einblick in sein religiöses erleben als jugendlicher und auch dort läuft sogar das ganze kirchenjahr zwar ohne infragestellung aber nur wie ein blosser bilderbogen ab.) Er hat ebenso versagt weil er keine ehrfurcht zeigt vor den festgelegten entwicklungsabschnitten von denen auf dem weg der persönlichkeitsbildung keiner übersprungen oder abgekürzt werden darf. Indem er sich nicht scheut seine absicht »schwacher jugend wesen« vernichten zu wollen sogar offen auszusprechen diskreditiert er sich selbst vollständig. 

Denn man darf seines sohnes kindliches alter und den zwischen kind und jugendlichem schwebenden entwicklungsstand nicht übersehen. M ist dieser fehler nicht unterlaufen - er versteht dass der knabe sich innerlich sträubt »in ein Reich zu dringen in das ihn eigenes Sehnen noch nicht zwingt« (1934, 22). Aber im Handbuch/Oelmann 2016 und ebenso bei Bozza 2016 und im Werkkommentar 2017 wird das unterschiedliche alter bei keiner der drei legenden auch nur erwähnt. David · angeblich der klassiker der germanistischen George-interpretation - bringt die legenden sogar heillos durcheinander (1967, 28). Das allgemeine desinteresse an Morwitz' angaben führt zu absurden konsequenzen: Im Handbuch wird der knabe, der sich doch eben noch brav an der hand führen liess und vor der Venus-statue schüchtern die augen senkte als »Mann« bezeichnet (103) als hätte sich George nicht alle denkbare mühe gegeben genau das gegenteil darzustellen. Oelmann unterwirft sich damit der im gedicht gerade als falsch kritisierten logik dieser archaischen tradition und dieses unfähigen vaters den knaben nach einem schema zu behandeln und ihn nicht als das individuum zu sehen das er wirklich ist - inbegriff pädagogischen versagens. Dabei ist das doch die zentrale idee des textes: zur trostlosen welt dieser unkünstlerischen männer zu gehören - wie sie in der vorstellung des jungen erstaunlich realistisch gezeichnet wird - ist zumindest nicht für jeden erstrebenswert und einen jungen vorzeitig in diese welt zu zwingen beraubt ihn seiner jugend · diesen jungen dazu noch seiner eigenart als künstler. Das ist bei George das verbrechen: vielleicht nicht aus moralischen aber gewiss aus ästhetischen gründen. Denn der junge wird · ist er erst einmal teil der hässlichen männerwelt · auch seiner schönheit beraubt werden: er wird prahlerisch mitreden · mittrinken und mitgrölen und mittöten müssen. Und ohne es genau zu durchschauen: er ahnt und spürt die gewalt die ihm droht · und in der gestaltung seiner rührenden versuche die am abend hereinbrechende realität auszublenden oder sich schönzureden und es sich mit dem vater-priester nicht zu verderben liegt ein grosser reiz dieser legende. Zu widerstand oder flucht (wie später der SCHÜLER) ist der knabe noch zu schwach und doch will er sich seine innere unabhängigkeit schon bewahren. 

Das ziel seines halbbarbarischen stammes liegt auf der hand: ihn als waffen- und reproduktions-fähigen mann so schnell es nur geht nützlich zu machen. Und sicher auch die gegenwelt einer sich entziehenden oder mit ihrem willen und ihrer fantasie der erstarrten erwachsenenwelt sogar gefährlich werdenden jugend zu schwächen indem sie rasch integriert wird. Ähnlich leicht zu erkennen ist weshalb die germanistik seine minderjährigkeit ebenso barbarisch ignoriert. Gedacht wird vom bereits am anfang feststehenden ergebnis der interpretation her. Weil Osterkamp für seine auf einem fatalen lesefehler beruhende missdeutung von DER BLUMENELF 0117 eine zusätzliche stütze sucht um jene absurde "Sexualangst" (Osterkamp 2010, 260; Bozza 2016, 122; 144 echot in williger gefolgschaft) bescheinigen zu können die man George unterstellt und folglich in seinen figuren wiederfinden möchte muss der junge vorher zum mann transformiert werden. Denn wie lächerlich wäre diese diagnose bei einem dreizehnjährigen ! Aber auch unabhängig vom aspekt des alters deutet rein gar nichts in diesem text auf irgendeine angst: ein wenig missmutig aber völlig gelassen sieht der knabe dem abendlichen termin entgegen dem er ja gar nicht zu entfliehen versucht (was meist ganz übersehen wird) · und mit überdeutlicher anschaulichkeit hat George mehrfache bilder dafür entwickelt dass der junge anderes einfach wichtiger findet · und ganz direkt gesagt dass der termin dem jungen dichter zeit für das fügen von silben »unnütz« entzieht. Und dieses motiv des für-sich-allein-seins ist geläufig: in WEIHE 101 ist es voraussetzung für den kuss der muse und selbst Algabal erinnert sich wie er als knabe »im haine ruhe sucht« um eigenen gedanken nachzuhängen (331). 

»Sexualangst« ist fortan das zentrale · bis zum überdruss wiederholte und gleichwol unreflektierte mantra in Osterkamps George-auffassung. Sein absoluter maasstab ist offenbar von Faust oder Werther genommen und gilt für alt und jung. Dem können Georges jünglinge · die nicht in jeder minute nach frauen schmachten · natürlich nicht gerecht werden. 

Und niemand weiss was damit gemeint sein soll: der vorwurf eines moralischen versagens? ein konstrukt um den feind der bürgerlichen welt so lächerlich wie möglich zu machen? das attest einer psychischen erkrankung (welches auszustellen der germanist freilich gar nicht qualifiziert wäre) - ein rückfall ins neunzehnte jahrhundert? Geeignet ist der begriff allemal um Osterkamps nichtverstehen hinter einem spektakulären schlagwort zu verbergen das wenigstens für einen augenblick den anschein überlegenen expertentums erzeugt. Es ist dieselbe masche wie bei Raulffs »dunklen Netzwerken«: man denkt sich etwas aus um es sodann als erster aufzudecken und sich dafür vom feuilleton feiern zu lassen.

Eine weitere bemerkung soll der scheinbaren einseitigkeit des bilds gelten das von der »reizenden sklavin« (die für sich genommen völlig unbedeutend ist und keine eigenen konturen gewinnt) gezeichnet wird die den jungen nicht nur gar nicht reizt sondern die er als lästig und störend empfindet während der erzähler sogar das zerrbild der bösartig-falschen stalkerin zeichnet die sich nun - das wird vom erzähler überdeutlich betont - in jubelrufen wie über einen sieg freut - der ihr doch eigentlich nur in den schooss gefallen ist. Es drängt sich die frage auf womit sie diese scheinbare dämonisierung verdient hat. Findet sich nicht wenigstens hier der ersehnte hinweis auf die »Sexualangst« des autors der hinter dem erzähler steht? Selbst diese vermutung ist nicht die naheliegendste. 

Denn indem es in FRÜHLINGSWENDE darum geht wie einem jungen ohne sein einverständnis der frühling seines lebens entwendet wird gerät die sklavin doch zur komplizin des anstifters der die fäden zieht während sie ausführt was nötig ist um den jungen vorzeitig zu einem dieser männer zu machen. Das aber vollzieht sie nicht wie der priester vorgibt in einem höheren sondern ganz im eigenen interesse: wonach ihr »glühender wille« verlangte wird ihr erfüllt und George macht das deutlich indem er sie so laut jubeln und sich als siegerin fühlen lässt. Aus diesem grund und weil der junge noch gar nicht durchschaut dass es um mehr geht als einen verlorenen abend fühlt sich der erzähler im recht die rolle des anklägers zu übernehmen. Des anklägers der frau: denn es handelt sich - mit heutigen worten - um nichts weniger als sexuelle gewalt gegen einen minderjährigen · verübt von der frau zur befriedigung ihres ganz persönlichen begehrens ·  unter dem schutz der priesterlichen autorität · mit hilfe des vom vater ausgeübten verbalen drucks und im einklang mit der gesellschaftlichen konvention. Und George zeigt sensibel wie wehrlos dieser übermacht das opfer ausgeliefert ist dessen art · dessen fühlen und wollen nicht wahrgenommen und schon gar nicht  berücksichtigt werden. 

Man möchte vielleicht einwenden dass kritik an den beiden unangebracht sei weil sie nichts anderes tun als den traditionen ihrer kultur entsprechend einen bald vierzehnjährigen in den kreis der männer aufzunehmen während der sich innerlich verweigernde knabe (auch wenn er die konvention ja nicht tatsächlich bricht) aus der sicht seines kulturkreises eigentlich versagt. Insofern ist daran zu erinnern dass die antike szenerie eben nur »einkleidung« ist (wie George sie später noch oft verwendet). Kein leser darf sich hier um historisches verständnis bemühen oder solches einfordern wollen. Georges gedichte erheben nie den anspruch der epoche in die sie gekleidet sind historisch gerecht zu werden. Sie sind lediglich auf seine zeit zu beziehen oder in einem überzeitlichen sinn zu verstehen. Wenn beispielsweise in FRÜHLINGSWENDE konventionen einer archaischen zeit zum thema gemacht zu werden scheinen geht es tatsächlich um die gesetze und haltungen die noch im zwanzigsten jahrhundert der seiner eigenart entsprechenden entfaltung des einzelnen willkürlich im weg stehen oder ihn zu einer seiner eigenart nicht entsprechenden lebensform nötigen. 

S51 PRINZ INDRA

Die früheste erhaltene dichtung schrieb der fünfzehn- oder sechzehnjährige Darmstädter gymnasiast und ein gleichaltriger ist auch ihr held. Diese altersstufe ist in den später entstandenen LEGENDEN nicht vertreten so dass es - M folgend - hier einzurücken ist. Das original schenkte George Ernst Morwitz. Veröffentlicht wurde PRINZ INDRA erst posthum 1934 im von Robert Böhringer zusammengestellten anhang zum SCHLUSSBAND.

S511 DIE HEIMKEHR

Indra ist der einzige überlebende von sieben söhnen und der thronerbe des Rajah von Golkonda · der residenzstadt eines indischen fürstentums. Tiefe eindrücke hat ihm seine vom vater gewünschte und in der familien-tradition übliche erziehung im »heiligen büsserwald« durch einen frommen einsiedler - den »büsser« - hinterlassen. Der asketisch lebende weise lehrte ihn gleichermaassen das uralte wissen der Veden wie auch ein ethisch geprägtes handeln. Ein begabter junge von »hellem sinne« traf auf einen erzieher der eine das denken weckende wirkung auf ihn hatte: »manche dinge« wurden ihm dadurch »zeitig offenbar« · heisst es vor drei vielsagenden punkten.

Man darf diesen alten eremiten nicht abwerten auch wenn er bald von einer strahlenderen gestalt in den hintergrund gedrängt wird. Das »niedre haus« des »teuern lehrers« bedeutet dem jüngling - er hat bei dieser bezeichnung das vierzehnte jahr überschritten - beinahe mehr als der väterliche palast. Ohne diese erziehung wäre er in so frühem alter nicht schon zu einer »hehren« also erhabenen und respekt gebietenden persönlichkeit gereift. Der später im George-Kreis lebendige gedanke der geistigen sohnschaft · des überschreitens der familien-grenze und der um-erziehung kündigt sich hier schon ebenso an wie die wertschätzung einer materiell anspruchslosen lebensführung. 

Doch hat ihn der vater zurückgerufen denn er denkt an eine baldige übergabe des throns. Der abschied fällt dem schüler schwer. Aber nun neben dem bekrönten vater auf weissem elefanten · in der begleitung der krieger · zu den klängen der musiker festlich heimgeführt und von der menge bejubelt wirkt er »in vollem jugendglanz« und im stolz auf künftige taten · in der erwartung von »glanz und glück und ehren« wie ein »frischgepflückter strauss bunter blumen neben einem gelblich grauen reifen ährenbüschel« und macht den vater glücklich: durch und durch verkörpert er den geborenen herrscher und damit eine vielversprechende zukunft während seine »dunklen träumeraugen« und das glühen der »schönen wangen« seine seelische tiefe · künstlerische fantasie und zum idealen strebende begeisterungsfähigkeit andeuten. Der »noch unbefangene« mund lässt erkennen dass der prinz noch nicht geküsst hat - auch das trägt dazu bei dass seine gestalt so herrlich genannt wird. George wünschte nicht dass ein junge schon früh sexuelle erfahrungen macht - so hätte ein früh schon darauf gerichtetes interesse als hinweis auf eine wenig edle und eher durchschnittliche wesensart gegolten. Ein solcher junge könnte nicht mehr von derart strahlender erscheinung gewesen sein. Indras unbefangener mund ist also mehr als eine nebensächlichkeit und dass das denkmuster schon den ganz jungen George auszeichnete ist bemerkenswert und für den weiteren verlauf der erzählung ist es ganz entscheidend. 

S512 DER FALL

In seiner persönlichkeit und den hohen ansprüchen an sich selbst liegt aber auch die ursache einer grossen krise. Zwar macht die nun einsetzende zeit höfischer feste Indra durchaus glücklich doch liebt er auch das einsame sinnen im abendlichen palastgarten wo seine gedanken zu der schönen zeit im büsserwald zurückkehren. (Die ähnlichkeit zu den helden der zweiten und dritten legende ist unübersehbar.) Dieses nach-sinnen ist keine sentimentale rückwärtsgekehrtheit. Es ist das grübeln über eine ihm bislang unlösbare frage: was meinte der einsiedler als er dem schüler als »höchsten segenswunsch« auf den weg gab er möge durch Gott einen freund finden? Waren denn nicht all die fröhlichen festgäste am hof seine freunde die ihm ohne anstrengung zufielen? Durch die nun einsetzende krise wird er die antwort auf die frage finden. Man kann es kurz machen: Die schöne feen-gleiche Apsara die ihm schon lange nachstellt ohne dass sein »kindesherz« bislang darauf reagiert hätte schafft es nun doch einmal ihn mit ihren betörenden reizen zu verführen · kaum anders als die sklavin in der zweiten legende seine gewohnheiten tückisch ausspähend und abends im elterlichen garten auf ihn lauernd. Denn was dem jungen der FRÜHLINGSWENDE der weiher war ist Indra die rosenlaube: ein geliebter ort des rückzugs und nachdenkens. Aber anders als der kaum vierzehnjährige ist der jüngling nicht mehr so entschieden im widerstand. Im grunde erfüllt die Apsara ihm geradezu einen wunsch. Doch was andere seines alters eher mit freude erfüllt hätte wird für ihn zum ausgangspunkt für ein quälendes schuldgefühl. Der text gibt durchaus hinweise dass die religiöse tugendlehre des eremiten dabei eine ursächliche rolle spielt.  Ob George hier auch die strenge kirchliche sexualmoral als ursache quälender schuldgefühle im auge hatte ist nicht leicht zu entscheiden. Kritik an der kirche hat er eigentlich immer vermieden. Doch kann der junge sein verhalten auch nicht mit den ansprüchen vereinbaren die er an sich als künftigen herrscher stellt. Diese rolle auszufüllen ist seine schicksalhafte aufgabe und sie verlangt eine beherrschte persönlichkeit - nicht den kontrollverlust durch eine leidenschaft die einherginge mit dem verlust der eingangs so detailliert beschriebenen und das ganze volk in den bann ziehenden schönheit (die in der einzugsszene eindrucksvoll geschilderte bewunderung für den schönen jungen herrscher hat eine fundamentale politische komponente: sie dient der nationalen einigung und dem inneren frieden). In ganz ähnlicher weise hat George später seine berufung als dichter über alles private gestellt (der wie in FRÜHLINGSWENDE angedeutet als gekrönter auf einer stufe mit dem fürsten gesehen wird). Nun aber einmal schwach geworden zu sein verzeiht sich Indra nicht. 

Übrigens ist die Apsara kein der fantasie Georges entsprungenes wesen wie die sklavin der legende · sondern als typus einer verführerin bestandteil früh-hinduistischer vorstellungswelt worauf M schon aufmerksam gemacht hat. Nur den begriff als namen zu verwenden scheint Georges idee gewesen zu sein. 

Der beinahe altkluge ton der lezten drei strophen hat eingedenk des alters ihres autors etwas rührendes wenn sie ernst gemeint waren · doch ganz sicher bin ich mir nicht. Ein wenig klingen sie wie das parodierende nachbeten von ermahnungen die der jugendliche in einer schule des neunzehnten jahrhunderts wohl öfter zu hören bekam. M versteht die moralisierenden kommentare als äusserungen Indras und geht der frage dadurch aus dem weg. Dies erlaubt es ihm in gewohnter weise auch diese stelle vollkommen ernst zu nehmen. Doch sind verse wie »Müsste auch sogleich er sterben/ Toll rennt er in sein verderben« eindeutig kommentare eines aussenstehenden sprechers.

S513 DIE FOLGEN

Jedenfalls werden schuldgefühle anschliessend ausführlich unter einbeziehung der eher pessimistischen und weltverneinenden grundsätze behandelt die Indra im religiösen unterricht verinnerlicht hat. Er denkt daher auch an eine rückkehr in den büsserwald dessen name nunmehr verständlich wird. Dies käme einem verhalten gleich das die psychologie als regression bezeichnet. Es wäre der versuch einer flucht in einen früheren lebensabschnitt in welchem derartige schuldgefühle noch unbekannt waren. Allerdings führt die mechanische anwendung psychologischer und psychoanalytischer denkformen auf texte von George selten zu einem besseren verständnis. Meist gibt es naheliegendere erklärungen. Nichts ist natürlicher als wenn ein mensch in einer krise sich dort unterstützung zu holen versucht wo er sie auch in der vergangenheit schon bekam. George selbst hat den in seiner zeit stattfindenden aufstieg der psychologie und psycholanalyse ignoriert. Die vorstellung eines unter der unentrinnbaren herrschaft von trieben stehenden menschen war für ihn verachtenswert. Nicht dass er das aufklärerische konzept geteilt hätte der mensch sei vollkommen autonom zu denken. Es gibt schicksalhafte lenkende kräfte · götter und sterne · gesetze und den fug · die macht von rhythmen (etwa den ablauf der jahreszeiten) das individuelle loos und die lebens-bahn  · und nicht zulezt den einfluss grösserer menschen unter den man sich stellt. 

Die achte strophe zeigt bereits zwei syntaktische konstruktionen die bei George häufig vorkommen und insbesondere in dieser verbindung manchmal das verständnis erschweren. Das subjekt wird in der inversion hinter objekt prädikat und adverbialbestimmung verschoben. Dass es zweiteilig ist und dadurch den plural des verbs in der ersten zeile bedingt lässt sich erst im nachhinein erkennen. Die unterbrechung und verlangsamung des lesens ist zumindest in den gedichten des erwachsenen George gewollt. Die beiden teile sind das streiten und das leiden. Beide sind in genitivkonstruktionen eingebunden: die voranstellung des genitivattributs findet sich zudem schon im zweiten vers · also insgesamt dreimal in vier versen. Ausserdem wird im zuge der verkürzung ein »und« ausgelassen. Der satz kann ungefähr wie folgt aufgelöst werden: »Der in seinem herzen tobende widerstreit und die durch neue fehler ausgelösten leiden lassen den prinzen ruhelos durch die weiten räume des hauses streifen.«  Mit »widerstreit« ist die frage nach dem wesen wahrer freundschaft gemeint. Neue fehler könnten darin zu erkennen sein dass der junge sich dem prunk des höfischen lebens und dem jubel der menge hingab obwohl er gelernt hatte dass die vedische ethik andere werte schäzt: armut und frömmigkeit und gute taten. Als der vater ihn wegen seines bedrückten verhaltens zur rede stellt öffnet er sich nicht. Hilflos reagiert der vater wie alle eltern mit dem hinweis darauf dass er dem jungen doch jeden genuss ermöglicht und jeden wunsch erfüllt habe. Unüberbrückbar ist der gegensatz zwischen dem verständnislosen erwachsenen und dem jungen für den jede ehrliche erklärung seines verhaltens einer demütigung gleichkäme. Die ausbleibende verständigung findet ihren höhepunkt in der gegenseitigen beschämung: Der enttäuschte vater erklärt sich die feindseligkeit des sohns mit dessen ungeduld die krone zu erlangen · der sohn der den vater eigentlich ehrt verzweifelt ob des ungerechten verdachts der ihn so schwer belastet. Dass söhne auch in noch so wohlmeinenden leiblichen vätern eines tages keine orientierung mehr finden - und sich dann autoritäten ausserhalb der familie suchen wird eine grundvorstellung Georges werden (vgl. 8302). 

PRINZ INDRA wirkt mit seinen hübschen reimen und dem moralisierenden zeigefinger leicht wie das spiel eines naiven kindes. Die tiefe des gehalts wird dabei schnell übersehen: das preisen des gelungenen jungen menschen · die erziehungsthematik · die schon mehr als nur ahnungsweise angedeutete und vielschichtige rolle der erotik · die dimension des politischen und des herrscher-ethos · die geistige sohnschaft als gegenmodell zur familie · der unüberwindbare tragische konflikt zwischen den generationen und die bisher nur im ansatz erkennbare aufwertung der arbeitenden gesellschaftlichen schichten aus denen nun aber die entscheidende figur stammt die im folgenden abschnitt eingeführt wird als 

S514 DER RETTER

Um der bedrückenden luft des palastes zu entfliehen entfernt sich Indra im schutz der abendlichen dämmerung oft in unauffälliger verkleidung und sucht heimlich die ufer des heiligen stromes auf um dort in austausch mit den wellen zu treten. Die geste unterstreicht die gefährdung des jungen wenn man an STIMMEN IM STROM 4531 denkt · zumindest aber die besonderheit seines wesens. Vor einer in einem palmenhain gelegenen hütte hört er an diesen abenden einen jüngling zur leier (!) singen und sieht wie stolz der alte vater die kunst des sohnes geniesst. Der anblick des arm gekleideten aber schönen jünglings weckt ein »gewaltig heisses sehnen« in ihm. Es wird kunstvoll offen gelassen wodurch dies sehnen ausgelöst wird: die dichterisch-musikalische kunst · die harmonie seiner daseinsform oder doch die schönheit die in seinem erscheinen sichtbar geworden ist. Allerdings fühlt Indra sich nicht berechtigt den sänger anzusprechen. Denn dieser junge der so im einklang mit seinem vater lebt lässt ihn seine eigenen sünden um so stärker empfinden · er fühlt sich nicht gleichwertig und dazu kommt eine natürliche scheu. Doch als er eines abends den Alten nicht erblickt fasst er sich ein herz und nähert sich bis der sänger ihn bei der hand nimmt und so sanft mit ihm spricht dass er vertrauensvoll seine bewunderung · nicht aber seinen namen gesteht. Der fremde junge erzählt ihm wie er abends nach der arbeit nicht nur durch musik sondern auch durch das vorlesen grosser dichterwerke die vergangenheit und die taten der helden ehrt und darin sein glück findet. Vor allem geht er auf Indras offenbarungen ein und umarmt ihn als einen »neuerworbnen freund«. Dieses verhalten bezeichnet der sprecher als »erbarmen«. Von einem vorhandenen oder geforderten erbarmen ist in der ganzen Dichtung Stefan Georges ansonsten nur noch einmal die rede (im ebenfalls noch frühen 4513). 

Das lässt sich feststellen mit Hilfe der WORT-KONKORDANZ ZUR DICHTUNG STEFAN GEORGES. Auf siebenhundertundfünfzig eng bedruckten seiten werden hier alle in der lyrik Georges verwendeten wörter mit sämtlichen fundstellen nachgewiesen. Das gewaltige werk ist Claus Victor Bock zu verdanken der 1943 damit begann eine umfangreiche zettelsammlung anzulegen. Er war damals siebzehn jahre alt und lebte wegen seiner jüdischen abstammung verborgen im haus der Amsterdamer künstlerin Gisèle van Waterschoot van der Gracht - die zuflucht und der dort entstandene kreis von freunden und helfern wurde unter dem namen Castrum Peregrini - burg der pilger - bekannt. Zusammen mit seinem gleichaltrigen freund Manuel Goldschmidt und weiteren untergetauchten jungen verbrachte er die zeit mit dem intensiven studium der zur religion gewordenen lyrik Georges und der im damals ja schon längst zerfallenen Kreis üblicherweise bevorzugten lektüren. Claus Victor Bock hat diese jahre aus denen nach dem krieg die langlebige zeitschrift CASTRUM PEREGRINI samt zugehörigem verlag hervorging in dem Erinnerungsbuch UNTERGETAUCHT UNTER FREUNDEN noch einmal lebendig werden lassen. Vor kurzer zeit erschien auch die ebenso lesenswerte biografie der frau die zahlreiche menschen vor der faschistischen verfolgung bewahrte. Der genaue nachweis aller erwähnten schriften wird unter »Literaturangaben« erbracht. 

Das erbarmen hat ähnlich wie das verzeihen (vgl. 8312) oder das mitleid eigentlich keinen platz in Georges kühler ethik. Vom christentum löste er sich spätestens mit achtzehn jahren also lange nach PRINZ INDRA. Im Kreis wurde stärke bewundert und schwäche im grunde doch verachtet. Ganz junge kreismitglieder die im krieg an der front standen wurden in ihrer angst ähnlich allein gelassen wie die von George eigentlich geschäzten jüdischen kreisangehörigen nach der »machtergreifung«.

In der durch Max Kommerells ausscheiden verursachten krise versäumte George den schutz dessen freundes Johann Anton und verkannte seine gefährdung. Kommerells neffe und zögling Johann Antons · Helmut Strebel · der beide bezugspersonen im Kreis verlor wurde als neunzehnjähriger allein gelassen und hätte beinahe dasselbe furchtbare ende gefunden wie sein mentor. In einem der neueren bücher wird George spöttisch als »Mutter« bezeichnet. Das mag stimmen wenn jemand im winter keinen schal dabeihatte. 

Politische strömungen die wie die sozialdemokratie die soziale frage ernst nahmen und für mehr gleichheit in der gesellschaft eintraten wurden wenig geschäzt. Doch ist dies nicht ausdruck der verachtung gegenüber dem volk · auch weniger die folge eines elitären bewusstseins als des weitgehenden desinteresses an materiellen gütern · wie auch der orientierung an antiken oder ständischen gesellschaftsmodellen und menschenbildern. 

Von der menschlichen kälte ist in PRINZ INDRA noch nichts zu spüren. Eine so hilfreiche und warmherzige gestalt wie den »retter« vermag nur der fünfzehnjährige George hervorzubringen. Ernst Morwitz hat als mentor geduld und unendliche mühen gerade für menschen dieses alters aufgebracht die noch nicht durch enttäuschungen und herabsetzungen versehrt waren. Bedingt durch die art seines wesens · seine diskretion und illusionslos nüchterne weitsicht derer sich auch George in situationen des alltags oft bediente gab es bei Morwitz niemals hinweise auf abtrünnige oder dramen zum zeitpunkt der ablösung · und die grosse tragödie um Bernhard von Uxküll war durch den krieg bedingt.

Der junge aus dem palmenhain hält sich mit langen analysen der Indras schuldgefühlen zugrunde liegenden ursachen nicht auf. Die schuldgefühle nennt er dämon oder feind und er spürt dass dieser durch erneute grübelei oder kontemplative mystik nicht zu besiegen · eine rückkehr in die weltskepsis des büsserwalds also nicht wirkungsvoll wäre. Die kluge differenzierte einschätzung des alten büssers und seines erzieherischen werts durch den jungen autor ist doch bemerkenswert. Sie entspricht der haltung des erwachsenen George zum christentum: er überwindet seine kindliche gläubigkeit - aber vergisst nie was zu seiner persönlichkeitsbildung beitrug. Er hat es geehrt und sich nicht lustig darüber gemacht (vgl. 0306). Überhaupt lässt sich sagen dass dieser von Indra als neue autorität anerkannte sänger - erst recht wenn man ihn wegen seiner leier als lyrischen dichter versteht - ebenso wie Indra züge Georges trägt. Die aufspaltung des George-ichs wird in seiner dichtung noch öfter zu finden sein.

Der sänger empfiehlt ihm also das gegenteil: den blick nach aussen aber durch »wahre arbeit«. Er wird dem prinzen wohl angemerkt haben dass er aus anderen gesellschaftlichen kreisen stammt. Indra möge die armen aufsuchen und seine güter mit ihnen teilen. Tätiges wirken werde ihm den inneren frieden zurückbringen. Er selbst aber werde erst beim anbruch des zehnten monats von einer reise zurücksein. Es mag an dieser stelle daran erinnert werden dass der spätere George jugendlichen die sich in einem schwierigen lebensabschnitt an ihn wandten aufgaben stellte und bis zu der erfüllung erneuten kontakt verbot. 

Kann man den dreizehnjährigen aus FRÜHLINGSWENDE als verkörperung eines ästhetizistischen dichters auffassen so trifft dies für den sänger aus dem palmenhain - die von dem noch viel jüngeren George erdachte figur - natürlich nicht zu. Seine ratschläge verlangen noch die hinwendung zur gesellschaft und er selbst verlässt sein entlegenes refugium um sich vom herrscher adoptieren zu lassen. 

S515 DIE RETTUNG

Mit gewissheit hat Indras freund vorausgesagt, dass der prinz nach ablauf der neun monate selbstbewusst genug sein werde ihm seinen namen zu nennen. Mit anderen worten: er werde geheilt sein. Indra belohnt dieses vertrauen · stürzt sich in bislang vernachlässigte bauarbeiten die dem volk zugutekommen · fördert künstler und handwerker und würdigt die neuerlich lockende Apsara keines blickes mehr. Dies ist nicht nur für den jungen George eine frage des willens. Hingegen versteht Indra nun den wunsch des eremiten er möge einen freund finden. Er versteht aber auch die vedische lehre wonach jeder sich zum ziel setzen möge das in seinem »stand« beste zu leisten. Natürlich sind das keine originellen gedanken · sie erinnern an die aristotelische tugendlehre wie an das patriarchalische denken im mittelalter oder an die katholische soziallehre. Der vorhersehbare ausgang bietet den triumf der freundschaft wie sie in der literatur schon oft gefeiert wurde - man fühlt sich ein wenig an Schillers BÜRGSCHAFT erinnert. Der alte Rajah wird den jungen vom palmenwald als zweiten sohn annehmen · spielt aber wie auch der vater des sängers ansonsten keine rolle mehr: ein zeichen für die vollzogene ablösung der beiden jungen von der familie. Die zwei freunde aber waren ohnehin schon wie zwillinge angelegt. Ganz vergessen ist die Apsara · und jegliches andere weibliche wesen - gar eine liebevolle mutter - tauchte gar nicht erst auf. Über den fortbestand der dynastie von Golkonda unter diesem herrscherpaar - der synthese von adel und volk - nachzudenken kam Etienne George wohl noch nicht in den sinn. Doch war dies auch nicht das thema dieses jugendbilds das nichts anderes ausdrücken möchte als die lebensrettende bedeutung eines gleichwertigen freundes und den durchbruch zu einem sinnerfüllten anständigen leben. Deshalb wäre die kritische bemerkung nicht angebracht. 

Und ausserdem - man wäre beinahe in die falle gegangen. Es gibt weder einen kindlichen George noch eine jugend die nicht ernstzunehmen wären. Nicht vom alten eremiten sondern vom jungen sänger kam die hilfe. Und dessen adoption beinhaltet die antwort. Sehr wohl hat der junge Etienne an den fortbestand der dynastie gedacht (vergleiche auch 7209). Sie kann - neu verstanden als dynastie der besten - länger bestehen als jede andere. Dazu bedarf es gar keiner familie. 

053 LEGENDEN III - DER SCHÜLER

Die dritte legende spielt vor mittelalterlichem hintergrund: Der schüler einer von patres (»vätern«) geleiteten klosterschule reflektiert im rückblick und in einer souveränen gleichbleibend ruhigen sprache monologisch seinen reifungs- und ablösungsprozess der dazu geführt hat dass er die schule am nächsten morgen heimlich verlassen wird · obwohl ihm ein höherer abschluss bereits versprochen ist. M erkennt den entwicklungsstand im achtzehnten jahr und er stellt fest dass in diesem text Georges »neuer Stil des Sagens« erreicht ist. In der tat sind die enormen sprachlichen unterschiede zwischen den drei legenden nicht zu übersehen. Deshalb wirkt es einleuchtend wenn seit einiger zeit angenommen wird dass diese dritte legende erst deutlich später als angegeben entstand (H/Oelmann 2016, 99; Bozza 2016, 129) während es unverständlich bleibt warum Karlauf sogar auf 1888 datiert (2007, 68f.) was schon aus sprachlichen gründen ganz unmöglich ist. Zudem wirkt der »schüler« gefestigter und stärker als die helden der vier anderen jugendbilder was natürlich auch damit im zusammenhang steht dass er als zögling des klosters keine gelegenheit hatte mit dem anderen geschlecht in verstörende berührung zu kommen. Hinzu kommt dass die entscheidung des schülers für das »leben« nicht recht zum ästhetizistischen denken Georges anfangs der neunziger jahre zu passen scheint. Diesem argument Bozzas der George verdächtigt er habe die öffentlichkeit bewusst im glauben gelassen DER SCHÜLER sei schon in der zeit der anderen legenden entstanden um den eindruck zu erzeugen schon zehn jahre zuvor nicht mehr ästhetizist gewesen zu sein (weil George kurswechsel nicht zugeben wollte) könnte man entgegnen dass der schüler ja nicht vor der wahl »kunst oder leben« sondern »kloster oder leben einschliesslich kunst« stand und es ist klar dass auch der ästhetizist sich gegen das kloster entschieden hätte. Deshalb »entwertet« selbst ein zurückdatierter DER SCHÜLER durchaus nicht das denken der frühen gedichtbände - ein gedanke der Bozza zu der recht fatalen annahme zwingt George habe das selbst nicht gemerkt. Auch das Handbuch/Oelmann 2016 hat damit kein problem und nennt die lezten verse den »Auftrag an den Dichter StG der 90er-Jahre« (104). Merkwürdig nur dass niemand - weder aus dem Kreis noch aus dem Castrum Peregrini · kein Gundolf · kein Kommerell - das nachträglich ins legenden-nest geschmuggelte kuckucks-ei erkannte das in keinem brief der neunziger jahre erwähnt wurde (H/Oelmann 2016, 99) - erst kurz vor der drucklegung scheint DER SCHÜLER wie aus dem nichts aufgetaucht zu sein. Sollte die verehrung für den Meister allen so sehr den blick verstellt haben oder hat man sich für die jugendlichen LEGENDEN einfach nicht so sehr interessiert?

Dass ich nun bald den höheren grad erringe

Das ausgeprägte selbstbewusstsein dieses ungewöhnlichen jungen ist frei von überheblichkeit. Natürlich ist er stolz auf seine leistungsfähigkeit und er weiss dass ihm der höhere abschluss nicht wie selbstverständlich zuerkannt wird sondern dass er ihn errungen hat wie einen sieg im kampf. Der erfolg ist die folge seines fleisses und seiner erarbeiteten beliebtheit. Anders als den »Einfach-Frommen« hat man ihm für nächtliche studien bereits den zugang zur bibliothek der »dichten schriften« ermöglicht. Dass seine persönlichkeit der selbsteinschätzung genau entspricht und auch kein grund dafür besteht seine darstellung anzuzweifeln wie ernst er von seinen lehrern genommen wird die ihn nicht nur lieben sondern sogar schon seinen rat schätzen · dafür ist sein klarsichtiger rechenschaftsbericht ein schlagender beweis. 

Heute allerdings sind solche begabten weit davon entfernt in Deutschland noch irgendeine wertschätzung zu erfahren. Den moralisierenden vorwürfen der mittelmässigen zu entgehen ist selbst bei grösster bescheidenheit unmöglich. So verzerrt Egyptiens Werkkommentar den jungen helden bis zur unkenntlichkeit · bescheinigt ihm »übersteigertes Selbstbewusstsein« und weil das noch viel zu wenig wäre gleich noch »narzisstische Selbstüberschätzung« und glaubt den ganzen unsinn so belegen zu können: «Das lyrische Ich sieht sich als zukünftige ›zierde (…) der ganzen bruderschaft‹«. Das ist nicht nur falsch gelesen - nicht der schüler sieht sich so sondern ganz allein die lehrer schätzen ihn so ein - sondern auch falsch gedacht: zu keinem zeitpunkt des gedichts kann der schüler für sich irgendeine zukunft an dieser schule gesehen haben · ja eben gerade nicht ! · sonst hätte er sie doch nicht am nächsten tag fluchtartig verlassen. Es geht natürlich darum mittels der plumpen verfälschung dem schüler zu unterstellen er habe sich anmassend und wie so ziemlich alle jugendlichen George-doubletten »narzisstisch« - das skandalisierende wort darf heute in keiner noch so kleinen George-seminararbeit fehlen die dem professor gefallen soll - »zum Ausnahmemenschen stilisiert« (Wk 2017, 17). »Ausnahmemensch« ist er zweifellos · wo aber »stilisiert« er sich dazu? Der schüler ist viel zu klug um seinen wert unangemessen hoch zu veranschlagen - und auch nicht eitel genug. Zweihundert Euro kostet dieser Werkkommentar. 

Die sache wird dadurch nicht besser dass der Werkkommentar entwicklungspsychologische erkenntnisse referiert und dem schüler grosszügig zugesteht man könne seine »Selbstüberschätzung« sogar positiv lesen. Nicht nur weil es für diese angebliche »Selbstüberschätzung« eben gerade keinen beleg gibt sondern auch weil der psychologe ja lediglich gesetzmäßigkeiten einer für den ohnehin sattsam bekannten normal-jugendlichen typischen entwicklung aufzustellen bestrebt ist. Der simple durchschnitt hat nun aber sowol den jungen wie auch den alten George keine sekunde interessiert - erst recht nicht bei jugendlichen - und er hätte seine zeit nie damit verbracht ihm auch noch ein litterarisches denkmal zu setzen. Den entwicklungspsychologen heranzuziehen macht durchaus sinn: aber nur um zu zeigen dass diese litterarische figur gerade nicht für den lautstarken und prahlerischen normal-typus steht der am liebsten in der horde auftritt. Das freilich vermag jeder unvoreingenommene leser auch ohne psychologischen beistand wahrzunehmen.

Der jugendliche ausnahmemensch - er ist es nicht durch seine stilisierung sondern das konzept seines autors - verspürt bei solcher wertschätzung durch seine lehrer noch immer »herzpochen« was die edle scheu unter beweis stellt die seinen ehrgeiz begleitet (und die der bei Egyptien gezeichnete arrogante narzisst niemals verspürt hätte). »Fast bin ich herr« macht er sich erstaunt klar (das hätte dem knaben vom waldsee auch gefallen) und drückt damit die dankbarkeit gegen die klösterlichen pädagogen aus die ihm · obwohl noch »im zöglingskleid« · so viel anerkennung und vertrauen entgegenbrachten anstatt sich von seiner begabung provoziert zu fühlen. Den bereits vorgezeichneten und wenig riskanten weg der wol auf eine hochschule des ordens geführt hätte wird er aber nicht mehr gehen.

In düstren hallen flossen meine tage

Der abschnitt lässt besonders den wissensdurst erkennen der in den nächtlichen lesestunden zunächst noch gestillt wurde. Sie haben dazu geführt dass er bereits klar verstanden hat wie »die lehre« sich zu theologischen und irdischen fragen stellt. Doch ahnt man bereits dass ihm die orthodoxen antworten schon nicht mehr ganz genügen. Wie kann es sein dass so viele menschen im dunkeln tappen wo die »helle leuchte« der lehre alles bereits geklärt zu haben beansprucht? Wer solche frage stellt · dem bedeutet die »friedlichkeit der frommen« schon keinen erstrebenswerten lohn mehr. Und in der folgerichtigen konsequenz dieser frage liegt es sich »sündigem eitlem streben« der menschen draussen in der welt zuzuwenden das die frommen patres weder verstehen noch erklären können. Die formulierung bedeutet gerade nicht elitebewusstsein und arroganz gegenüber dem volk · jedenfalls nicht des schülers der sie doch lediglich zitiert. Man meint in dieser textstelle eine subtile ironie zu spüren wie sie der ganz junge George selbst an den tag legen konnte · der redakteur der DISTELN UND ROSEN. Später hat seine ernste kunstauffassung ihm - als dichter - jedes ironische sprechen streng und für immer verboten. Im umgang konnte George humorvoll sein · seine gedichte (und erst recht die prosatexte) sind es nie · auch nicht die texte aus dem George-Kreis.

Was bringt nun diese wandlung? doch nicht einzig

Was in der klösterlich-kirchlichen lehre festgeschrieben zu sein scheint wird dem musterschüler fragwürdig. Darin besteht die »wandlung« und sie hat konsequenzen. Zum einen das »schweifen« · ein noch wenig zielgerichtetes suchen wie es symbolisch in dem stöbern in bisher unbetretenen erkern anschaulich wird. Der blick in den dabei gefundenen spiegel macht dem schüler seinen leib und dessen geheimnis · seine sexualität oder die art dieser sexualität · bewusst. Darüber beginnt er nachzudenken. Nun versteht er womit die blicke des jüngsten schülers · des "blonden kinds« · und die dadurch bei ihm ausgelöste verunsicherung zu tun hatten. Mit dem begriff des kindes ist meist ein jugendlicher gemeint. George nannte selbst noch freunde die im vierten jahrsiebent standen »kind« ohne dies abwertend zu meinen - auf dem sterbebett war "kinder" seine lezte anrede an die umstehenden. Doch kann mit dem jüngsten schüler kein »Ephebe« gemeint sein (Handbuch/Oelmann 2016, 103) der ja dann bereits älter wäre als der den seine augen suchen.

Den ganzen vorgang schildert der schüler in einer betont nüchternen sprache. Nichts deutet darauf hin dass ihn der anblick oder das bewusstwerden seiner körperlichkeit besonders berührt oder gar fasziniert. Es ist eine recht triviale germanistik die bei jedem spiegels oder waldsee gleich »narzissmus« ruft und dann auch noch übersieht dass hier ja gerade nicht nur vom eigenen sondern sogleich auch vom leib »anderer« gesprochen wird. 

Es ist nicht jugendliche naivität wenn er glaubt er könne sich eine erschütterung dieser art einfach verbieten weil er sie nun wo ihre herkunft ihm bewusst geworden ist als frevel empfindet. Vielmehr vertraut hier ein aus der masse ganz herausgehobener mit grossem selbstbewusstsein (und allenfalls an dieser stelle könnte man »Selbstüberschätzung« in erwägung ziehen an die George selbst nicht glaubt wie 201 zeigt) auf die stärke des eigenen willens. Einer wie er - Indra war jünger - wird nicht mehr zum spielball unkontrollierbarer kräfte. - Karlauf will an dieser stelle den beginn einer "Verunsicherung des Zöglings" erkennen (2007, 69). Aber nein · sie endet hier doch gerade. 

Für diesen raffiniert formulierten abschnitt schlage ich noch eine zweite lesart vor. Begonnen hatte er mit der frage: »Was bringt nun diese wandlung?« Gleich anschliessend werden zumindest zwei antworten versprochen. Die erste dreht sich um das schweifen - die zweite scheint auf die reise zu zielen. Oder ist die zweite antwort schon darin zu sehen dass er es nun - nachdem ihm die alte lehre fraglich geworden ist - als einen frevel an sich selbst empfände wenn die gefühle für den jüngeren weiterhin sein gewissen erschüttern würden? Die wandlung hätte demnach eine art pride gebracht · was erklärt dass seine späteren halbherzigen versuche sich noch einmal ins kloster einzufügen zum scheitern verurteilt sind. Und damit wäre es gut denkbar hinter »leibern« nur männliche körper zu vermuten (so Bozza 129) was durch die  HYMNEN gedeckt (aber durch die PILGERFAHRTEN wieder in frage gestellt) wäre · der offenheit der späteren aufbruchssituation allerdings widerspräche.

Dann kam die reise . . welch ein wink der fügung!

Die reise symbolisiert das streben des angeblich so narzisstischen schülers andere menschen kennenzulernen (denen sich der knabe der zweiten legende noch entzog) und sie ist eine weitere konsequenz der wandlung und die gesteigerte fortsetzung des stöberns. Sie bringt ein bewusstwerden des zyklischen wandels der natur. Das ist bedeutsamer als es klingt · denn das denken in zyklen - aufstieg und niedergang - ist bei George ein schlüssel für jegliches weltverständnis · auch das der geschichte (ein lineares geschichtsbild etwa mit der vorstellung eines zunehmenden fortschritts war ihm fremd) und sogar der individuellen lebensgeschichte mit ihren »erlebnissen« · den ansteigenden und abschwellenden liebesbeziehungen. In unzähligen gedichten Georges wird die natur mit ihrem jahreszeitlichen wechsel als bild für ein gemeintes im kulturbereich verwendet werden. Es ist leicht zu erkennen dass die reise ein viel grösseres verständnis des lebens gebracht hat als alle lektüre im nächtlichen lesesaal. So belesen George war · und so hohe ansprüche er an die belesenheit der kreismitglieder stellte wo schon die Jüngeren jahrelange lektüreprogramme zu absolvieren hatten · so verhöhnte er alles bücherwissen wenn es nicht mit praktischen und lebenspraktischen fertigkeiten verbunden war. - Diese reise ist vergleichbar mit der reise Mortimers in Maria Stuart. Der kam aus dem allem sinnlichen feindlichen puritanismus und war nun in Rom überwältigt von der pracht der katholischen welt. Auch der klosterschüler ist fasziniert von der für ihn neuartigen fülle sinnlicher eindrücke - und es ging nicht nur um touristische sehenswürdigkeiten. So brachte die reise auch die kenntnis der menschen und »ihrer sänge rätselvollem sehnen«. Solches sehnen hieß bislang ein sündiges oder eitles streben und wird nun ganz neu bewertet. Der begriff »sänge« ist auf die kunst zu beziehen und vielleicht mehr auf die dichtkunst denn die musik. Man denke daran wie George nach dem abitur durch auslandsreisen insbesondere nach Paris die moderne lyrik erlernte die es damals in Deutschland noch nicht gab. Und wie beim klosterschüler galt auch sein interesse zugleich »der menschen schritte und gebaren«.

Und als der neue mond die rückkehr heischte

Es fällt ihm noch schwer zuzulassen was er im grunde bereits weiss: dass »die feste welt der lehrer« seinem geist nicht mehr genügen und bücherwissen nicht den weg zu einem hochgestimmten lebensgefühl ebnen wird - das im damals vielleicht sogar schon abgeschlossenen VORSPIEL das schöne leben heissen wird (vgl. 6101). Er fürchtet in jugendlicher einseitigkeit dass er bisher am leben vorbeigelebt haben könnte. Anders als beim spiegel-erlebnis wird seine souveränität jezt erschüttert. Die neuen erkenntnisse machen ihm zunächst angst und in seiner identität wird dieser starke junge mann für eine kurze weile unsicher. Doch ist die krise nicht wirklich bedrohend. Schon im vorigen abschnitt wurde die reise ein wink der fügung genannt. Das gefühl der trunkenheit und das schauern der glieder · am meisten der eindringende hauch sind für ihn zeichen dass eine höhere macht diesen lebensweg lenkt. Deshalb kennt er sich für einen augenblick selbst nicht mehr aber deshalb auch ist eine falsche entscheidung eigentlich undenkbar. Diese macht wird nicht Gott genannt · denn der schüler ist eben doch mehr der junge George und nicht wirklich ein frommer mittelalterlicher studiosus. 

Ich kehrte heim und hoffte zu genesen

Noch aber hat der schüler seine klösterliche erziehung nicht ganz abgeschüttelt. Der neue abschnitt stellt die bereits sinnlose abwehr der alten gegen die neuen einflüsse dar und es spricht für den schüler dass er sich nicht ohne innere kämpfe dem hingibt was er »versuchungen« nennt oder sich als krankheit erklärt.  Sicher möchte er auch vor sich selbst nicht als untreu erscheinen. Das beten und die fastengebote werden jezt ernster denn je genommen. Aber auch verdoppelte »ergebung« kann die entfremdung von der klösterlichen gemeinschaft und ihren bräuchen nicht mehr aufhalten. Täglich lebt er nur noch auf den abend hin wenn er endlich allein ist und an die blaue ferne denken kann. Hier ähnelt er dem dreizehnjährigen am waldsee und Indra in der rosenlaube des abendlichen gartens.

Morgen im frührot lass ich diese stätte 

Die entscheidung für den aufbruch fällt deshalb rasch und mit bedenkenloser entschlossenheit. Eine reaktion der lehrer und der ausdrücklich genannten aber jezt bereits »früheren« freunde - und damit eine gefährdung des unternehmens - wird durch die heimlichkeit verhindert. Dadurch werden worte des danks an die lehrer nicht mehr möglich sein. Sie haben - wie der eremit in PRINZ INDRA - ihre notwendige rolle gespielt. Ihre begrenzte welt wurde ohne häme dargestellt. Aber der nüchterne abschied wird nicht bedauert sondern auf verstandesmässigem weg schlüssig und doch kalt gerechtfertigt. Es gibt keine träne und keinen blick zurück - auch nicht für den jüngsten schüler. Das ist George - er ist kaum jemals sentimental. Der traurige leser aber sträubt sich zu glauben dass das »blonde kind« nichts als ein blindes motiv gewesen sein und nie wieder auftauchen soll.

Da spielt es keine rolle dass ein örtliches nächstes ziel noch gar nicht angegeben werden kann und dass »vielleicht jezt viele leiden« drohen: es gibt bei diesem stets klugen und kontrollierten jüngling also auch keine blinde begeisterung. »Es treibt mich auf« verdeutlicht noch einmal dass mehr im spiel ist als nur ein subjektiver wille.

Ich habe zweifel ob es in diesem gedicht um die idee der selbstbestimmung gehen soll. Sie entspricht nicht dem denken Georges auch wenn sein eigenes leben weitgehend selbstbestimmt verlief. DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN wendet sich direkt dagegen. Der schüler folgt dem was seiner bestimmten art gemäss ist. Aber fest steht wohin es den schüler treibt: zum lebendigen mit seinen elementaren gewalten und der schönheit von menschen und kunst (»blumen« stehen in symbolistischer lyrik oft für gedichte oder im weiteren sinn die kunst überhaupt. Nicht ganz logisch denn kunst war für die symbolisten gerade das gegenteil von blosser dekoration wie es blumen sind. Das tertium liegt in der schönheit). Weil er von leibern und kunst noch nichts versteht wird er sehr wohl noch für eine weile schüler bleiben.

051 LEGENDEN I · ERKENNTNIS 

Wer an den George der neun gedichtbände gewohnt und mit der FIBEL wenig vertraut ist wird zu beginn trotz der sorgfältigen und erlesenen wortwahl wenig freude an der sprache dieser zuerst entstandenen legende empfinden. M nennt sie spröde und eigenwillig und verweist zur erklärung darauf dass die legende zuerst in der lingua romana - der dritten künstlichen sprache des jugendlichen George - wohl aber wie die anderen legenden 1889 gedichtet und dann übersetzt worden sei. Der gedanke ist nicht sonderlich überzeugend denn wenn George in diesem jahr wie M ja meint die dritte legende sprachlich so grossartig gestalten konnte sollte ihm auch bei der ersten mehr möglich gewesen sein. Denkbar ist vielmehr dass George die souveräne sprache der dritten legende mit dem desolaten seelenzustand des tragischen helden hier in der ersten nicht für vereinbar hielt. Da George im allgemeinen das hässliche nicht in den mittelpunkt seiner kunst rückte gibt es keinen vergleichbaren text. Hier schien er eine ausnahme zu machen weil es ihm nach M um »das volle bild« seines jugendlichen empfindens ging. Akzeptiert man aber die vermutung dass die SCHÜLER-legende erst später entstand sind die genannten überlegungen hinfällig.

Die besonderheit dieser legende liegt darin dass der junge mann deutliches fehlverhalten zeigt und ein erzähler seine monologe unterbricht und zu recht kritisch kommentiert - auch als vertreter des autors? - aber in seiner sicht eines aussenstehenden beobachters die situation nicht immer angemessen versteht. Zugleich wird die frau längst nicht so dämonisiert wie in FRÜHLINGSWENDE obwohl sie nach der liebesnacht ähnlich jubelt wie die sklavin was auch hier vorstellungen von sieg und niederlage ins spiel bringt. Dem steht aber entgegen dass die frau diesmal glaubhaft als eine liebende gezeichnet und ihrem leiden respekt entgegengebracht wird.

Der junge hat nun das alter eines efeben erreicht und dürfte damit ungefähr neunzehn jahre alt sein. Trotz dieses dem griechischen entnommenen begriffs deuten einige einzelheiten auf die römische frühzeit. »Mann des glückes!« nennt ihn der sprecher in direkter anrede. Denn er hat - behauptet der erzähler - die erträumte partnerin (der begriff ist denkbar unpassend wie sich noch zeigt) gefunden und soeben ihrem kreis »entrissen«. M weist auf den brauch des frauenraubs hin der ja aus der entstehungsgeschichte Roms allgemein bekannt ist. Wohl deshalb hat er sich mit ihr in eine einsame hütte zurückgezogen wo sie (wie sich wiederum der erzähler ausmalt) nur für ihn blühen und lächeln kann denn sie liebt ihn über alles. In dieser hütte ohne störende »fehldinge« - ein »paradies« und ort des »sinnens« war sie dem efeben ursprünglich - erkennt man das ufer-reich des dreizehnjährigen und Indras rosenlaube wieder. Als sie an seiner hütte auftaucht fühlt er sich ähnlich verfolgt wie von sklavin und Apsara die beiden fürstensöhne und behandelt sie in abstossender weise grob und kalt bis sie sich verzweifelt abwendet. Es scheint immer am eindringen der frau in diesen innersten bereich zu liegen dass die abwehrreaktionen des mannes ausgelöst werden. Man fühlt sich ein wenig an Kafka erinnert der nie eine ehe einging um sich die möglichkeit des nächtlichen schreibens zu erhalten. Ein hinweis auf ein künstlertum des efeben fehlt auch in dieser legende nicht: sein interesse für die verwandlung des natürlichen kiesels in »leuchtenden alabaster« (alabaster wurde nicht weit von Rom im etruskerland abgebaut). Es ist der gebirgsbach der den stein so mühsam zu etwas edlerem schleift und damit auch den dichterischen vorgang abbildet. Der efebe ist aber heute nur passiver zuschauer und selbst dabei noch müde und unkonzentriert. Sein grüblerisches sinnen gilt einer frau. Fast scheint das bild Kafka zu bestätigen.

Schon zu beginn dieser rätselhaften legende stellen sich fragen. Hat es symbolische bedeutung dass der efebe eingangs ganz allein auftritt? Wie lange sind beide schon zusammen und warum sind sie sich körperlich bislang noch nicht näher gekommen obwohl sie nach seinem »zauber« geradezu »gierig« ist? Woher rührt die so unbegreiflich wirkende verletzende grobheit seiner worte die im erzähler ganz offensichtlich mitgefühl für die frau weckt und den leser so verstört dass er sich fragt ob nicht hier schon eine tiefe hilflosigkeit hinter dem schroffen gehabe steckt? 

Stärker als in einem der anderen texte steht hier die sexualität im mittelpunkt. Der nicht mehr ganz so junge mann ist von beginn an darauf fixiert: schon der erste abschnitt zeichnet die schwüle und träge stimmung eines frühsommertages. Der efebe ruht im gras liegend und empfindet blumen wie frauen die sich danach sehnen von »jugendlichen gliedern« die sich »dehnen« . . .  am ende doch nur »geknickt und getötet zu werden« - eine vorausdeutung auf den ausgang des erzählgedichts. Die untätig-liegende pose und seine müdigkeit unterscheiden ihn stark von den frischen tatkräftigen heldengestalten der anderen texte die zu keiner frau eine beziehung hatten. In einem klagenden monolog nennt er einen grund: den verdacht die junge »priesterin« (wol nur eine metafer) könnte nicht mehr jungfräulich in die beziehung mit ihm gegangen sein. Er möchte diesen gedanken am liebsten »verwischen« aber ist doch wie besessen davon. 

Als sei er ein pontifex maximus der die vestalinnen - ihren familien entrissene mädchen und priesterinnen der römischen göttin Vesta - beaufsichtigen musste! Aber nein - sein hochmut wäre damit noch nicht zufrieden: mit gleichem eifer wie die Vesta selbst will auch er auf ihre reinheit bestehen oder sie anderenfalls »verwerfen«. 

Die gleichsetzung mit der göttin verrät seine hybris ebenso wie sein wunsch macht willkürlich auszuüben. Dieser ichbezogene könnte nicht ertragen dass die frau ein geheimnis vor ihm hätte. Wie eine priesterin sieht er sie in gedanken vor sich knien. Eine partnerin hatte er wohl nie gesucht. Der erzähler scheint völlig ahnungslos zu sein wenn er die frau sogar »die Göttliche« nennt. Das wäre sie einem anderen vielleicht auch gewesen - den efeben aber stürzt sie nur in ein grübeln aus dem er nicht mehr freikommt. Dieses grübeln wirkt so zwanghaft dass der efebe bei allem hochmut fast wie ein opfer wirkt - ohne dass der frau der geringste vorwurf zu machen wäre. Es scheint als sei der geheime zweck dieses grübelns das ablenken von der ihm durchaus bewussten und eigentlich beunruhigenden wahrnehmung dass entgegen aller wahrscheinlichkeit »lust« und »lusterwartung« nicht aufkommen. 

In einem zweiten monolog äussert er zuerst ein grotesk übersteigertes misstrauen und danach verunsichert ihn der gedanke dass seine zweifel unberechtigt und sie in wahrheit »aller reine und heiligkeit quell« sein könnte. Das eingeständnis eines irrtums wäre mit seiner selbstliebe nicht vereinbar während das verstossen der frau ihn kaum berühren würde. Der efebe verfügt über keinen spiegel und lebt nicht am waldsee - er aber wirkt stellenweise wie ein narziss. Man könnte angesichts seines sprunghaften und widersprüchlichen denkens eine mangelhafte psychologische glaubwürdigkeit der darstellung beklagen. Aber George stellt hier nur präzise dar wie das grübeln eines depressiven menschen verläuft das so lange wirkt bis man von der unmöglichkeit einer lösung überzeugt ist. So wird ihm bereits jezt völlig klar dass mit der frau jegliches glück unmöglich sein wird: ist sie noch unberührt werden seine bitteren schuldgefühle jedes zusammenbleiben ausschliessen - aber anderenfalls würde er sie verstossen. Man könnte meinen hinter den recht konstruiert wirkenden grübeleien stecke nichts anderes als das bereits feststehende factum dass mann und frau auf keine weise zusammenfinden können und einander nur unglücklich machen.

Auf den ersten blick zur klärung seines verdachts führt der efebe den geschlechtsverkehr herbei was ihr ein trügerisches kurzes glück bedeutet · ihm aber die »erkenntnis« bringt dass sein verdacht berechtigt war. Inzwischen fast mehr noch möchte er einen vorgang zum abschluss zu bringen der - egal wie er ausgeht - mit der »lösung« von der frau enden soll nachdem seine kalte unfreundlichkeit diesbezüglich vergebens war. Für den leser deshalb völlig unerwartet zeigt der efebe am nächsten morgen anzeichen grosser verstörung. Ihn bedrücken schuldgefühle wegen der vorspiegelung körperlichen interesses obwohl es ihm doch um anderes ging. In der nacht hat sie seiner »liebeseingabe« geglaubt - ein präziser ausdruck der so künstlich-hässlich ist wie der ganze gestotterte satz (extremste verkürzung: "sie geglaubt" meint "die sie geglaubt hat") und das damit bezeichnete und - die harte sprachliche form macht sinn - kaum sagbare: er hat den ersten · heiligen? · vollzug der ehe missbraucht - eine »schandtat« als preis mit dem er die trennung zu »kaufen« gedachte. So denkt er voller selbstverachtung daran sich in den nun sehr wilden gebirgsbach zu stürzen nachdem er sein spiegelbild als hässlich und sich selbst als ein von der ganzen natur verfluchter empfunden hat. Angedeutet wird damit seine tiefe bedrücktheit · seine bestrafungs-fantasie · aber nichts zwingt zur unterstellung einer vollzogenen selbsttötung. 

Diese erste legende lässt sich verstehen als thematisierung der im zusammenhang der höchsten tugend stolz besonders gefürchteten extremform superbia die ursächlich ist für den anspruch auf unberührtheit der frau · die geschmacklose idee der probe und die anschliessenden schuldgefühle. Sie unterstellt aber zulezt - für den leser sehr unerwartet - auch eine menschliche und vielleicht sogar religiöse sensibilität die der hochmut des jungen manns am vortag vollkommen unmöglich machte. Dadurch kann ihm aber bewusst werden wie schmählich er sie getäuscht hat in der gespielten liebesnacht. Diese »erkenntnis« rückt die anfänglich beabsichtigte »erkenntnis« hinsichtlich ihrer unberührtheit in den hintergrund und ruft schwere schuldgefühle hervor. George lässt den hochmut nicht als kavaliersdelikt erscheinen. 

Der efebe ist kein völlig anderer typus als die anderen vier jünglinge: in den hochmut könnte leicht jeder von ihnen einmal geraten und in der entwicklung des jugendlichen ist hochmut kein ungewöhnliches stadium. Dass er sich seine verfehlung eingesteht und nicht verzeiht sondern die ganze konsequenz trägt zeigt dass der efebe aus demselben holz wie die anderen vier geschnizt ist. Seine ansprüche an sich selbst sind ähnlich hoch - auch in ethischer hinsicht. Die ein wenig moralisierende tendenz gehört zur erbaulichen eigenart von legenden. Doch sei sie hier auch nicht überbewertet: ERKENNTNIS hat noch eine ganz andere bedeutungsschicht. 

Dass das paar keine gemeinsame zukunft mehr hätte war ihm schon am vortag klar. In der nacht aber ist ihm bewusst geworden dass ihm die »tierischen zuckungen« nichts bedeuten - er sie sogar als abstossend empfindet. Diese dritte »erkenntnis« wiegt für ihn vielleicht noch schwerer als die verzweiflung seines gewissens. So sehr sie ihn zunächst belastet so wenig kommt sie für den leser unerwartet angesichts der von beginn an nicht vorhandenen »lusterwartung«. Und für den efeben wird sie eine wenn auch jezt noch nicht bewusste voraussetzung für das spätere bemühen um »aufnahme in den orden« darstellen. Im augenblick aber trägt er schwer an dem eingeständnis dass er deshalb schon vom ersten moment des zusammenseins mit ihr »verbrecher« war der sie zwangsläufig in das unglück stürzen musste das ihr - im augenblick noch »ahnungslos« - bevorsteht sobald sie versteht dass seine verstörtheit nicht wie sie sich einredet auf das für ihn neuartige erlebnis zurückzuführen ist · sobald sie versteht dass seine umarmungen gar nicht ausdruck echter liebe waren · und sobald sie versteht was ihm nun »erkenntnis« geworden ist: dass er keineswegs »geheilt« war von dem »übel« über das sie sich offenbar schon recht lange »zerquälen musste« und das sich in seinem desinteresse und seiner so zwanghaft wirkenden unfreundlichkeit äusserte. (Die textstelle ist eindeutig: in dieser »heilung« bestünde für George der »sieg« der frau · damit die niederlage des mannes.) Die ahnung des schülers der LEGENDE III dass er nach dem aufbruch aus dem kloster »vielleicht jezt vielen leiden/ Entgegengehe« hat sich jedenfalls erfüllt.

Als ein verfluchter wird er in die nächsten jahre treten. Eine entwicklung mit einem solchen desaster enden zu lassen und keinen ausweg anzudeuten entspricht aber nicht dem denken Georges. Vom bann eines fluches kann man sich lösen. Es spricht vieles dafür die reihe erst mit einem der ganz wenigen dramatischen versuche Georges  abzuschliessen:

S3 DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN

erscheint wie die folgerichtige konsequenz aus ERKENNTNIS. Das 1901 in Georges Blättern für die Kunst erstmals veröffentlichte »weihespiel« entstand laut M nach 1890. Im chor (also dem den im chorgestühl sitzenden brüdern - also mönchen - vorbehaltenen teil) der klosterkirche wird in einem ritual über den antrag eines im vierten jahrsiebent stehenden mannes entschieden in den orden aufgenommen zu werden. Dass er wie andere in dieser reihe keinen namen trägt begründet M mit der absicht des Dichters keine individuen darstellen zu wollen. Es sei auch nicht ein bestimmter orden gemeint und ebenso sind zeit und ort nicht festgelegt. Zwar deutet der titel eines Grossmeisters auf einen ritter- die von den brüdern genannten tätigkeiten jedoch auf einen mönchsorden in benediktinischer tradition so dass hier augenscheinlich ein orden eigener art gemeint ist. 

Der jüngling kniet vor dem Grossmeister des ordens nackt und händeringend - die geste macht seine demut und bereitschaft zur unterwerfung und besitzlosigkeit sichtbar. Er spricht von der leidvollen beziehung zu einer frau. Mit einzelheiten will er den konvent nicht behelligen. Es sei alles ohnehin das »immergleiche« gewesen und die schuld liege - das ist ein unterschied zur LEGENDE I - ganz bei ihr. Immerhin scheint seine liebe zu ihr noch lange lebendig gewesen zu sein - wieder ein unterschied - und die anzeichen eines verlorenen selbstbewusstseins und tiefen schuldgefühls · wol eines gefühls des versagens · sind unübersehbar. Jedenfalls habe er sich unter anderen menschen wie ein dieb gefühlt (das heisst er scheute es öffentlich aufzutreten) und für niemanden mehr anteil fühlen können. Wo »die dunklen wasser schäumen« habe er seinem leben bereits ein ende setzen wollen. Wenn man es auf die spitze treiben möchte könnte man die nach der in ERKENNTNIS vollzogenen trennung nicht mehr erwartete aber unglückliche liebe zu einer frau als die folge des dort über den efeben verhängten fluches auffassen.

Die worte des Grossmeisters nennen grundsätze die bisweilen auf haltungen vorausdeuten die später in Georges engstem Kreis gültigkeit hatten: dem einzelnen darf - anders als dem bürger - materielles nicht mehr wichtig sein. Woldemar von Uxküll war der spott sicher · nicht weil er ein automobil besass sondern weil er es liebte (1939 starb er als noch junger professor für alte geschichte in Tübingen - bei einem autounfall). Persönliche armut wurde aber im Kreis - anders als im orden - nicht gefordert und wäre auch eher ein hindernis gewesen. Auch die ganz jungen der lezten zehn jahre die noch kein einkommen hatten konnten sich längere reisen leisten wohin auch immer George sie bestellte · selbst ins Tessin. 

Der einzelne hat aber auch keinen anspruch auf selbstbestimmung und welchen dienst er zu leisten hat wird durch seinen platz in der gemeinschaft bestimmt. Es war auch bei George üblich dass kreisangehörige die George wichtig waren ihre forschungsgebiete oder künstlerischen vorhaben bis in einzelheiten (beispielsweise bei der auswahl eines verlages oder auch nur bei den widmungen ihrer bücher) mit dem Meister absprachen. Für die wahl der lektürestoffe gab George empfehlungen ab. In einigen fällen betraf dies auch eheschliessungen oder die wahl der partnerin. Bei politischen einstellungen hatte der einzelne einen grösseren spielraum. In kleidung frisur und schrift orientierte man sich aus eigenem antrieb an George. Eine vorschrift gab es dafür aber nicht. Ernst Morwitz - den Partsch einen »rätselhaften menschen« nannte (1983, 298) - wich in diesen äusserlichkeiten völlig ab und soll zudem stets SPD gewählt haben (während George nichtwähler war). Allerdings war die SPD damals die partei der arbeitenden menschen.

Der Grossmeister ist zwar auch ein »Meister« doch wurden zur betonung der nähe von dichtkunst und handwerk nicht nur schon im mittelalter einige dichter sondern auch Stéphane Mallarmé so genannt (das haupt des dichterkreises in Paris zu dessen dienstagabenden der junge George zutritt hatte) · weshalb die für George übliche anrede weder ungewöhnlich noch direkt vom Grossmeister einer geistlichen gemeinschaft abgeleitet war. Vor allem ist der Grossmeister kaum mehr als ein zeremonienmeister. Gross ist seine macht über die brüder nicht: ihr wort hat gewicht. Anstatt nur befehlsempfänger zu sein sind sie es die den grossmeister auffordern den jüngling zur probe zuzulassen. Dabei zählt auch - im Kreis gab es nichts vergleichbares - ob der kandidat hinreichend »schmerzgeprüft« ist (offenbar soll dies garantieren dass er nie wieder zurück in die welt möchte). Dann wird die entscheidung über die aufnahme bei drei brüdern liegen die der kandidat auswählt - der Grossmeister ist davon ausgeschlossen. Ähnliches wäre bei George nicht vorstellbar gewesen. Der mönchskonvent der sich selbst als »herrlichster rat« anspricht erinnert tatsächlich an einen stadtrat oder an die stände einer vorabsolutistischen monarchie. Andererseits leben die mönche in ständiger gemeinschaft was für den Kreis natürlich nicht zutraf. Nur in der Berliner zeit trafen sich täglich mehrere freunde für einige stunden in Thormaehlens atelier. Ansonsten verbrachte George immer dieselben monate bei bestimmten kreisangehörigen oder zeitweise allein oder mit Friedrich Gundolf · dann mit Ernst Morwitz · mit Max Kommerell und Johann Anton und zulezt im Tessin mit Clothilde Schlayer und Victor Frank. Das eigentliche kreisgeschehen bestand aus einzelbesuchen von mitgliedern bei George an seinem jeweiligen aufenthaltsort der aber nur wenigen mitgeteilt wurde · wobei sie für einige stunden mit ihm sprechen durften · in umfangreichem briefwechsel den George kontrollierte aber von den gerade anwesenden erledigen liess · und in nur wenigen treffen die in nicht viel mehr als lesungen bestanden und wo die kreismitglieder die sich bisweilen nicht einmal kannten untereinander kaum in kontakt treten konnten. Kreis und orden haben also über den allerdings zentralen gedanken des dienens hinaus nicht wirklich viel gemeinsam. Das schliesst freilich nicht aus dass der orden als eine art ideal aufgefasst werden darf wie es sich George viele jahre vor der entstehung des kreises einmal vorstellte. Dem widerspricht gewiss nicht dass seine höchste aufgabe gemäss dem eingangslied des chors darin besteht »Traumesgebilde« zu tatsachen werden zu lassen.

HERRSCHAFT UND DIENST wurde zu einem für das weltanschauliche denken des Kreises fundamentalen werk. Es entwirft das ideal einer stark hierarchisch (eigentlich in konzentrischen kreisen) gegliederten gesellschaft in deren »mitte« der verehrte herrscher steht dessen licht die ihm nächststehenden im innersten »kreis« empfangen die dafür mit ganzer hingabe »dienen«. Der begriff bezeichnet also etwas sehr erstrebenswertes: Dienen demütigt nicht sondern wertet auf und macht stolz. Das konzept ist modernen · demokratischen und rechtsstaatlichen auffassungen einer gesellschaft mit der als berechtigt angesehenen verfolgung von eigeninteressen der gruppen oder einzelnen entgegengesezt. In Georges Kreis waren anfangs gleichaltrige oder ältere künstler · danach wissenschaftler und in der dritten generation sehr junge männer · im elternhaus sorgfältig erzogen · leistungsfähig · mit besten umgangsformen · und nachdem sie schon als fünfzehnjährige die halbe Georgelyrik auswendig konnten meist in sehr jungen jahren von den mentoren für George vorbereitet. Erst diese jungen waren auch angesichts der aufgeladenen politischen stimmung der späten Weimarer Republik an gesellschaftlichen veränderungen unmittelbar interessiert. Meistens dachten sie ebenfalls nationalkonservativ und im hinblick auf den Versailller Vertrag revisionistisch. HERRSCHAFT UND DIENST war aber eher eine beschreibung des Kreises denn ein programm das direkt politisch umzusetzen gewesen wäre. Natürlich lassen sich mit so einem vormodernen persönlichen dienstverhältnis skrupel vermeiden wenn man dem prinzen die dissertation schreibt. Ansonsten hätte dieses prinzip vielleicht ein einziges mal einen kurzen blick in die grosse gesellschaftliche wirklichkeit tun dürfen: wenn Stauffenbergs attentat gelungen wäre. 

Wozu taugte es dann überhaupt? Zum einen für den zwischenmenschlichen nahbereich. Wolters’ schüler drängten in den späten zwanziger jahren Morwitz’ stellenwert zurück · doch hatte der längst seine eigenen freunde die er ja oft schon als kinder in das denken Georges eingeführt hatte. Er blieb gelassen und so loyal wie immer · selbst als er nicht mehr der designierte erbe war. Das dienen beruhte eben nicht auf dem konzept von geben und nehmen. Es war selbstaufopferung bis in den moment des sterbens. Der jude Morwitz verlor 1934 seine hohe stellung als richter in Berlin und lebte seit 1938 in den USA. Hier entstanden die beiden KOMMENTARE · inbegriff dienenden schreibens ohne jeglichen versuch durch witz oder pointiertes formulieren das wohlwollen des lesers auf sich zu ziehen · dafür mit dem ernst juristischer oder religiöser kommentare auf hunderten von seiten nur auf die sache gerichtet · und eine mit Olga Marx Perlzweig erarbeitete übersetzung der gedichte Georges ins englische. Noch seinen tod machte er zum zeichen: er starb nicht in New York sondern während seiner jährlichen europa-reise in derselben Schweizer klinik wie George. Robert Böhringers langes leben war ebenfalls wenn auch in anderer form ein einziger dienst im geist seines Meisters. Beide hatten diesen dienst noch als jugendliche geschworen. Man kann aber den gedanken des diensts nicht unzeitgemäss nennen. Für die millionen die in den zwanziger und dreissiger jahren oft schon als jugendliche in den kommunistischen parteien europas kämpften waren unterwerfung und aufopferung ebenso selbstverständlich. Übrigens hielt sich auch und gerade Wolters an das gebot des dienens. Er starb früh nachdem er auf wunsch Georges seine ganze kraft in eine umfangreiche und von George überwachte lebensbeschreibung Georges gesteckt hatte. Die »blättergeschichte« war als geschichte der Blätter für die Kunst getarnt doch täuschte dies nicht darüber hinweg dass sie mehr einer heiligenbeschreibung Georges ähnelt. Sie wird daher oft »hagiographisch« genannt. 

Zum anderen taugt das begriffspaar von herrschaft und dienst als medium des protests gegen die anonyme massengesellschaft · das gleichheitsideal und die verflachung des lebens. Und als eine in vielfache variationen gegossene substanz für gedichte wie hier DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN. Wenn der Grossmeister fragt ob der jüngling die satzung · die gesetze des ordens kenne klingt es wie eine warnung jemals wieder »eigensüchtig« an sich selbst zu denken. Das zielt auf mehr als nur arbeits- es zielt auf opferbereitschaft. 

Dieser kandidat kommt weil er ruhe und genesung erhofft und keinen anderen weg mehr kennt. Was aber wird ihn in diesem orden erwarten? Und ist es denkbar dass was als flucht aus der klosterschule begann keine zehn jahre später ausgerechnet in der kirche einer frommen bruderschaft endet? 

Der Grossmeister verspricht ein einfaches arbeitsleben in der abfolge der jahreszeiten und in einer gemeinschaft die trübe und träge stimmung nicht aufkommen lässt · eine geheime (dem volk nicht zugängliche) »glut« die auch jeden einzelnen glühen lässt (vor der erstarrung bewahrt · ihm also neuen lebenssinn vermittelt) · und zulezt ein natürliches sterben und vereintwerden mit den elementen das nicht gewaltsam und würdelos ist wie es der verzweifelte sturz in den wildbach gewesen wäre. Keine rede ist von religiösen inhalten (sofern sie nicht in »glut« angedeutet sind) und jenem studium toten wissens wie es schon den klosterschüler nicht mehr befriedigte. Und als der ankömmling von der kraft des eigenen verstandes spricht der - bezeichnend für Georges eigene religiosität - »selbst den schöpfer schafft«: da bleibt dies ungestraft. 

Zuvor hat bereits der chor der brüder einige angaben gemacht: es geht darum »hienieden« das »oberste licht« zu verbreiten worunter man nichts geringeres verstehen kann als eine angleichung von himmel und erde oder die ermöglichung eines himmlischen lebensgefühls schon im irdischen leben. Ähnliches wird bald darauf - im VORSPIEL zum TEPPICH DES LEBENS - die zentrale botschaft des engels an den Dichter und damit auch an seinen Kreis sein. Und was der chor beim anblick des knienden zuallererst bemerkt ist der edle »schwung des leibs« - noch vor seiner sprachlichen begabung. Anrüchig ist derart weltlicher schönheitssinn nicht · denn die einzige regel für das zusammenleben verlangt friedliches verhalten. Es scheint sich um ganz andere mönche zu handeln als es die ehrwürdigen väter der klosterschule waren. 

Und doch lässt sich auch die beschränktheit der »würdigsten gilde« nicht übersehen. Der dreifache durchgang des proberituals verläuft in schon aus sagen und märchen bekannten bahnen: erst der lezte durchgang rettet den jungen mann. Davor lehnen ihn zwei brüder ab · mit angesichts der gefährdung des jünglings erschreckend herzlosen begründungen: Dem einen hat er noch nicht genug gelitten · dem anderen hängt er noch zu sehr am leben · und die brüder im chor schieben jegliche verantwortung auf das unlenkbare geschick ganz so wie wir es vom antiken tragödienchor kennen. Das himmlische licht leuchtet hier jedenfalls nicht sehr hell. Ob dieser ungünstige eindruck vom jungen George beabsichtigt war ist fraglich. Es wird ihm vielleicht nur darum gegangen sein diesen dreifachen durchgang zu befolgen und deshalb musste der kandidat zweimal abgelehnt werden. Aber schon im VORSPIEL findet sich ein recht illusionsloser blick auf die jünger und ihre engen grenzen (vergleiche 6122 und 6124).

Die eigentliche botschaft des weihespiels beginnt erst jezt deutlich zu werden. Bevor der jüngling nun dreimal einen der fratres um befürwortung bittet spricht er jeweils ein gebet zu - nein nicht zu Gott von dem ja nicht einmal die klosterleute sprachen. Er ruft zuerst eine art sonnengott an (ALGABAL entstand nicht viel früher oder später) dem die eigenschaft der milde zugesprochen wird. 

Nach der ersten ablehnung wendet sich der jüngling wie bereits erwähnt vergeblich an eine sozusagen apollinische innere kraft um hilfe. Nun · nach der zweiten zurückweisung · fleht er zur »unendlichen liebe« empor (es wäre nicht zu spitzfindig hier zuerst mehr an agape und nur ein wenig an eros zu denken wo er den bruder doch gar nicht kennt an den er sich jezt wendet). Nicht umsonst · denn Donatus · natürlich der jüngste im konvent · beruft sich bei seiner zustimmung als einziger auf das mitfühlen der schmerzen ("peinen") des bewerbers dessen vertrauen bisher (von den beiden ablehnenden fratres) so enttäuscht worden sei - nennt ihn mit seinem edel geschwungenen nicht verhüllten körper aber auch »mein erwählter«. Da wird wohl jeder an »das blonde kind« · den »jüngsten schüler« der dritten legende denken: Ist Donatus nicht die verkörperung desselben urbilds? Der antike eros · so die einfache botschaft · ist stärker und humaner als die christliche milde und das moderne verstandesdenken. Oder wenigstens: ohne den eros kann auch kein mitleid entstehen.

So ist der jüngling allein dank Donatus als ein geweihter aufgenommen (daher »weihespiel«) was durch Donatus’ geste des handhaltens veranschaulicht wird. Donatus bekommt die verpflichtung der mentorschaft für seinen novizen auferlegt deren ziel ein hohes und doppeltes ist: ein (irdisches) »glück« zu erlangen und - glück allein wäre eine allzu bürgerliche idylle und gleich mit der vom chor eingangs abgelehnten »allerstarrung« - ein zugleich nicht endendes »sehnen« (eine variante der »glut«) zu bewahren.

Nichts sei so ungeheuer wie der mensch · singt der schlusschor in Sophokles’ »Ödipus«. Weder schicksal noch zeit können seinen geist vernichten · singt der konvent · der allmächtig sei solange er noch fähig sei zu bewundern und zu preisen was nichts anderes heisst als: dichtung im sinne Georges hervorzubringen. Solche »hehre« dichtung - die ehrfurcht weckt weil sie sich um das heilige dreht - mache »uns« menschen unsterblich (weil sie uns über uns hinaus ins Göttliche erhöht). Voraussetzung solcher dichtung sei aber · als antrieb und schützender ort: der »kreis«. Was das »oberste licht« tatsächlich meinte · das zu schaffen die tat der bruderschaft sei · mag hier seine erklärung finden. Vielleicht steckt in diesem dramatischen versuch doch eine andeutung des späteren Kreis-konzepts oder zumindest der werkgemeinschaft der an den Blättern für die Kunst beteiligten. 

In der LEGENDE II FRÜHLINGSWENDE geht es um die herausgehobene art des fürstensohns der sich allem entzieht was gleichaltrigen wichtig wäre und sein künftiges künstlertum schon im auge hat. Sie ist ein grosser hymnus auf die kindheit. - Die figur wird in PRINZ INDRA auf zwei verteilt. Indra der die rolle des fürstensohns übernimmt leidet darunter seinem hohen anspruch für einen augenblick nicht gerecht geworden zu sein. Ein kaum älterer freund - der künstler - weist ihm den weg zu einem segensreichen leben der tat und heilt ihn dadurch. Dass der »retter« adoptiert und damit dem fürstensohn gleichgestellt wird weist sowohl auf die hohe stellung des dichters wie auf den fundamentalen gedanken der geistigen sohnschaft als konsequenz der merkwürdigkeit dass in keinem der fünf texte eine familie erscheint - nicht einmal in der erinnerung. Ein ähnlicher anspruch kennzeichnet den klosterschüler der LEGENDE III DER SCHÜLER. Noch unter dem erzieherischen einfluss der mönche oder weil er einen kontrollverlust befürchtet versagt er sich eine beziehung zu einem anderen jungen. Stärker ist der seiner bestimmung entsprechende wunsch nach einem leben ausserhalb der sicheren bahn in dem er die »lebende weisheit« · ganze schönheit und vielfalt der welt erfahren kann. Dass zu dieser vielfalt auch das leiden gehört verdrängt er keineswegs und die LEGENDE I ERKENNTNIS zeigt was damit gemeint sein kann. Die beziehung zu einer frau hätte ihn zu dem animalischen wesen gemacht das er nicht sein möchte und endet in dem gefühl wegen seiner schuld ein verfluchter zu sein. Entsprechend spricht der nun einige jahre ältere novize in DIE AUFNAHME IN DEN ORDEN von einer erneut schmerzlich gescheiterten beziehung mit einer frau und wie schon in PRINZ INDRA erfolgt die rettung durch den beginn einer freundschaft. Das leben im orden wird nicht das ende des aufbruchs in die welt bedeuten · ist doch der orden der ort an dem die lebende weisheit »der leiber der blumen und der wolken und der wellen« (053) erst eigentlich gefunden werden kann: nicht im besitz (das wäre nicht weisheit) aber in archaischer arbeit · im blick für die schönheit · im »hehren wort« der kunst · und in einer liebe die den bedürftigen nicht zurückstösst. Sie ist mit einem erzieherischen auftrag verbunden und wird ihn noch wertvoller machen · und sie ist eingebettet in eine wohlwollende gemeinschaft gleich gesinnter. Die wird aber keineswegs idealisiert. Sie ist nicht gefeit vor der herzlosigkeit dem werteverfall und einer erschreckenden bereitschaft das fähnchen nach dem wind zu richten. In ihr wiederholen sich im kleinen die abläufe deretwegen man sich dem grossen zu entziehen sucht. Am ende ist immer nur von einzelnen etwas zu erwarten.

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